Dick eingepackt in Winterjacken versammeln sich Menschen vor dem Brandenburger Tor. Einige wickeln sich die ukrainische Flagge um die Schultern. Andere halten heißen Tee in den Händen. Kameraleute suchen nach dem perfekten Spot, Securitys klären mit dem Veranstalter, ob alles nach Plan läuft.
Neugierige Passant:innen blicken auf die Bühne, auf der ein Klavier steht: Es ist in die Farben Blau und Gelb getaucht. In großen Buchstaben steht über der Bühne: "Ukraines Ode an die Würde".
Das Büro der stellvertretenden Premierministerin für europäische und euro-atlantische Integration der Ukraine, Olha Stefanischyna, lädt an diesem kalten Novembertag zu einer Kulturveranstaltung ein. Sie soll eine Hommage an den beständigen Geist der Ukraine und ihren "bemerkenswerten Weg" zur europäischen Integration sein.
Anlass sei die "Revolution der Würde", die vor fast genau zehn Jahren auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in der ukrainischen Hauptstadt Kiew begann. Die Proteste führten zum Sturz des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch.
Auslöser der Demonstrationen war ein geplatztes Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union – Moskau hatte den damaligen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch unter Druck gesetzt. Den Winter über harrten Menschen in Zelten aus, bis im Februar 2014 die Gewalt eskalierte und Scharfschütz:innen auf die Demonstrierenden schossen.
Von den Organisatoren heißt es, dass sie mit diesem Event den "unerschütterlichen Wunsch" zum Ausdruck bringen wollten, "Teil der europäischen Familie zu werden".
Auch deshalb soll vor dem Brandenburger Tor an dieses historische Ereignis erinnert werden. Dazu spielen talentierte ukrainische und deutsche Musiker:innen am legendären "Ukrainischen Klavier", dem Symbol der Maidan-Proteste.
Auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, nimmt an der Veranstaltung teil.
Seit gut einem Jahr vertritt Makejew als Botschafter die Ukraine in Deutschland. Er lobt die Solidarität der Deutschen mit der Ukraine. Es seien noch immer überall ukrainische Fahnen zu sehen. Und: "Es hat sich sehr viel geändert, wie schnell und effizient die Bundesregierung auf unsere Bitten reagiert", sagt er im Gespräch mit watson.
Zum Hintergrund: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seine Regierung ließen die Ukraine lange bei der Frage zappeln, ob Deutschland Leopard-Panzer liefern werde. Das laute Schweigen des Kanzlers zu der Thematik rief sogar einen neuen Begriff ins Leben: "Scholzen". Doch das hat sich laut Makejew geändert.
Dennoch hat der ukrainische Botschafter einen Wunsch.
"Es wäre schön, wenn sich die Grundeinstellung in Deutschland ebenfalls ändern würde". Sprich, dass es in Deutschland ein einheitliches Verständnis dafür gibt, dass alles unternommen werden muss, damit die Ukraine diesen Krieg gewinnt. "Keiner sollte sich in Europa vor russischen Raketen fürchten", sagt er.
Laut ihm hat es sehr viele Jahre gedauert, bis die Deutschen überhaupt verstanden haben, dass die Ukraine zu Europa gehört. "In Kriegszeiten haben wir keine Zeit, andere weiter davon zu überzeugen, dass wir Teil Europas sind", meint er. Jeder Tag, jede Sekunde zähle. Denn Ukrainer:innen sterben gerade für eine freie Ukraine in Europa.
Währenddessen gewinnt der Rechtspopulist Geert Wilders die Niederlande-Wahlen. Was Russland wohl entzückt, denn Wilders sprach sich in der Vergangenheit dafür aus, die niederländische Militärhilfe für die Ukraine zu beenden. Auch in den USA wachsen die Zweifel an der Unterstützung der Ukraine – vor allem unter den Trump-nahen Republikanern, aber auch bei den Demokraten.
Kürzlich äußerte sich der demokratische US-Senator Chris Murphy: "Ich weiß nicht, ob die Ukraine bis Februar 2024 überleben kann. Mein Gefühl sagt mir, dass ihnen in den nächsten Wochen die Munition ausgehen wird." Makejew hat dazu eine klare Meinung.
"Wir müssen einen langen Atem haben – auch jetzt im Winter", sagt Makejew. Die Ukraine bereite sich auf einen massiven Raketenbeschuss von Russland vor. "Doch dieses Jahr sind wir besser vorbereitet als im vergangenen Winter, dank unserer Partner wie Deutschland", betont der 47-Jährige. Die Ukraine habe etwa mehr Flugabwehrsysteme, die Menschenleben schützen.
Zudem hebt Makejew hervor, "dass die russischen Pläne, die Einigkeit unserer Partner zu zerstören, gescheitert sind". In diesem Sinne seien die Ukrainer:innen zuversichtlich. "Wir kämpfen diesen Krieg, denn wir haben keine andere Wahl. Wir müssen gewinnen", sagt er. Mit deutscher Hilfe gehe das aber schneller.
"Ich bin für jede Waffenlieferung, jeden Cent von deutschen Steuerzahler:innen und jede humanitäre Unterstützung dankbar", führt Makejew aus.
Auch an die Jugend in Europa hat Makejew eine Botschaft.
"Die Zukunft liegt in euren Händen", sagt er. Die Zukunft Europas werde heute in jungen Demokratien wie der Ukraine gestaltet und auch mit jungen Köpfen. Daher appelliert er an die Jugend Europas und bittet um Unterstützung: "Eines Tages feiern wir alle zusammen die Rückkehr des Friedens in Europa."
Ähnlich optimistisch zeigt sich auch Olga Stefanishyna, Vizeministerpräsidentin für europäische Integration.
"Hoffnung kommt von Stärke", sagt Stefanishyna im Gespräch mit watson. Diese Stärke haben die Ukrainer:innen. "Unser Traum ist sehr groß und er wird wahr werden, wenn jeder in Europa sicher ist und die Ukraine von der russischen Besatzung befreit ist", sagt sie. Die Widerstandsfähigkeit der Ukraine sei enorm.
Aber natürlich verfolge man mit großer Aufmerksamkeit die anstehenden Wahlen, wie etwa die Präsidentschaftswahlen in den USA 2024. Denn die Ergebnisse haben auch Folgen für die Ukraine, meint sie.
Sie wünscht sich von der deutschen Bundesregierung mehr Führungsstärke bei allen europäischen Themen und Sicherheitsfragen. "Was auch bedeutet, der Ukraine zu helfen, diesen Krieg zu gewinnen", führt sie aus.