Politik
Die Stimme

Ukraine-Krieg: Soldaten schildern ihren Weg an die Front

Combat medic Yara Chornohuz stands in the doorway of her reconnaissance unit’s base in eastern Ukraine.
Die Ukrainerin Yaryna Chornohuz wollte Kinder, ein Haus in den Bergen, die Welt bereisen, nun rettet sie Leben als Militärsanitäterin an der Front.Bild: bild / Oliver Marsden
Die Stimme

Zwei Jahre Ukraine-Krieg, aber ein Wille: "Wir kämpfen oder sterben"

24.02.2024, 08:2327.02.2024, 15:44
Mehr «Politik»

Seit zwei Jahren leben die Menschen in der Ukraine mit der Angst vor russischen Raketen. Mit der Furcht, wenn eine geliebte Person nicht mehr auf Anrufe reagiert. Mit Schmerz, wenn Eltern in die Augen ihrer Kinder blicken, für die sie sich so viel mehr gewünscht haben.

Ein Leben in Freiheit, Sicherheit und Frieden.

Seit 730 Tagen kämpft die Ukraine ums Überleben. Am 24. Februar 2022 rissen Explosionen die Menschen in Kiew aus dem Schlaf. Ihr Leben sollte sich komplett verändern – die gesamte Weltordnung geriet an diesem Morgen aus den Fugen.

FILE - Natali Sevriukova reacts next to her house following a rocket attack the city of Kyiv, Ukraine, on Feb. 25, 2022. By ending 77 years of almost uninterrupted peace in Europe, war in Ukraine war  ...
Eine Frau steht einen Tag nach Beginn des russischen Überfalls vor ihrem zerstörten Haus in Kiew.Bild: AP / Emilio Morenatti

Russland startete eine völkerrechtswidrige Invasion. In wenigen Tagen wollte der russische Machthaber Kiew einnehmen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj blieb in der Hauptstadt und ebnete mit seinen berühmten Worten wohl den Weg des Widerstandes: Er brauche keine Mitfahrgelegenheit, sondern Munition.

Zwei Jahre später wehrt das Land noch immer den aggressiven Angriffskrieg ab. Doch für andere dauert der Krieg schon viel länger.

Yuliy kämpft seit zehn Jahren gegen Russland

"Für mich begann der Krieg viel früher", sagt der ukrainische Soldat Yuliy Terekhov im watson-Gespräch. Im Februar 2014 demonstrierte er auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Bei der sogenannten Euromaidan-Revolution forderten zehntausende Menschen eine Annäherung an die Europäische Union.

Die Proteste schlugen in Gewalt um, der damalige prorussische Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch, floh nach Russland. Nur wenig später annektierte der Kreml die Krim und begann den Krieg in der Ostukraine.

"Ich habe den militärischen Eid auf dem Flughafen von Donezk abgelegt. Aufgrund der Besetzung eines Teils des ukrainischen Territoriums hatte ich das Bedürfnis, mein Land zu verteidigen", sagt der 27-Jährige. Er habe gewusst, dass es unweigerlich zu einem umfassenden Krieg kommen würde, und es nur eine Frage der Zeit sei.

Yuliy Terekhov kämpfte bereits 2014 in der Ostukraine.
Yuliy Terekhov kämpfte bereits 2014 in der Ostukraine. bild / Yuliy Terekhov

Heute dient er als Hauptmann in den ukrainischen Streitkräften. Seinen aktuellen Alltag fasst er so zusammen: "Kälte, Schlamm und ein gemischtes Gefühl aus Angst und Hass für den Feind."

Immer wieder sehe er, wie sich die Menschen an der Front verändern. "Sie kommen zu uns, denken, sie kennen den Krieg von Youtube-Videos. Doch dann prallt die Realität auf sie ein. Daher versuchen wir, Zivilisten zu ermutigen, sich auf den Militärdienst vorzubereiten, um diesen Übergang zu erleichtern." Yuliy habe viele Kamerad:innen verloren und doch spricht er mit ruhiger Stimme darüber. Allgemein strahlt er Gelassenheit aus.

