Timon Dzienus ist sauer. Der Sprecher der Grünen Jugend setzt sich seit Monaten dafür ein, dass das nordrhein-westfälische Dorf Lützerath nicht abgebaggert wird.
Der fossile Konzern RWE hingegen hatte unter anderem mit Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck den Deal vereinbart: Lützerath wird dem Erdboden gleichgemacht, dafür steigt man bereits 2030 aus der Kohleenergie aus.
Die Polizei hat am Dienstag Barrikaden auf dem Zufahrtsgelände zum von Klimaaktivisten besetzten Dorf Lützerath geräumt. Die Räumung des Dorfes selbst werde am Dienstag aber noch nicht beginnen, betonte die Polizei in Lautsprecherdurchsagen vor Ort. Das wird frühestens am Mittwoch der Fall sein.
Lützerath soll abgebaggert werden, damit die darunter liegende Braunkohle gefördert werden kann. In der von ursprünglichen Bewohnern verlassenen Ortschaft haben sich allerdings Aktivist:innen angesiedelt.
Mal abgesehen von den Klimafolgen, die das Fördern der Braunkohle mit sich brächte: Dzienus, der auch immer wieder bei den derzeitigen Protesten anwesend ist, ärgert sich über das Vorgehen der Polizei und offenbar auch über die mediale Berichterstattung. Es geht um Ausschreitungen. Um mögliche Polizeigewalt. Um Steine, die geworfen worden sein sollen.
Dzienus war eigenen Angaben zufolge in der Szenerie anwesend, die die Polizei NRWs dazu veranlasst hatte, eine Mitteilung zu veröffentlichen, in der es hieß, es habe aus den Reihen der Aktivist:innen Gewalt gegeben.
Im Gespräch mit watson meint er, er sorge sich um eine drohende Eskalation vonseiten der Sicherheitsbehörden. "Wenn man sieht, mit was für einem Aufgebot die Polizei vor Ort sind, aus wie vielen Bundesländern Kräfte nach Lützerath geschickt wurden, hat das mit Deeskalation wenig zu tun."
Dzienus findet, Meldungen zu diesem Thema seien von einigen Medien ungeprüft von der Polizei übernommen worden - und nur deshalb sei eine große Debatte losgetreten worden.
Und der 26-jährige Jungpolitiker sagt:
Erde, sagt Dzienus, sei geworfen worden.
Er erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass der Deutsche Journalisten-Verband schon anlässlich von Protesten gegen den Tagebau Garzweiler dazu aufgerufen hatte, Polizeiberichte kritisch zu hinterfragen und die Polizei bei Auseinandersetzungen mit Aktivst:innen nicht als unparteiischen Beobachter zu betrachten.
Auch die NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) kritisiert Dzienus in diesem Zusammenhang – und fordert sie auf Twitter dazu auf, der Gewalt Einhalt zu gebieten.
Dzienus ärgert sich auch nicht nur über das Vorgehen vor Ort.
"Dass Aktivst:innen am Sonntag in Hamburg mehrere Stunden lang von der Polizei kontrolliert und an der Fahrt nach Lützerath gehindert wurden, halte ich für einen Einschüchterungsversuch", meint er.
Auch eine Allgemeinverfügung des Kreises Heinsberg bezeichnet er als repressiv. Dieser hatte ein Aufenthaltsverbot in Lützerath verhängt. Im Streit um die Rechtmäßigkeit dieser Verfügung hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) eine Beschwerde von Klimaaktivisten abgewiesen.
Dzienus meint: "Man darf dieses ganze Gebiet nicht mehr betreten – und das ein riesiges Gebiet. Es gibt Berichte von Journalist:innen, die an ihrer Arbeit gehindert werden. Das ist schon ein höchst fragliches Verständnis von Pressefreiheit, das RWE da an den Tag legt."
Ob nun Erde oder Steine geworfen wurden – sieht Dzienus dieses Vorgehen der Klimaaktivist:innen als gerechtfertigt?
Der 26-Jährige sagt, er hatte das Gefühl, dass in diesem Moment die Gewalt nicht von den Demonstrierenden ausging, sondern vor allem von der Polizei. "Und das ist meine große Sorge, auch mit Blick auf die nächsten Wochen: Dass vor allem sehr viel Gewalt von der Polizei ausgeht."
Dass gesagt würde, Gewalt sei kein Mittel der politischen Auseinandersetzung, irritiert den Grüne-Jugend-Sprecher. "Ich möchte auf eines hinweisen: RWE verleibt sich das Dorf auch mit Gewalt ein. Das sind sehr gewalttätige, zerstörerische Bilder, die wir da sehen – von den Baggern und der Polizei. Und das beunruhigt mich."
Dass RWE mit großen Baggern einen Ort zerstöre, der ein Zuhause für Menschen war, "dass Kirchen und hundert Jahre alte Höfe dem Erdboden gleichgemacht werden" – das sieht er ebenfalls als eine Form von Gewalt. "Sie handeln zwar offiziell legal, aber das heißt nicht, dass diese Gewalt, die von fossilen Konzernen gegen Menschen ausgeübt wird, legitim ist."
Auf Nachfrage teilt er mit, dass er etwaige Gewalt auch vonseiten der Aktivist:innen nicht legitimieren will.
Der Hambacher Forst war im Jahr 2018 zur Rodung vorgesehen, um dem Energiekonzern RWE die Möglichkeit zum Abbau der darunter gelegenen Braunkohle zu geben. Die drohende Zerstörung des Waldes stieß auf massiven Widerstand von Klima- und Umweltaktivist:innen. Wochenlang standen sich maskierte Menschen – sowohl Polizist:innen als auch Aktivist:innen – gegenüber. Ausschreitungen und etliche Meldungen von polizeilicher Gewalt inklusive.
Als die Räumung fast erreicht war, wurde die Rodung per Gerichtsbeschluss vorläufig verboten.
Dzienus erwartet in den kommenden Wochen ähnliche Zustände.
Aber vor allem blickt er mit Hoffnung nach vorn. "Die Aktivist:innen haben sehr viel Mut und Hoffnung. Ich habe sehr viel Euphorie wahrgenommen und gesehen, wie viel Kraft die Leute mitgenommen haben."
Einen hoffnungsvollen, lauten und kreativen Protest sieht er in der nächsten Zeit in Lützerath. Und: "Dass die Polizei unter schwierigen Bedingungen versuchen wird, die Räumung durchzuziehen. Das kann schon sehr schwierig werden in diesen Tagen und Wochen. Aber ich bin mir sehr sicher, dass die Demonstrierenden und die Aktivist:innen vor Ort sehr viel Durchhaltevermögen zeigen."
Um die Situation zu deeskalieren, schlägt er vor, die Räumung abzusagen und ein Moratorium zu verhängen. "Die Entscheidung gegen Lützerath war am Ende eine politische und politische Entscheidungen von solcher Tragweite müssen auf sicheren Füßen stehen." Schließlich gehe es um die Einhaltung der deutschen Klimaziele, die wissenschaftliche Grundlage müsse "absolut wasserdicht sein, bevor unumkehrbare Fakten der Zerstörung geschaffen werden". Das sei sie momentan nicht.
Er meint: