Er ist jung, charismatisch, homosexuell und der neue Premierminister Frankreichs. Gabriel Attal legt mit seinen 34 Jahren eine politische Blitzkarriere hin. Dabei zeigt er sich auch auffällig mutig.
2018 hielten Anhänger:innen der Gelbwestenbewegung Frankreich in Atem. Als sie im Dezember die Champs-Élysées zerlegten, wagte sich am selben Tag ein einziges Regierungsmitglied vor die Kameras, um sich den unbequemen Fragen der Journalist:innen zu stellen: Attal. Er meisterte den Auftritt souverän.
Reden kann er. So ist es nicht verwunderlich, dass Attal seinen Durchbruch dem Posten als Regierungssprecher verdankt, auf dem er sich von 2020 bis 2022 als äußerst medientauglich erwies. Doch von vorne: Der Jungpolitiker weist eine ungewöhnlich rasante Karriere auf.
Nach einem Studium an der Elitehochschule Sciences Po hatte sich Attal zunächst in der sozialistischen Partei engagiert und war dann einer der frühesten Weggefährten Emmanuel Macrons, als dieser seinen Wahlkampf für die Präsidentschaft begann. Mit 29 Jahren wurde er als Staatssekretär für die Jugend das jüngste Regierungsmitglied.
Alle paar Monate stieg er weiter auf, wurde Regierungssprecher, beigeordneter Haushaltsminister und vor knapp einem halben Jahr Bildungsminister – und nun Regierungschef. Dabei katapultierte er sich auch auf der Beliebtheitsskala französischer Politiker:innen weit nach oben.
"Viele sprechen von Attals kometenhaftem Aufstieg dank seiner Arbeit und seiner Intelligenz", meint der Franzose Laurent Giordano auf watson-Anfrage. Gleichzeitig prangern laut ihm viele die Tatsache an, dass er eigentlich gar keine Bilanz vorweisen kann.
Giordano arbeitet in einer Marketing-Agentur in Paris. Für watson ordnet er ein, was hinter dem Hype um Attal wirklich steckt.
"Man kann ihn für nichts beurteilen, da er bisher nie lange im Amt geblieben ist. Auch hier verkörpert er den perfekten Emporkömmling, der nur an seine Karriere denkt", meint Giordano. Als Beispiel dazu betont er: Vor seinem Amtsantritt war Attal nur sechs Monate lang Bildungsminister. "Er hat also nichts getan, außer über das Autoritätsproblem in französischen Schulen zu sprechen und darüber, dass man diese wiedererlangen müsse", führt er aus.
Als Bildungsminister setzte Attal unter anderem ein Verbot der von manchen muslimischen Mädchen getragenen, langen Überkleider an Schulen durch. Außerdem sprach er sich für das probeweise Einführen von Schuluniformen aus – beides Anliegen, die vor allem der rechten Wählerschaft gefallen sollten. Als Bildungsminister bekannte Attal auch freimütig, dass er in seiner Jugend Mobbing erlebt hatte und wegen seiner Homosexualität und seiner jüdischen Herkunft angefeindet worden sei.
Neben Attals Alter stehe auch immer wieder seine Homosexualität im Fokus, meint Giordano. Obwohl er diese gar nicht so offen nach außen trage. Er sagt: "Bei seiner Ernennung zum Premierminister handelt es sich vor allem um einen Kommunikationscoup. Man spricht mehr über seine Jugend als über etwas anderes."
Dabei gleicht das Profil des Franzosen dem des Präsidenten vor wenigen Jahren. Macron war nur fünf Jahre älter als Attal, als er 2017 erstmals die Präsidentschaftswahl gewann. Für Giordano steht fest: "Attal ist vor allem ein Symbol."
Er führt aus:
Zusammenfassend: Wenn es um Attal geht, befinde sich Frankreich in einer "I don't care"- oder "Wait and see"-Stimmung. Allerdings werfe man Attal etwa seinen "Parisianismus" vor. Sprich, er sei ein reines Produkt der Pariser Elite ohne Verdienste. "Was eindeutig stimmt, was ihn aber natürlich nicht weniger intelligent macht", sagt Giordano.