"Wenn ich über all die Verluste und die Schrecken des Krieges spreche, klinge ich vielleicht etwas kalt", meint er. Aber als Berufssoldat sei er abgehärtet. Der Krieg ist laut ihm zu einem traurigen Alltag geworden.

Yuliy Terekhov kämpft seit 2014 für die Unabhängigkeit der Ukraine.
Yuliy Terekhov kämpft seit 2014 für die Unabhängigkeit der Ukraine. bild / Yuliy Terekhov

Aber auch Yuliy sei am Ende nur ein Mensch, dem es nicht immer gelinge, so ruhig zu bleiben. Der Krieg schweiße ihn und seine Kamerad:innen zusammen. "Viele von ihnen haben eine Familie, du willst sie zu ihnen zurückbringen. Das schlimmste Gefühl ist es, seine Kameraden, ja Freunde, zu begraben", sagt er mit leiser Stimme. Mit der Hand reibt er sich über seinen Dreitagebart. Auch er habe eine 6-jährige Tochter, an die er immer denkt.

Sie gebe ihm Kraft durchzuhalten, sowie die Angst, was aus ihr und seinem Land wird, sollte Russland den Krieg gewinnen. Dafür opfern viele Ukrainer:innen ihr Leben, meint Yuliy.

Er führt aus:

"Der Krieg ist hart, schmutzig und erschreckend. Der Verlust eines Waffenbruders ist eine schwere Last, die auf unsere Schultern fällt, aber sie zwingt uns nicht in die Knie. Im Gegenteil: Diese Last motiviert uns, unseren Job noch besser und effektiver zu erledigen."

Doch er will nicht lügen: "Wir sind müde." Die ständige psychische und physische Belastung hinterlässt ihre Spuren. Die ukrainischen Truppen können laut ihm nicht oft rotieren und eine Pause einlegen. Auch schlafe der Feind nicht; das russische Militär entwickelt sich Yuliy zufolge weiter und nutzt neue Technologien. "Auch wir lernen jeden Tag dazu. Die Modernisierung der Truppen ist wichtig, sie rettet Leben."

Aber wenn es um Waffen und Ausrüstung geht, ist die Ukraine auf Hilfen aus dem Westen angewiesen – vor allem aus den USA. Dort kippt die Stimmung allerdings zunehmend unter den Republikanern. Im November könnte Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewinnen, der sich immer wieder negativ zur Ukraine äußert.

Trotz all der Probleme sei die Stimmung an der Front aber positiv und der Glaube an den Sieg unerschüttert, betont der ukrainische Soldat. "Wir zweifeln nicht daran, ob all die Verluste, die wir ertragen, es am Ende wert sind", sagt er. Die Ukraine wolle gewinnen – "und wir werden weiter kämpfen, selbst ohne Hilfe aus dem Westen."

Er und seine Kamerad:innen seien zwar keine Roboter, aber "extrem motiviert" und die Zivilist:innen sehr widerstandsfähig. "Aber natürlich würde das nicht spurlos an uns vorbeigehen, sollten etwa die USA die Ukraine fallen lassen. Wir sind auf die Fortsetzung der militärischen Hilfe unserer Partner angewiesen", sagt er. Mit Unterstützung könne die Ukraine den Feind effektiver besiegen.

Watson ist jetzt auf Whatsapp
Jetzt auf Whatsapp und Instagram: dein watson-Update! Wir versorgen dich hier auf Whatsapp mit den watson-Highlights des Tages. Nur einmal pro Tag – kein Spam, kein Blabla, nur sieben Links. Versprochen! Du möchtest lieber auf Instagram informiert werden? Hier findest du unseren Broadcast-Channel.

Als Poetin zog Yaryna an die Front und rettet Leben

"Die Menschen müssen begreifen, wenn die Ukraine aufgibt, ist Russland in wenigen Tagen in Kiew, und die werden nicht Halt machen", sagt auch die ukrainische Soldatin Yaryna Chornohuz im watson-Gespräch.

Auch für Yaryna änderte sich ihr Leben 2014 mit der Euromaidan-Revolution. Sie erlebte die Proteste von Anfang bis Ende und hatte schon lange das Gefühl, dass sie an den Kämpfen teilnehmen wolle. Alles änderte sich für sie sechs Jahre später, als ihr Partner im Gefecht in der Ostukraine starb. Für Yaryna sei der Schmerz nur ertragbar gewesen, indem sie dem Weg ihres Geliebten folgte, der sein Leben für die Unabhängigkeit verlor.

