Das Berliner-Wahlergebnis dürfte für die Sozialdemokrat:innen der Hauptstadt ein Schock gewesen sein. Mit rund 18 Prozent der Wähler:innen-Stimmen krebst die Partei, die aktuell mit Franziska Giffey die Regierende Bürgermeisterin stellt, zehn Prozentpunkte hinter der CDU rum.
Die Sondierungsgespräche in alle Richtungen laufen. Bislang macht es den Eindruck, als würde CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner sowohl Grüne als auch SPD umgarnen, ein Zweierbündnis einzugehen. Auch die bisherige Koalition aus SPD-Grünen-Linken verhandelt miteinander. Das wäre Giffeys einzige Chance, ihr Amt zu behalten. Mit der CDU wäre die SPD nur Juniorpartnerin.
Kurz vor den Verhandlungen der amtierenden Koalition ist allerdings ein Thesenpapier an die Öffentlichkeit gelangt, in dem der frühere Anwalt und SPD-Politiker Andreas Köhler mit seiner Partei hart ins Gericht geht. Nicht nur mit Blick auf die vermasselte Wahl. Das Papier dürfte innerhalb der Partei für einen lauten Knall sorgen – denn der Inhalt hat Sprengkraft.
Das Schreiben liegt dem "Spiegel" exklusiv vor. Die Wochenzeitschrift zitiert daraus den Vorwurf, die SPD in der Hauptstadt sei "intellektuell ausgebrannt". Es seien zahlreiche sachliche, aber auch personelle Fehler gewesen, die zu dem Wahldebakel geführt hätten.
Als Beispiele zieht Köhler die Verkehrs- und Schulpolitik seiner Partei heran. Die bittere Bilanz: Die Wählerinnen und Wähler hätten bei der Wahl "die Schnauze voll von SPD-Versprechungen" gehabt. "Es reichte einfach allen." Negativ aufgestoßen sei dem Wahlvolk aus Sicht von Köhler außerdem, dass niemand die Verantwortung für das Wahldesaster 2021 übernommen habe.
Im Prinzip, fasst Köhler zusammen, fehle der SPD das richtige Personal. Denn: Kaum eine:r der Senator:innen sei Sympathieträger:in. Den Stadtentwicklungssenator bezeichnet Köhler als "durchsetzungsschwach" und die Bildungssenatorin als "Totalausfall". Positiv erwähnte der frühere Giffey-Anwalt laut dem Bericht nur zwei Senator:innen der Linken: Kultursenator Klaus Lederer und Sozialsenatorin Katja Kipping.
Köhler wirbt in seinem Schreiben für einen radikalen Wechsel im Abgeordnetenhaus. Zwar spricht er sich weiterhin für ein linkes Bündnis aus SPD, Grünen und Linken aus. Allerdings unter der Prämisse "alles auf Anfang": Alle SPD-Senator:innen müssten durch neue Köpfe ersetzt werden. Und damit nicht genug. Der Anwalt fordert außerdem, dass alle Ressorts unter den Koalitionspartner:innen getauscht werden.
"Wir können nicht so tun, als ob alles beim Alten bleiben kann / darf. Dafür war unsere Wahlklatsche zu groß", zitiert der Spiegel. Was aus Sicht von Köhler aber wohl beim Alten bleiben soll: die Führung des Roten Rathaus. Giffey sollte Regierende Bürgermeisterin bleiben, meint er. Sollte es nicht erneut zu einem Linksbündnis kommen, sei die Große Koalition aus CDU und SPD für Köhler die beste Option.