Es ist eine Nacht voller Angst, die in die Geschichte eingehen wird: In der Nacht zum Sonntag fliegen Raketen, Marschflugkörper und Drohnenschwärme vom Westen des Irans aus in Richtung des mehr als 1000 Kilometer entfernten Israels. Das israelische Militär verzeichnet weit über 300 Flugobjekte, von denen die Luftabwehr und verbündete Kräfte 99 Prozent abfangen können.
Nun herrscht Sorge vor einer weiteren Eskalation. Nach dem massiven iranischen Vergeltungsangriff ist die Gefahr eines offenen Kriegs zwischen beiden Ländern größer denn je.
Geht es nach Meinung des Politikwissenschaftlers Heinz Gärtner, ist der Iran mit dem Angriff in "die Falle" von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu getappt. Gärtner ist Vorsitzender des Beirates des International Institute for Peace (IIP) und am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien tätig. Er glaubt, dass der Iran sich mit dem Angriff keinen Gefallen getan hat.
Für Gärtner ist klar: "Regionale Stabilität rückt durch den Vergeltungsangriff noch mehr in die Ferne." Nicht nur, dass sich nun die Beziehungen zwischen dem Iran und den USA durch den Angriff nach Meinung des Experten weiter verschlechtern werden. Auch "Kritik an Israel durch die USA und Europäer ist kaum mehr möglich", sagt der Politikwissenschaftler im Gespräch mit watson.
In den vergangenen Wochen hat die internationale Kritik an Israel weiter zugenommen. Selbst Verbündete kritisierten das brutale Vorgehen der israelischen Truppen im Gazastreifen zunehmend. Vor allem wegen des harten israelischen Vorgehens und der vielen zivilen Opfer im Gaza-Krieg.
Zwar sei Israels Kampf gegen die Terrororganisation Hamas legitim. Aber: "So wichtig das Ziel auch sein mag, kann es so furchtbar hohe Kosten rechtfertigen? Oder gibt es andere Wege, Ihr Ziel zu erreichen?", sagte etwa kürzlich Bundeskanzler Olaf Scholz.
Was der Angriff Irans auf Israel nun bewirke? Eine Ablenkung vom Kriegsgeschehen im Gaza-Streifen, wenn es nach Meinung Gärtners geht. "Die internationale Aufmerksamkeit liegt nicht mehr auf der Situation der Palästinenser", sagt der Politikwissenschaftler. Damit werde es schwieriger, sich für Palästinenser:innen einzusetzen. Und: Israel hat als Ergebnis des Angriffs ein Stück weit die Solidarität seiner Verbündeten zurückgewonnen.
Was Israel jetzt tun wird, bleibt abzuwarten. Ein militärischer Alleingang gegen den Iran könnte dieses neue diplomatische Kapital aber wieder aufs Spiel setzen.
Die internationale Gemeinschaft blickt mit Sorge auf die Konflikte in Nahost. Der Angriff könne dem israelischen Regierungschef in die Karten spielen, meint Gärtner. Denn:
Klar ist aber: Die USA wollen weder "Eskalation" noch "Krieg" mit dem Iran, wie das Weiße Haus am Sonntag mitteilte. In Bezug auf die außenpolitischen Tätigkeiten der USA macht Gärtner eine Prognose: Sie könnten sich nicht mehr so einfach zurückziehen und "werden auf lange Zeit in der Region gebunden sein", sagt der Politikwissenschaftler.
Alles in allem sieht Gärtner eine Gefahr für den Iran. Irans Staatsführung ist so unbeliebt wie lange nicht mehr. Vor allem die junge Generation hatte bei Protestwellen der vergangenen Jahre offen den Sturz des islamischen Herrschaftssystems gefordert. Ein Großteil der Bevölkerung im Iran sieht die Raketenschläge mit Sorge. Der Politikexperte glaubt, dass der Iran sich mit dem Angriff ungewollt in den Kontrollverlust bewegt hat: "Es ist eine Illusion zu glauben, Israel werde jetzt still halten. Iran wollte keinen Krieg, ist ihm aber näher gekommen."