Die Erleichterung, als im Bundesrat klar wurde, dass der Vermittlungsausschuss nicht angerufen werden wird, war bei vielen Menschen in Deutschland groß. Seit dem ersten April darf nun straffrei Cannabis konsumiert werden. Eine Trendwende in der Drogenpolitik. "Die Prohibition ist gescheitert", werden Gesundheitsminister Karl Lauterbach und sein Bundesdrogenbeauftragter Burkhard Blienert (beide SPD) nicht müde zu sagen.
Statt auf Verboten soll das Augenmerk fortan auf der Prävention liegen. Der Konsum soll außerdem sicherer sein, Harm Reduction nennt sich diese Herangehensweise auch. Dazu gehören unter anderem Drug-Checking-Angebote oder Fixer Stuben – aber eben auch die Cannabis-Freigabe und damit die Möglichkeit, eigenes Gras anzubauen oder einem Cannabis-Social-Club beizutreten.
Die Wahrscheinlichkeit, an qualitativ schlechtes oder womöglich gar gefährliches Gras zu geraten, dürfte so schrumpfen. Zwar ist Cannabis per se keine Droge, die beim Konsum zum Tod führen kann – geraten Konsument:innen aber an Blüten, die mit synthetischen Cannabinoiden besprüht wurden, sieht die potenzielle Gefahrenlage schon anders aus.
Die erste Säule der Cannabis-Freigabe hat die Ampel damit geschafft. Nun fordert der Drogenbeauftragte Blienert, auch Säule zwei, also die Modellversuche für den kommerziellen Handel zu beschließen. "Mit dem ersten Schritt schaffen wir erst einmal nur Verbesserungen für regelmäßig Konsumierende. Jetzt ist aber unbedingt notwendig, die Sache rundzumachen und die Modellprojekte als zweite Säule zu beschließen", sagte Blienert dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland".
"Erst damit sorgen wir dafür, dass auch Gelegenheitskonsumierende nicht mehr zum Dealer gehen müssen", betonte er. Wichtig sei, dass es beim Verkauf in staatlich lizenzierten Geschäften ein striktes Werbeverbot gebe und der Jugendschutz eingehalten werde.
Blienert freut sich über die Debatte, die wegen Cannabis geführt wird – und hofft, dass sich diese auch auf andere Suchtmittel ausweiten lässt. Denn für Blienert ist klar: Auch legale Suchtmittel, wie etwa Alkohol, müssen gesellschaftlich anders behandelt werden, als heute. In einem früheren Gespräch mit watson sagte Blienert:
Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Gesundheitsministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Stefanie Drese (SPD), forderte Blienert mehr Prävention für alle Suchtmittel. Das konkrete Problem in Mecklenburg-Vorpommern sei aktuell der Alkohol – und nicht nur dort. Bundesweit seien etwa vier Millionen Menschen alkoholabhängig. Mit Blick auf Mecklenburg-Vorpommern seien exorbitante Steigerungsraten zu erkennen, meint Drese. Gerade bei jungen Menschen.
Für Drese und Blienert ist deshalb klar: Es braucht eine Abkehr vom legalen begleiteten Trinken ab 14 Jahren. "Wir wollen die Gesellschaft wachrütteln, dass sich etwas ändern muss", sagt die Gesundheitsministerin dazu. Was es dafür brauche, seien auch Daten.
Drese hält einige parat:
Drese und Blienert fordern aufgrund dieser Zahlen mehr Prävention im Alkohol-Bereich. Die Ministerin will zudem vor ihre Kolleg:innen in den Ländern treten und dafür werben, gemeinsam das legale begleitete Trinken ab 14 Jahren abzuschaffen. Denn der Konsum von Alkohol sei für junge Menschen besonders schädlich, das Risiko eine Abhängigkeit zu entwickeln höher als im Erwachsenenalter. Besonders gefährdet: Kinder aus Suchtfamilien.
Deshalb sollte auch über den generellen Konsum Minderjähriger eine neue Debatte entstehen, findet Drese. Zudem müsse die Rolle von Werbung für alkoholische Produkte diskutiert werden. Selbst wenn sich all das nicht in ein Gesetz gießen lassen sollte, ist Drese überzeugt: auch die Debatte darüber kann schon einiges bewirken.
Ihr Vorstoß erfährt von Blienert großen Zuspruch. Er sagt: "Die Verfügbarkeit, die Sichtbarkeit und die Erreichbarkeit von Alkohol ist insgesamt zu groß. Wir verharmlosen das Problem. Ein Problembewusstsein ist aus meiner Sicht häufig nicht ausgeprägt. Ziel muss es sein: kein Konsum bei Kindern und Jugendlichen."
Auf die watson-Frage, wie der Suchtbeauftragte der Bundesregierung die Cannabis-Freigabe auf der einen Seite und ein Verbot einer bisher legalen Substanz auf der anderen Seite zusammenbringt, sagt er: "Kinder und Jugendliche sollten aus meiner Sicht keine Drogen konsumieren. Im Zuge der Cannabislegalisierung ist das aus meiner Sicht nur folgerichtig: Ab 18 Jahren ist hier der Konsum möglich."
Die Debatte, die nun weitergeführt werden müsse: "Wie stärken wir die Prävention und Jugendarbeit unabhängig der Cannabislegalisierung."
Anhand von Cannabis sei sehr gut zu sehen, dass ein Verbot nicht hilft und dennoch konsumiert wird. Anhand von Alkohol sei aber ebenfalls zu sehen, dass die zügellose Freigabe inklusive Werbung und gesellschaftlicher Auffassung ebenfalls schädlich ist. Deshalb gelte es, Gesundheitsschutz und Prävention weiter voranzutreiben, auch im Bereich der legalen Substanzen.