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Türkei: Erdogans deutsche Gefangene – Angehörige macht Behörden schwere Vorwürfe

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan lässt Anhänger:innen der Gülen-Bewegung brutal verfolgen. Bild: IMAGO/APAimages
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Türkei: Erdoğans deutsche Gefangene – Angehörige prangert Behördenversagen an

16.12.2022, 13:3517.12.2022, 08:53
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Als sie ihm im Juli im Besucherraum eines türkischen Gefängnisses gegenüber sitzt, hat Esma ihren Vater seit knapp drei Jahren nicht mehr gesehen. "Ich habe fast an der Scheibe geklebt", berichtet sie im Gespräch mit watson. So nah wie irgend möglich wollte sie ihm sein.

Der Mann hinter dem Sicherheitsglas heißt Yasin O. Er ist deutscher Staatsbürger, in Deutschland aufgewachsen und arbeitete vor seiner Verhaftung im August 2019 als Flugzeugschlepperfahrer.

Er sitzt in der Türkei im Gefängnis, weil ihn das Erdoğan-Regime beschuldigt, ein Terrorist zu sein. Doch Yasin O. hat keine Bombe gebaut und auch keinen Anschlag geplant. In den Gerichtsunterlagen zu seinem Fall, die watson vorliegen, ist davon zumindest keine Rede.

Sieben Jahre Haft wegen Whatsapp-Chats

Nein, der Deutsche wurde zu sieben Jahren Haftstrafe verurteilt, weil er mit den falschen Leuten chattete und die falschen Videos auf seinem Handy hatte. Videos von Türkeis Staatsfeind Nummer Eins: dem Prediger Fethullah Gülen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wirft Gülen und seinen Anhänger:innen vor, 2016 einen Militärputsch gegen ihn angezettelt zu haben. Jeder und jede, der oder die mit dem im Asyl lebenden Prediger in Verbindung gebracht wird, wird deshalb bestraft, verfolgt, eingesperrt.

Wie resolut Erdoğan dabei vorgeht, mussten Yasin O. und seine Familie schmerzhaft erfahren.

Esma beteuert im Interview mit watson die Unschuld ihres Vaters Yasin.
Esma beteuert im Interview mit watson die Unschuld ihres Vaters Yasin. bild: privat

Seit drei Jahren sitzt O. in türkischer Haft. Unschuldig, beteuert seine Tochter. Er sei ein friedliebender Vater, kein Extremist, sagt sie. "Er sympathisiert mit Gülen und hört gerne seine Predigten. Das macht ihn aber nicht zum Terroristen", findet die 28-Jährige.

In die Fänge der türkischen Behörden kam O. im August 2019. Die Polizei erwischte ihn, als er Freunde der Familie außer Landes schaffen wollte. Sie sind wie er Gülen-Anhänger und fürchteten sich vor politischer Verfolgung, sagt Esma.

O. landete in Untersuchungshaft. Die Sicherheitsbehörden beschlagnahmten sein Handy – und fanden darauf das, was dem Deutschen letztendlich zum Verhängnis werden sollte: Videos von Predigten Gülens und Gruppenchats mit anderen Mitgliedern der Bewegung.

Laut dem zweiten Obersten Strafgerichtshof in Edirne hat er sich damit dem "Verbrechen der Mitgliedschaft einer bewaffneten Organisation" schuldig gemacht.

January 11, 2019, Saylorsburg, PA, USA: Fethullah Gulen sits among his guests during an afternoon prayer at his property in Saylorsburg. Donald Trump s white house explored cutting grants for a networ ...
Das geistliche Oberhaupt der Gülen-Bewegung, Fethullah Gülen, lebt seit 1999 in den USA im Exil. Bild: IMAGO / ZUMA Wire

Seit dem Putschversuch 2016 wird die Gülen-Bewegung in der Türkei als "Fethullahistische Terrororganisation", kurz FETÖ, bezeichnet. Dass der Prediger und seine Anhänger:innen wirklich hinter dem gescheiterten Aufstand stecken, darf aber bezweifelt werden. Nach Einschätzung des Bundesnachrichtendiensts (BND) gibt es dafür keine Anzeichen.

Gülen-Bewegung laut BND nicht terroristisch

Auch dass die Bewegung extremistisch oder gar terroristisch ist, wie die türkische Regierung behauptet, stimmt laut BND nicht. Zu diesem Schluss kam der deutsche Geheimdienst bereits 2017. Seitdem sind vermehrt auch kritische Stimmen gegen die Bewegung laut geworden.

Gülen-Bewegung in Deutschland
Die rund 300 Vereine der Bewegung erreichen laut der Stiftung Dialog und Bildung in Berlin – Gülens Sprachrohr in Deutschland – rund 100.000 Menschen. Statt Moscheen betreibt die Bewegung Bildungseinrichtungen und steht für eine Lehre, die westliche Bildung und islamisch-konservative Werte verbinden will.

