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FDP-Politiker um Kubicki sprechen sich gegen die allgemeine Impfpflicht aus

Wolfgang Kubicki von der FDP (r) gestikuliert bei der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags und bekommt Applaus, nachdem er zum Vizepräsidenten gewählt wurde.
Wolfgang Kubicki war von Anfang an kein Freund einer Impfpflicht.Bild: dpa / Kay Nietfeld
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"Durchsetzbarkeit" und "mildere Mittel": Warum einige FDP-Politiker einen Antrag gegen die Impfpflicht erarbeitet haben

08.01.2022, 10:1708.01.2022, 10:18
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Immer wieder wird über sie diskutiert: die Impfpflicht. Etliche Menschen gehen aktuell Montag für Montag gegen sie auf die Straße. Sie weigern sich, die Spritze gegen den schweren Coronaverlauf anzunehmen. Zumindest Pflegekräfte werden ab März nicht mehr die Möglichkeit haben, sich zu verweigern. Denn die Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen ist beschlossene Sache. Anders steht es um eine allgemeine Impfpflicht.

Hier soll der Bundestag abstimmen – und zwar ohne Fraktionszwang. Das heißt, die Abgeordneten sind nur ihrem eigenen Gewissen verpflichtet. Mehr als 150 Abgeordnete hatten sich bei watson bereits für die Einführung der Impfpflicht ausgesprochen. Viele Mitglieder der FDP-Fraktion waren Anfang Dezember noch unschlüssig.

Nun aber liegt ein Antragsentwurf einiger FDP-Politiker vor, der sich klar gegen die Einführung ausspricht. Nach dem Antragsentwurf soll der Bundestag, laut Informationen der dpa, feststellen, "dass es in der Bundesrepublik Deutschland keine allgemeine Impfpflicht gegen Sars-CoV-2 geben wird". Der Bundestag verbinde dies "mit dem Appell, dass sich weiter möglichst viele Menschen bestmöglich gegen Covid-19 schützen, indem sie die empfohlenen Angebote einer Coronaschutzimpfung wahrnehmen".

Das Papier der Liberalen ist der Entwurf eines Gruppenantrags. Es werden in der kommenden Zeit einige solcher, auch fraktionsübergreifender Gruppenanträge erwartet, über die der Bundestag dann abstimmen wird. Die Ampel-Koalition selbst wird keinen Gesetzentwurf vorlegen. Der Justizminister Marco Buschmann verteidigte dieses Vorgehen bei "ntv".

Das Thema rühre an den Grundüberzeugungen, "weil es um die Frage geht, ob ich eine medizinische Behandlung verpflichtend machen muss, auch wenn ich das nicht möchte." Das sogenannte Gruppenantragsverfahren entfalte jetzt seine Kraft, "nämlich dass die unterschiedlichen Argumente öffentlich diskutiert werden, mit Leidenschaft". Das spätere Ergebnis habe dann eine "viel stärkere, befriedendere Kraft" für den Konflikt, als wenn die Entscheidung nur mit der Koalitionsmehrheit durchgezogen würde.

Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz, aufgenommen im Justizministerium bei einem Interview mit der dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH.
Bundesjustizminister Marco Buschmann.Bild: dpa / Michael Kappeler

Unterzeichner des Antrags waren neben dem Bundestags-Vize-Präsidenten Wolfgang Kubicki auch die ehemalige Generalsekretärin Linda Teuteberg, die gesundheitspolitische Sprecherin Christine Aschenberg-Dugnus und der Abgeordnete und Vorsitzende der FDP Baden-Württemberg, Michael Theurer.

watson hat bei den Liberalen nachgefragt, was gegen die Impfpflicht spricht und ob Omikron die Debatte verschoben hat.

Zweifel an der Durchführbarkeit

Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag, Christine Aschenberg-Dugnus, zeigt sich auf watson-Nachfrage skeptisch bezüglich der allgemeinen Impfpflicht. Sie habe Zweifel an der Durchsetzbarkeit und stelle sich die Frage, ob durch diese Maßnahme tatsächlich mehr Menschen von der Impfung überzeugt werden könnten.