Allerdings sei das ein allgemeines Problem. "Der gesamten neuen Regierung wird vorgeworfen, komplett aus Paris oder der Île-de-France zu stammen und den Rest Frankreichs nicht im Blick zu haben, was das Bild einer bürgerlichen Isolation vermittelt", sagt der in Paris arbeitende 38-Jährige.
Der Pluspunkt von Attal: Er ist wohl fähig, sowohl in rechten als auch in linken Gewässern zu schwimmen.
So fanden einige Vorhaben von Attal auch Anklang beim rechtsextremen Rassemblement National (RN), dem größten Gegner von Macron. Etwa seine Forderung, das muslimische Gewand Abaja aus den Schulen zu verbannen. "Attal spricht also wie ein rechter Politiker als Nachfolger eines linken Ministers", meint Giordano. Das reiche schon aus, um ihn populär zu machen, da die französische Bevölkerung immer mehr nach rechts abdrifte.
Giordano führt aus, dass der vorherige Bildungsminister Pap Ndiaye im Gegensatz zu Attal sehr fortschrittlich gewesen sei. Und das löste ein Entsetzen unter den rechten und rechtsradikalen Politiker:innen aus. Die rechtspopulistische Politikerin Marine Le Pen nannte die Ernennung Ndiayes "fürchterlich" und einen Beitrag zur "Zerstörung der Werte und der Zukunft des Landes". Der Republikaner Éric Ciotti bezeichnete Ndiaye einen "Links-Islamisten" – dann kam Attal als Ablöse.
Laut Giordano wird dadurch sehr deutlich, dass Macron keine klare Linie fährt. Sprich, er ändere seine Ideologie ständig: linker Minister, dann rechter Minister. "Aus diesem Grund spricht man in Frankreich von Macrons 'politique en même temps', also von der 'Politik der Gleichzeitigkeit'. Er kann sich einfach nicht positionieren."
Überhaupt habe Macron gerade ein Minister:innen-Problem. Giordano zufolge fällt es ihm zum Beispiel schwer, einen Ersatz für Attal im Bildungsministerium zu finden. Auch deshalb sei das französische Volk zunehmend empfindlich. Dazu kommt: Es werde erwartet, dass die Energiekosten im Februar steigen werden. "Attal muss diese Politik vorantreiben, was wiederum zu unzufriedenen Menschen führen wird", prognostiziert der Franzose.
Macron macht klar, dass er große Hoffnungen in Attal setzt. Er solle die von Macron angekündigte Erneuerung und Stärkung des Landes umsetzen – mit Kühnheit, im Geiste der Anfänge im Jahr 2017. Damals galt er selbst als dynamischer und vielversprechender Veränderer der politischen Landschaft Frankreichs und nicht als Präsident, der beim Versuch, es allen recht zu machen, scheitert.
Attal soll etwa Jordan Bardella, den Parteichef der rechtspopulistischen sowie europaskeptischen Rassemblement National, ins Aus spielen, meint Giordano.
"Wenn man über Attal spricht, muss man auch über den Aufstieg der Partei Rassemblement National sprechen, insbesondere über die Popularität von Bardella", führt Giordano aus. Auch er ist mit 28 ein junger Politiker. Im Juni stehen die Europawahlen an und Bardellas Partei liegt aktuell in Führung.
Der rechtspopulistische Abgeordnete Sébastien Chénu sieht in der Ernennung des jungen Regierungschefs Attal eine Antwort auf den 28-jährigen Bardella. "Die Regierung nähert sich uns in Inhalt und in Form an", sagt er.
Nach Ansicht Giordanos versucht Macron, ebenfalls auf der jungen Welle mitzusurfen, in der Hoffnung, dass dies der Partei ein positives Image verleiht. "In Frankreich wird also viel über ein Match zwischen Attal und Bardella gesprochen", meint er.
(Mit Material der dpa und afp)