Die Szene spielt sich mitten in einer laufenden Debatte am Mittwoch im Bundestag ab. Die Linken-Abgeordnete Cansın Köktürk sitzt in der ersten Reihe, auf ihrem Shirt prangt der Schriftzug "Palestine". Bundestagspräsidentin Klöckner greift ein: "Wir haben uns vereinbart, und das sind die klaren Regeln des Hauses, dass weder Aufkleber noch sonstige Bekenntnisse auf T-Shirts eine Rolle spielen."
Klöckner erklärt, sie habe die Abgeordnete bereits gebeten, den Pullover zu wechseln – offenbar ohne Erfolg. "Dann würde ich Sie bitten, die Sitzung zu verlassen, bitte." Köktürk verlässt wütend den Saal – nicht ohne Geste in Richtung der Zwischenrufer:innen.
Der Vorfall mit dem "Palestine"-Shirt ist nicht der erste in diesem Jahr. Mitte Mai hatte Klöckner etwa bereits den Linken-Abgeordneten Marcel Bauer während einer Sitzung ermahnt, seine schwarze Baskenmütze abzunehmen – Bauer weigerte sich, verließ zunächst den Saal. Er kam mit Mütze zurück und wurde schließlich von Parlamentsvize Andrea Lindholz (CSU) ausgeschlossen.
Und auch Köktürk selbst war bereits im Visier. Im April hatte sie ein Foto von sich mit Kufiya – dem traditionellen Palästinensertuch – im Bundestag veröffentlicht. Aus der Union kam daraufhin prompt die Forderung, das Tragen solcher Symbole im Parlament grundsätzlich zu untersagen.
Doch was ist eigentlich erlaubt im Bundestag – und was verboten?
Eine offizielle Kleiderordnung existiert nicht. Stattdessen greifen Hausordnung, Geschäftsordnung und parlamentarische Tradition. In Paragraf 4 der Hausordnung heißt es, Besucher:innen hätten "die Würde des Hauses zu achten" und alles zu unterlassen, was die Tätigkeit des Bundestages "stört".
Diese Formulierung gilt auch für Kleidung – sobald sie als politische Demonstration oder Uniformierung interpretiert wird. Anna Rubinowicz-Gründler, Sprecherin der Bundestagsverwaltung, erklärt gegenüber dem "Tagesspiegel": "Es existiert keine Liste erlaubter oder verbotener Symbole." Entscheidend sei die Einzelfallbewertung – durch die Bundestagspräsidentin oder deren Vertretung.
Was bedeutet das in der Praxis? Welche Kleidung oder Gegenstände im Bundestag tatsächlich als Regelverstoß gewertet werden, zeigt ein Blick auf die bisherigen Fälle und die gängige Auslegung der Hausordnung.
Verboten sind demnach politische Slogans auf Kleidung, Aufkleber, Banner, Buttons oder Uniformierungen, die den Eindruck einer Demonstration oder politischen Zugehörigkeit erzeugen.
Auch Alltagsgegenstände können zum Problem werden, wenn sie eine bestimmte Wirkung entfalten – darunter Spielzeugwaffen, Fahnen oder sogar Eier, wie die Hausordnung ausdrücklich nennt. Kopfbedeckungen sind ebenfalls unzulässig, sofern sie nicht religiös oder medizinisch begründet sind.
Erlaubt ist, was sachlich und neutral daherkommt: formelle Kleidung ohne Botschaften, religiöse Symbole wie Kippa oder Turban, medizinisch notwendige Kleidung wie Mützen nach Chemotherapie – und in Ausnahmefällen Uniformen, etwa von Bundeswehrabgeordneten, mit Genehmigung.
Den "Palestine"-Schriftzug wertete Klöckner angesichts der angespannten Lage in Nahost offenbar als bewusst gesetztes, politisches Zeichen.
Dass sich Bundestagspräsidentin Klöckner nun mehrfach öffentlich und demonstrativ einschaltet, sehen viele als Zeichen für eine schärfere Auslegung der Regeln. Für die einen ist das eine überfällige Konsequenz.
Für SPD-Geschäftsführer Dirk Wiese ist die Sache eindeutig. Der Bundestag sei "kein Freizeitcamp für Selbstdarsteller, sondern der Ort der demokratischen Repräsentanz der Bürgerinnen und Bürger", sagte er dem "Tagesspiegel". Kleidung solle "Respekt vermitteln". Die Baskenmütze passe da ebenso wenig wie "ACAB"-Hoodies oder politische Statements auf T-Shirts.