Die Omikron-Variante hätte für sie allerdings keinen Einfluss auf ihre Entscheidung. Aschenberg-Dugnus sagt gegenüber watson:

"Es steht außer Frage, dass Omikron für Ungeimpfte sehr gefährlich ist. Insofern setze ich auf Booster-Impfungen, Erstimpfungen und Aufklärung. Bei letzterem ist nach meiner Meinung noch nicht alles getan worden."

Sie selbst sei von Beginn an klare Impfbefürworterin gewesen und mache auch Werbung für die Impfung. "Impfen ist das wichtigste Mittel im Kampf gegen diese Pandemie", sagt Aschenberg-Dugnus.

Kein Ampelstreit in Sicht

Erste Ampel-Streitereien sieht sie durch den Antrag gegen die Impfpflicht nicht angestoßen. Aschenberg-Dugnus sagt:

"Ganz im Gegenteil. Denn genau das ist Demokratie. Alle Beteiligten nehmen die Omikron-Variante und die Debatte über eine allgemeine Impfpflicht sehr ernst. Ich werde das Ergebnis, egal wie es ausfällt, selbstverständlich respektieren."

Auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr bezweifelt, dass der Antrag seiner Partei-Kollegen zum internen Streit führen könnte. Er sagt gegenüber watson:

"Wir haben entschieden, die Debatte über die Impfpflicht nicht entlang von Parteigrenzen zu führen. Die Abgeordneten sollen frei nach ihrem Gewissen entscheiden dürfen. Das war bei anderen medizinethischen Fragen in der Vergangenheit auch so, etwa bei der Organspende."
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FDP-Fraktionschef Christian Dürr.Bild: www.imago-images.de / Christoph Hardt

Dürr selbst werde seine Entscheidung treffen, wenn alle Gruppenanträge vorliegen. Der FDP-Fraktionschef stellt klar: "Da das Infektionsgeschehen durch die Omikron-Variante an Dynamik gewinnt, empfehle ich allen Bürgerinnen und Bürgern, sich schnellstmöglich impfen zu lassen oder die Boosterimpfung in Anspruch zu nehmen."

Auch Michael Theurer, FDP-Abgeordneter und Mitglied des Bundespräsidiums, sieht das Boostern durch die Omikron-Variante als besonders notwendig an. Und erkennt im Zusammenhang mit einer allgemeinen Impfpflicht ein mögliches Problem. Auf watson-Nachfrage sagt er:

"Solange nicht genug Impfdosen vorhanden sind, führt das zu der Frage, ob man wirklich Impf-Unwilligen eine Impfpflicht auferlegen möchte, wenn diese dann für die Booster-Willigen den Impfstoff verknappen."
Die Impfpflicht
Bisher war im Zusammenhang mit der Impfpflicht nie die Rede von polizeilichem Zwang, sondern vielmehr von Bußgeldern.

Insgesamt hat er auch er die Befürchtung, dass die "konkrete Ausgestaltung" einer Impfpflicht "problembehaftet ist". Sollte eine solche Pflicht, ähnlich wie die Schulpflicht, letztlich mit polizeilichem Zwang durchgesetzt werden, "wäre dies mit schwersten verfassungsrechtlichen Bedenken behaftet."

Weiter führt Theurer aus:

"In anderen Bereichen, wo es etwa zu einer Zwangsmedikation kommt, unterliegt dies einem Richtervorbehalt; mit einem solchen würde die Impfpflicht jedoch wohl unser Justizwesen lahmlegen."
Michael Theurer (l), Vorsitzender der FDP Baden-Württemberg, gibt zusammen mit Hans-Ulrich Rülke, Vorsitzender der FDP/DVP-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, ein Pressestatement.
Michael Theurer (links) und Hans-Ulrich Rülke.Bild: dpa / Christoph Schmidt

Der baden-württembergische FDP-Chef bezweifelt, dass Bußgelder ein Anreiz zur Impfung sein könnten – weil die 2G-Regeln in weiten Teilen des öffentlichen Lebens sowie die 3G-Regeln im ÖPNV auch nicht geholfen hätten, die bis heute ungeimpften Menschen von einer Impfung zu überzeugen. Außerdem halte Theurer auch die Durchsetzung der Impfpflicht mittels Bußgeld – angesichts der vielen Ungeimpften – für schwer umsetzbar.