"Die Verteidigung der Gegenwart ist die Bewahrung der Erinnerung an das, wofür man bereit ist, notfalls sein Leben zu geben", sagt Yaryna. 2020 zog sie ins Militär ein. Heute dient die 28-Jährige im 140. Marine-Infanterie-Bataillon, dabei ist sie studierte Philologin und Literaturwissenschaftlerin, schreibt Poesie und hat bereits Bücher veröffentlicht.

Nun rettet sie Leben an der Front als Militärsanitäterin.

Yaryna Chornohuz verarbeitet die angestaute Wut durch den Krieg mit Poesie.
Yaryna Chornohuz verarbeitet die angestaute Wut durch den Krieg mit Poesie. bild / facebook Yaryna Chornohuz

Das Schreiben helfe ihr, mit dieser gigantischen Wut umzugehen. Ihre Stimme stockt, sie macht lange Pausen, schaut ins Leere, als suchte sie nach Worten. Schließlich sagt sie: "Der Krieg hat mich vieles gelehrt. Ich verstehe jetzt viele Dinge besser als zuvor."

Ihr aktuelles Buch trägt den Titel: "Dasein: Verteidigung der Gegenwart". "Im Krieg wird einem das Hier und Jetzt besonders deutlich, weil man weiß, dass der Tag, die Woche, der Monat – je nach Aufgabe – der letzte sein könnte", sagt Yaryna. In ihren Texten verarbeitet sie das Erlebte in Städten wie Mariupol, Sewerodonezk, in vielen Dörfern und Stadtrandgebieten.

Sie habe oft Flashbacks von Menschen, die vor ihren Augen getötet wurden. Gerade in den ersten Wochen des russischen Überfalls seien viele gestorben. Denn: "Die Truppen waren noch klein, es gab noch keine Mobilmachung." Zudem war viel Militär der Ukraine zu Kriegsbeginn im Osten des Landes stationiert.

"Wir kämpften mit Gewehren gegen eine russische Streitmacht, die zehnmal so groß war wie wir. Wir verloren viele Waffenbrüder", sagt sie. In ihren feuchten Augen spiegelt sich das Sonnenlicht. Erneut hält sie inne, blickt wieder ins Leere. "Wir konnten sie nicht mitnehmen", fügt sie mit zittriger Stimme an. Das sei ein Moment, der sich für ewig in ihr Gedächtnis eingebrannt habe.

Auch erinnert sie sich daran, wie sie einen verletzten Soldaten sieben Stunden lang unter Beschuss in Sicherheit schleppte. Um all das zu verarbeiten, suche sie heute Hilfe bei einem Therapeuten. Auch sie fühle diese tiefe Müdigkeit, die Yuliy beschreibt. "Aber wir kämpfen oder sterben, eine andere Option gibt es nicht. Selbst dann sollte die Unterstützung für unser Land schwinden", sagt sie. Aber mit Hilfe würden weniger Ukrainer:innen sterben, fügt sie hinzu.

Die Soldatin Yaryna hat sich erneut verliebt. Mittlerweile dient sie mit ihrem Ehemann Petro in der gleichen Einheit.
Die Soldatin Yaryna hat sich erneut verliebt. Mittlerweile dient sie mit ihrem Ehemann Petro in der gleichen Einheit.bild / facebook yaryna chornohuz

Ihr größter Wunsch sei es, dass Russland zusammenbräche und die Ukraine in Frieden leben könnte. "Zuvor können wir nicht über Frieden sprechen, nicht, solange die Russen unsere gestohlenen Kinder erziehen und in unseren Häusern leben."

Deal für den Krieg? Putin schickt Zootiere an Jong-un

Russland und das abgeschottete Nordkorea nähern sich politisch immer weiter an. Im Juni dieses Jahres besuchte der russische Machthaber Wladimir Putin Nordkorea. Es waren 24 Jahre seit seinem ersten Besuch vergangen.

Zur Story