Um die Bodenhaftung von Politiker:innen zu taxieren, wird in Interviews gerne mal nach dem Preis für eine Tüte Milch gefragt. Das ist natürlich fies. Die Höhe des Mindestlohns aber, den in Deutschland immerhin knapp jede sechste Person in einem Beschäftigtenverhältnis verdient, den könnte man als Politiker:in schon kennen. Also, Friedrich Merz, wie hoch ist eigentlich der Mindestlohn aktuell?
So richtig scheint er es nicht zu wissen. Zur Entwicklung des Mindestlohns wollte die "Bild" von Merz wissen, ob die Höhe im kommenden Jahr auch geringer als die von der SPD geforderten 15 Euro sein könne, etwa "bei 13, 14 Euro". Merz wiegelte ab: "Der liegt jetzt heute schon deutlich höher als Sie gesagt haben." Stimmt nicht: aktuell liegt er bei 12,82 Euro.
Im Koalitionsvertrag von Union und SPD sind 15 Euro Mindestlohn bis 2026 angestrebt. Ob das Ziel erreicht wird, ist nicht sicher. Die Höhe des Mindestlohns soll nämlich, zumindest in der Idee, von der unabhängigen Mindestlohnkommission erarbeitet werden. Diese Kommission ist maßgeblich von Arbeitgebern und Gewerkschaften dominiert und soll die Höhe der Lohnuntergrenze ohne politische Einflüsse festlegen.
Im Koalitionsvertrag heißt es: "An einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission halten wir fest." Das gefällt nicht allen.
"Merz hat klargemacht, dass die neue Regierung keinen armutsfesten Mindestlohn beschließen wird", kritisiert Timon Dzienus, Bundestagsabgeordneter der Grünen und ehemaliger Vorsitzender der Grünen Jugend gegenüber watson. "Union und SPD lassen so junge Menschen im Stich." Das sei "unanständig und peinlich".
Von einem höheren Mindestlohn, sagt Dzienus weiter, profitieren besonders junge Menschen. "Ob im Supermarkt, in der Gastronomie oder als Aushilfe: Viele davon arbeiten in schlecht bezahlten Jobs." Ein höherer Lohn sei dabei kein "nice-to-have", sondern entscheidend, "ob man sich das WG-Zimmer leisten kann oder nicht".
Bereits im Jahr 2022 hat sich die damalige Ampel-Regierung über die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission hinweggesetzt und den Mindestlohn außerplanmäßig auf 12 Euro erhöht. Ende Juni möchte die Kommission ihre neue Empfehlung abgeben.
Laut Gesetz soll sich die Bemessung an der "Tarifentwicklung" orientieren, erst in diesem Jahr wurde zudem beschlossen, dass man sich außerdem am "Referenzwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns" orientieren wolle.
Heißt: Es sind unterschiedliche Berechnungsmethoden möglich. Und es gibt Entscheidungsspielräume. Laut Geschäftsordnung kann die Kommission von ihren Kriterien abweichen, "wenn besondere ökonomische Umstände vorliegen". Dafür ließe sich angesichts der wirtschaftlichen Lage auch argumentieren.
"Ob es einen höheren, armutsfesten Mindestlohn geben wird, bleibt ungewiss", sagt Dzienus. "Sicher ist aber leider, dass auch zukünftig vielen jungen Menschen der Mindestlohn vorenthalten wird. Ob Ferienjob in der Gastro oder an der Kasse: Auch junge Menschen haben einen fairen Lohn verdient."