Stattdessen spricht sich Theurer für eine Impfberatungspflicht aus. Er sagt gegenüber watson:

"Daneben bin ich weiterhin davon überzeugt, dass bei weitem noch nicht alle milderen Mittel ausgeschöpft sind. Ein solches wäre beispielsweise eine Impfberatungspflicht – also eine Pflicht für Ungeimpfte, ein Beratungsgespräch mit einem Arzt zu führen."

Widerstand regt sich auch auf Landesebene

Klar gegen die Einführung der Impfpflicht positioniert sich auch der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Hans-Ulrich Rülke. Eine solche Verpflichtung wäre nur zu erwägen, wenn es keinen anderen Weg aus der Pandemie herausgebe und es außerdem eine erfolgversprechende Möglichkeit gebe, diese Verpflichtung durchzusetzen. Als Grund dafür, dass eine solche Durchsetzung tückisch werden könnte, nennt er das fehlende Impfregister.

Rülkes Sorge:

"Meine Befürchtung ist, dass der Bundestag am Ende einen zahnlosen Tiger beschließt, der seinen Zweck nicht erfüllt und nur Wasser auf die Mühlen der Querdenker ist, die dann sagen können: Seht her, dieser Staat will seine Bürger zu etwas zwingen, was sie nicht wollen und schafft es dann nicht einmal, das durchzusetzen."

Weiter moniert Rülke, dass durch das fehlende Impfregister niemand wissen könne, "wen man überhaupt zu einer Impfung zwingen will".

Rülke fasst zusammen:

"Leute, die fürchten, eine Impfung könnte ihrer Gesundheit schaden – so wie lange Zeit etwa Joshua Kimmich –, oder die sich generell der Impfung ideologisch-grundsätzlich verweigern – wie die Querdenker –, werden nicht schon deshalb zur Impfung pilgern, weil sie in der Zeitung lesen, der Bundestag habe nun eine Impfpflicht beschlossen."

Aus diesen Gründen lehne er die Impfpflicht ab – "weil sie tief in die Grundrechte des Einzelnen eingreift, ohne dass eine Aussicht besteht, dass sie ihr Ziel überhaupt erreicht".

Rülke hatte beim Dreikönigstreffen der FDP am Donnerstag für Aufsehen gesorgt, indem er dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann einen Anschlag auf die Demokratie vorgeworfen hat. Dieser hatte im Vorfeld den "Hyperliberalismus" kritisiert.

Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP und Bundesfinanzminister, wartet im Opernhaus auf den Beginn des Dreikönigstreffen der Freien Demokraten.
Finanzminister Christian Lindner beim Dreikönigstreffen seiner Partei.Bild: dpa / Uli Deck

FDP-Bundeschef Christian Lindner steht einer allgemeinen Impfpflicht nach eigenen Worten noch unentschieden gegenüber. "Ich bin nicht mehr prinzipiell dagegen", sagte er am Donnerstag am Rande des traditionellen Dreikönigstreffens der FDP in Stuttgart. "Aber ich bin auch nicht positiv entschieden."

So kenne er etwa noch nicht die Gruppenanträge dazu im Bundestag. Zudem könne man aufgrund der Lageentwicklung rund um die Omikron-Variante des Coronavirus gegenwärtig noch nicht entscheiden. "Deshalb ist gut, dass wir uns noch etwas Zeit lassen", sagte Lindner. "Für die fünfte, für die Omikron-Welle, würde eine allgemeine Impfpflicht ebenfalls ja auch noch keinen Beitrag leisten."

(Mit Material von dpa)

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