Massenproteste, ein Generalstreik und die Armee in Alarmbereitschaft: In Israel hat sich die politische Krise nach der Entlassung des Verteidigungsministers Joav Galant wegen dessen Kritik an der umstrittenen Justizreform dramatisch zugespitzt.
Zehntausende Menschen strömten in der Nacht zum Montag auf die Straße, um gegen die von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu angeordnete Entlassung und die Reformpläne seiner rechts-religiösen Regierung zu protestieren. Die Justizreform steht seit Monaten in der Kritik. Durch sie soll der Einfluss des höchsten Gerichts beschnitten und die Machtposition der Regierung gestärkt werden – zulasten der unabhängigen Justiz.
Justizminister Marco Buschmann zeigt sich besorgt. Er selbst war zu Besuch in Israel und habe mit dem Justizminister gesprochen, aber auch mit wichtigen Gegnern dieses Vorhabens, sagt er im Gespräch mit watson.
"Ich habe mir die Argumente beider Seiten angehört und mache mir – gerade als Freund Israels – große Sorgen", meint Buschmann. Denn zu einer liberalen Demokratie gehöre eine unabhängige Justiz dazu, etwa unabhängige Gerichte. Weiter sagt er:
Insgesamt stehe die liberale Demokratie unter Druck – weltweit. Und das sieht man laut Buschmann nicht nur anhand des russischen Angriffskriegs. Es gebe auch Tendenzen in anderen Ländern, wo die freie und unabhängige Justiz infrage steht. "Teilweise gibt es einen Trend zum autoritären Denken. Deshalb müssen wir umso mehr dafür werben, die Prinzipien der liberalen Demokratie zu verteidigen", sagt Buschmann.
Dafür setze er sich ein, weist aber auch daraufhin, dass Deutschland nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen dürfe. "Wir müssen auch in unserem eigenen Verantwortungsbereich immer wieder zeigen, dass Freiheit und Grundrechte ein wichtiger Teil unserer Identität sind", sagt er. Diese drohen offenbar in Israel mit der Justizreform ins Wanken zu geraten.
Präsident Izchak Herzog rief die Regierung zum Einlenken auf. "Um der Einheit des israelischen Volkes willen, um der Verantwortung willen, fordere ich Sie auf, die Gesetzgebung sofort einzustellen", sagt er. Die Menschen seien in tiefer Angst.
Netanjahu hatte am Abend nach massiven Protesten und mehreren Krisengesprächen angekündigt, die Umsetzung der umstrittenen Pläne für einige Wochen auszusetzen, um "Platz für Dialog zu schaffen" und "einen Bürgerkrieg zu vermeiden".
Seit rund drei Monaten gehen regelmäßig Zehntausende, teils mehrere hunderttausend Menschen gegen das Vorhaben seiner rechts-religiösen Regierung zur Schwächung der unabhängigen Justiz auf die Straßen. Medienberichten zufolge haben mehrere Minister:innen mit ihrem Rücktritt gedroht, sollte Netanjahu einen Stopp der Reform ankündigen.
Netanjahu hatte Verteidigungsminister Yoav Galant wegen dessen Aufrufs zum Stopp der Justizreform entlassen. Dieser hatte die Regierung zum Dialog mit Kritiker:innen aufgerufen. Er warnt, dass die nationale Sicherheit und insbesondere die Einsatzfähigkeit der Armee auf dem Spiel stehe. Seit Wochen ist von wachsendem Unmut im Militär die Rede, aus Protest gegen die Reform waren zahlreiche Reservisten nicht zum Dienst erschienen.
Aber auch das Volk lässt seinem Frust freien Lauf und geht zunehmend auf die Straßen. Denn: Sie fürchten um die Demokratie Israels.
In Tel Aviv blockierten Demonstrierende mit Israel-Fahnen die zentrale Straße nach Jerusalem und setzen Reifen in Brand. Die Polizei ging mit Reiterstaffeln und Wasserwerfern gegen die Menge vor.
Universitäten verkündeten aus Protest gegen die Entlassung Galants und die Reformpläne einen vorläufigen Unterrichtsstopp. Mehrere Bürgermeister:innen traten in den Hungerstreik und forderten eine sofortige Eindämmung der nationalen Krise. Die Oppositionspolitiker Jair Lapid und Benny Gantz forderten Netanjahus Parteikollegen in einer gemeinsamen Mitteilung auf, "sich nicht an der Zerstörung der nationalen Sicherheit zu beteiligen". Der Regierungschef habe "eine rote Linie überschritten".
Auch international lösen die Pläne Kritik aus. Die US-Regierung als wichtigster Verbündeter äußerte sich tief besorgt. Angesichts der geplanten "grundlegenden Änderungen an einem demokratischen System" rief das Weiße Haus die israelische Führung nachdrücklich auf, so bald wie möglich einen Kompromiss zu finden.
(Mit Material der dpa)