Es ist ein breites Themenspektrum, das Philipp Türmer an diesem Abend im Willy-Brandt-Haus abarbeiten möchte. Der Juso-Vorsitzende moderiert das Auftakt-Plenum auf dem Europa-Kongress seiner Jugendorganisation. Ein Wochenende lang werden etwa 360 Jungsozialist:innen hier in Berlin gemeinsam ihre Skills für die Arbeit im Jugendverband stärken. Und sich auf die heiße Phase des Europa-Wahlkampfs vorbereiten.
Für den Auftakt hat sich Türmer Prominenz auf die Bühne geholt. Neben der Juso-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Manon Luther, diskutieren Tareq Alawos, der Sprecher von Pro-Asyl, und Klimaaktivistin Luisa Neubauer auf der Bühne. Das Themenspektrum weit gefasst, so wie die Gäste.
Behandelt werden dementsprechend die großen Fragen der Zeit: Klimakrise, Asylpolitik, Wirtschaft und Transformation. Klar wird schnell: Es muss sich etwas ändern. Weder funktioniert der gesamt-europäische Umgang mit Geflüchteten, noch mit der Bekämpfung der Klimakrise.
Klimakatastrophe und Sozialpolitik, macht Alaows deutlich, müssen zusammen gedacht werden. Denn die Klimakrise treffe gerade Menschen im globalen Süden, und dort besonders Frauen und Kinder. Das heißt: Diese Menschen müssten sich auf die Flucht begeben und am Ende kämen auch sie in Europa an. Nur um dann in unmenschlichen Außenlagern unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten zu werden, statt ihr Recht auf Asyl einfordern zu können, merkt der Menschenrechtler an.
Durch die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylgesetz (GEAS) habe sich die EU darauf geeinigt, Hunderte Morias zu errichten, bemängelt er. Die GEAS-Reform hat laut Kritiker:innen viele Schwächen, so würde sie etwa das individuelle Recht auf Asyl aushebeln. Auch Alaows sieht die Reform kritisch. Dabei gebe es aus seiner Sicht sehr wohl Möglichkeiten, Menschen fair zu verteilen. So könnten Geflüchtete etwa bei Familienmitgliedern untergebracht werden, sollten sich diese bereits in der EU befinden, schlägt Alaows vor.
Für Luisa Neubauer ist diese menschenfeindliche Politik und der deutsche Diskurs, der sich immer weiter nach rechts verschiebt, ein Risiko für Wirtschaft und Wohlstand. Sie kommt auf die neue Studie von Internations, einem globalen Netzwerk für internationale Fachkräfte, zu sprechen. Demnach belegt Deutschland Platz 49 von 53, wenn es um die Attraktivität für Expats geht. Ein Problem, stellt Neubauer klar, denn für wirtschaftliche Transformation brauche es auch Arbeitskräfte.
Gerade mit Blick auf das Erstarken rechter Kräfte in den Staaten der Europäischen Union, sei es umso wichtiger, dass bei der Europa-Wahl progressiv gewählt würde, meint Neubauer. "Progessive Mehrheiten in der EU können ein Back-Up für Europa sein", sagt sie. Das gelte auch in Bezug auf die Klimakrise.
Die meisten Gesetze im Klimabereich werden in Europa gemacht. Und Europa hat laut Neubauer eine besondere Verantwortung. Zwar werde hierzulande häufig auf China geschaut, auf Klimakonferenzen verhalte sich das aber anders. "Der Rest der Welt schaut auf Deutschland und Europa", stellt Neubauer klar. Die EU müsse mit gutem Beispiel vorangehen und die Wirtschaft und Energiebeschaffung schnell transformieren.
Einen Punkt, den auch Manon Luther unterstützt. Die Juso-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl stammt aus Niedersachsen. Ein Bundesland, das laut Juso-Chef Türmer zur Hälfte aus VW und zur anderen aus Landwirtschaft besteht. Auch dort sei das Thema wirtschaftliche Transformation zu spät angegangen worden, stellt Luther klar.
Die große Sorge – auch der Sozialdemokratie – sei gewesen, dass die Bevölkerung vor Ort verunsichert wird. Das Wort Transformation sollte am besten gar nicht in den Mund genommen werden, erinnert sich Luther.
Und heute: Durch den Inflation Reduction Act wird in den USA grüne Transformation von US-Unternehmen gefördert – und VW liebäugelt mit einer Verschiebung der Produktion. Transformation, schließt Luther daraus, sichert Arbeitsplätze der Zukunft. Ihr ist aber auch klar: Für ein solches Projekt braucht es die gesamte EU. In Brüssel will sie sich dafür einsetzen.
Insgesamt herrscht an dem Abend viel Einigkeit auf dem Plenum. Allen Diskutierenden ist klar: Es gibt viel zu tun, es muss gestritten werden. In ihrem Abschlussappell fordert Neubauer von den Anwesenden weiterhin kritisch und laut gegenüber der Mutterpartei SPD zu sein.
Auch Alaows stellt klar: Eine Antwort auf den Rechtsruck kann nicht sein, selbst nach rechts zu rücken. Bei den anwesenden Jungsozialist:innen stoßen die beiden damit auf offene Ohren. Besonders gut kommt auch Neubauers Einordnung von der Arbeit des Verkehrsministers Volker Wissing (FDP) an. Die Klimaaktivistin wünschte sich nämlich, dass Wissing bald einen anderen Job hat.
Denn auch wenn Deutschland nicht gerade verwöhnt in Sachen kompetente Verkehrsminister ist, handele Wissing nicht nur klimaschädlich, sondern als schlechtes Vorbild. Zur Erinnerung: Das Bundesverfassungsgericht hatte 2021 geurteilt, dass Klimaschutz Verfassungsrang habe. Dass Wissing und sein Verkehrsministerium chronisch gegen die Sektorziele verstoßen, zeige demnach, dass diese Entscheidung des Gerichtes umgangen werde. Eine Aussage, für die die Klimaaktivistin tosenden Applaus einfährt.