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FDP-Vorstoß: Das Papier der Liberalen und die Kritik dazu

Berlin, Deutschland, 17.01.2024: Deutscher Bundestag: Sitzungswoche, 146. Sitzung: Bundesfinanzminister Christian Lindner, FDP, h
Finanzminister Christian Lindner ist der Vorsitzende der Freien Demokraten.Bild: www.imago-images.de / imago images
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FDP-Vorstoß: Was es mit dem Papier der Liberalen auf sich hat und warum es kritisiert wird

22.04.2024, 12:0322.04.2024, 12:05
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Die FDP tut es wieder. Mit einem 12-Punkte-Papier stößt die kleinste Koalitionspartei ihre Partnerinnen SPD und Grüne vor den Kopf. Ein Konzeptpapier für die Wirtschaftswende, das die gemeinsam getroffenen Entscheidung der Ampelregierung konterkarieren dürfte.

Vorgestellt und beschlossen werden, soll der 12-Punkte-Plan Ende April. Auf dem Parteitag der FDP am letzten Aprilwochenende soll darüber abgestimmt werden. Der Plan sorgt bereits im Vorfeld für scharfe Kritik und ein Frohlocken der Union.

Was aber hat es mit den Wirtschaftsplänen der FDP auf sich? Wieso stößt sie dabei die Ampel vor den Kopf? Und warum sind einige Punkte problematisch? Watson klärt die wichtigsten Fragen für dich.

Was hat es mit dem Papier auf sich?

Zu den Forderungen gehört, dass den sogenannten "Totalverweigerer:innen" sofort 30 Prozent ihrer Bürgergeld-Bezüge gekürzt werden können. Bislang ist eine solche Kürzung nur stufenweise möglich – und auch nur mit Maßband.

Denn das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat entschieden, dass Kürzungen von 30 Prozent nur unter ganz bestimmten Bedingungen möglich sind. So sei es etwa verfassungswidrig, wenn bei der sanktionierten Person besondere Härten vorlägen, etwa Krankheit. Auch müsse ein Ende der Sanktionierung immer möglich bleiben, sollte die Bezieher:in doch kooperieren.

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Mit der Bürgergeld-Reform hat die Ampel den "Vermittlungsvorrang", der unter Hartz-IV galt, aufgehoben. Heißt: Es ist nicht mehr das vorrangige Ziel, Menschen in irgendein Beschäftigungsverhältnis zu schieben. Stattdessen wird ein Fokus auf Weiterbildungen und Umschulungen gelegt. Bislang finden Sanktionierungen zudem gestaffelt statt:

  • Zehn Prozent Minderung für einen Monat bei der ersten Pflichtverletzung.
  • 20 Prozent Minderung für zwei Monate bei der zweiten Pflichtverletzung.
  • 30 Prozent Minderung für drei Monate bei der dritten Pflichtverletzung.

Durch Inkrafttreten des Haushaltsfinanzierungsgesetzes dürfen die Jobcenter seit Ende März das Bürgergeld bei Verweigerung auch wieder für zwei Monate komplett streichen – fraglich, ob das vor Gericht standhalten würde, schließlich hat Karlsruhe die komplette Streichung bereits bewertet. Damals urteilte das Gericht: Es sei nicht nachgewiesen, ob diese Sanktionen wirklich etwas bringen. Sie könnten sogar kontraproduktiv sein.

Aber die Liberalen wollen in ihrem Plam nicht nur an die Ärmsten der Gesellschaft ran. Auch die Möglichkeit, bereits mit 63 Jahren (und Abzügen) in Rente zu gehen, soll gestrichen werden. Die FDP will also dafür sorgen, dass Arbeitnehmer:innen länger arbeiten müssen. Und nicht nur im Alter. Der Überstundenvorstoß findet auch in diesem Wirtschafts-Plan seinen Platz.

Dabei geht es um eine Forderung von Finanzminister Christian Lindner (FDP): Vollzeitarbeitende sollen "Lust auf Überstunden" bekommen. Dafür will der Finanzminister eine gewisse Anzahl an Stunden ab der 41. Arbeitsstunde in der Woche von der Steuer befreien.