Ein interner Bericht der deutschen Botschaft in Ankara beschrieb 2018 sektenähnliche Dynamiken und einen "konspirativen Kern", der "in seiner Struktur an Erscheinungsformen organisierter Kriminalität" erinnere. Recherchen des SWR haben 2022 ergeben, dass die Gülen-Bewegung in der Türkei nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt hat, um an Einfluss zu gewinnen und Anhänger:innen unter Druck zu setzen.

Auch der Wissenschaftler Yunus Ulusoy von der Essener Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung äußerte 2021 gegenüber "Zeit Online" Zweifel daran, dass die Bewegung die nach außen betonten demokratischen Werte wirklich lebt.

Trotz solcher Bedenken gibt es nach Einschätzung der deutschen Verfassungsbehörden keinen Anlass, die Gülen-Bewegung in Deutschland zu beobachten oder als gefährlich einzustufen.

Das Bundesamt fÃ_r Verfassungsschutz (BfV) in Chorweiler. Das Verwaltungsgericht Köln hatte dem Bundesamt fÃ_r Verfassungsschutz unter Amtschef Thomas Haldenwang zuletzt vorerst untersagt, die Partei ...
Verfassungsschutz und BND stufen die Gülen-Bewegung nicht als gefährlich ein. Bild: Geisler-Fotopress / Christoph Hardt/Geisler-Fotopres

Auch Esma kennt die Kritik, die Außenstehende häufig gegenüber der Gülen-Bewegung äußern. "Wir sind keine Sekte, sondern offen gegenüber allen anderen Kulturen", betont sie. Es ginge den Mitgliedern um Bildung und Gemeinschaft und das sei es auch, was ihr Vater an der Bewegung so schätze.

"Wäre er ein 'richtiger Deutscher', hätte er einen deutschen Namen, wäre er schon längst wieder raus."
Esma über ihren in der Türkei inhaftierten deutschen Vater.

Von den deutschen Behörden ist die Familie schwer enttäuscht. "Sie haben ihn nur einmal besucht, nicht mal beim Urteil sind sie erschienen. Sie haben nichts gemacht, nur gesagt: 'Wir können uns in türkische Justizangelegenheiten nicht einmischen.'" Esma ist sich sicher: "Wäre er ein 'richtiger Deutscher', also hätte er einen typischen deutschen Namen, wäre er schon längst wieder raus." Auch ihr Vater glaubt das, sagt sie.

Familie leidet unter Untätigkeit der deutschen Behörden

Esma verweist zudem auf den Fall Deniz Yücel. Der bekannte deutsche Journalist war von 2017 bis 2018 insgesamt 290 Tage in der Türkei inhaftiert. Ranghohe deutsche Politiker verhandelten damals und erwirkten schließlich seine Freilassung. "Deniz Yücel haben sie rausgeboxt, aber normalen Menschen wird nicht geholfen", sagt Esma. Und sie ist wütend.

29.11.2019 Dortmund Journalist Deniz Y�cel macht auf seiner Lesereise Halt in Dortmund. In der Reihe Talk im DKH Dietrich-KeuningHaus, ein Kulturzentrum im Dortmunder Norden stellt er sein Buch Agentt ...
Deniz Yücel ist 2018 aus türkischer Haft entlassen worden, nachdem sich die Bundesregierung eingeschaltet hatte.Bild: imago images/Cord

Von watson mit dem Schicksal Yasin O.'s konfrontiert, heißt es vonseiten des Auswärtigen Amtes nur: "Der Fall ist uns bekannt. Die Botschaft betreut den Betroffenen konsularisch, auch im Rahmen von Haftbesuchen." Zu Einzelfällen äußere man sich grundsätzlich aber nicht im Detail.

64 Deutsche in türkischen Gefängnissen

Stand Oktober saßen laut dem Auswärtigen Amt 64 deutsche Staatsangehörige in der Türkei in Haft. Wie viele davon als vermeintliche Terroristen im Gefängnis sitzen, darauf will die Sprecherin nicht eingehen.

Anfang Dezember hat Esma ihren Vater erneut im Gefängnis besucht. "Er hat stark abgenommen", sagt sie. Von einem ehemaligen Mithäftling hat sie erfahren, dass er sich mit 24 Personen eine Zelle teilt, die eigentlich für acht Menschen ausgelegt ist. Teilweise schlafen sie dort ohne Matratze auf dem Boden.

Wegen der psychischen Belastung habe er sich Medikamente verschreiben lassen, erzählt Esma. Seine leise Hoffnung, die deutschen Behörden würden spätestens jetzt den Ernst der Lage erkennen, habe sich jedoch nicht erfüllt, sagt sie. "Auch das hat sie nicht interessiert."

Wirtschaftsministerium korrigiert CDU-Politiker Jens Spahn

"Bettelte Habeck um französischen AKW-Strom?" So lautet die Überschrift eines Artikels der "Bild" vom vergangenen Mittwoch. Die Zeitung bekam Zugang zu Briefen zwischen dem deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und der französischen Energieministerin Agnès Pannier-Runacher aus dem Jahr 2022.

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