Weitere Maßnahmen für den Wirtschaftsmotor soll zudem der Bürokratieabbau auf mehreren Ebenen sein. Eine Forderung, die bereits im Koalitionsvertrag der Ampelparteien festgehalten ist. Viel passiert ist auf diesem Feld bislang allerdings nicht. Abgeschafft werden soll zudem die Förderung von Wind- und Solarkraft.

Warum sind einige Vorschläge problematisch?

Tatsächlich war die Zahl von Bürgergeldempfänger:innen, denen Leistungen wegen der Ablehnung von Arbeitsangeboten gekürzt wurden, im vergangenen Jahr überschaubar. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) gab es von Februar bis Dezember 2023 insgesamt 15 774 Fälle – bei insgesamt rund 5,5 Millionen Bürgergeld-Beziehende, von denen 3,9 Millionen als erwerbsfähig gelten. Für Januar 2023 liegt keine Differenzierung nach Gründen vor.

Insgesamt zählten die Jobcenter im vergangenen Jahr mehr als 226 000 Fälle von Leistungskürzungen. Die meisten (84,5 Prozent) erfolgten demnach, weil die Betroffenen ohne Angabe eines wichtigen Grundes nicht zu Terminen erschienen waren.

Auch die Überstunden-Regelung hat einen Beigeschmack: Meistens wird Mehrarbeit nämlich gar nicht bezahlt. In vielen Verträgen steht, dass Überstunden mit dem Gehalt abgegolten seien. Laut "Statista" standen etwa im Jahr 2023 554 Millionen bezahlte Überstunden 745 Millionen unbezahlten Überstunden gegenüber. Von der Maßnahme dürften zudem vor allem Spitzenverdiener:innen profitieren – und vor allem Männer. Das zumindest legt eine Studie aus Österreich nahe.

Auch in Deutschland werden gerade in den niedrigeren Einkommenssegmenten Überstunden oftmals nicht bezahlt, wie eine Erhebung der Hans-Böckler-Stiftung nahelegt. So sei der Anteil der geleisteten Überstunden etwa im Sozial- und Gesundheitsbereich besonders hoch. Rekordhalter: Erzieher:innen. Etwa 45 Prozent gaben an, häufig unbezahlte Überstunden zu leisten.

Welche Kritik gibt es?

Kritik gibt es aus den Reihen der eigenen Regierungskoalition. So fühlt sich wohl gerade die SPD auf die Füße getreten. SPD-Politiker Helge Lindh sagte der "Bild" dazu: "Wenn die FDP das ernst meinen würde – also jetzt umzusetzen gedenkt – dann liest sich das Papier wie eine Austrittserklärung aus der Koalition."

Auch CSU-Chef Markus Söder geht laut der Zeitung von einem Scheidungsurteil aus. Die Union wirbt allerdings schon seit einer Weile für Neuwahlen und versucht jede Ampel-Streiterei als Ende der Koalition zu stilisieren.

Klar ist aber auch: Sollte die FDP es auf ein Ende der Koalition abgesehen haben, dürfte es für sie eng werden mit einem erneuten Einzug in den Bundestag. Die Umfragewerte der Liberalen sind im Keller, eine Neuwahl könnte ihnen das Genick brechen.

Generalsekretär Kevin Kühnert (SPD) verwies im Gespräch mit dem "Tagesspiegel" darauf, dass die Grundlage des Handelns der Ampel der Koalitionsvertrag bleibe. Sozialkürzungen lehnt die SPD entschlossen ab. Die Grünen haben sich bislang nicht geäußert.

(Mit Material der dpa)

Neuwahlen im Februar: Müssen wir den Bundestag jetzt immer im Winter wählen?

Die Bundestagswahl wird nach dem Ende der Ampelkoalition voraussichtlich am 23. Februar 2025 stattfinden. Darauf haben sich die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Rolf Mützenich, und CDU, Friedrich Merz, geeinigt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der den Wahltermin nach Auflösung des Bundestags bestimmen muss, erklärte den Zeitpunkt nach einem Gespräch mit den Fraktionsspitzen für "realistisch".

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