An diesem Sonntag findet in Frankreich die erste Runde der Präsidentschaftswahlen statt. Die Prognosen versprechen ein knappes Rennen und eine Wahlbeteiligung von knapp 70 Prozent. Das sind sieben Prozent weniger als 2017 und ein Negativrekord für Präsidentschaftswahlen. Es zeigt, dass es die Kandidat*innen nicht schaffen, die Menschen für ihre Pläne zu begeistern.
Ich gehe zur Wahl, denn für mich ist dieses Recht auf demokratische Mitbestimmung keine Selbstverständlichkeit. Der Krieg in der Ukraine zeigt uns mehr denn je, dass wir aktiv für unsere demokratischen, europäischen Werte einstehen müssen. Und das beginnt bereits im Kleinen, mit unserer Stimme an der Wahlurne.
Mir zeigen die Prognosen, dass es bei dieser Wahl auf jede Stimme angekommen wird. Vergessen werden dabei die im Ausland lebenden Französinnen und Franzosen – immerhin über eine Million Bürger*innen in insgesamt 11 Außenwahlbezirken, den sogenannten "Circonscriptions législatives des Français établis hors de France".
Diese Wahlbezirke stimmen bei den Präsidentschaftswahlen ab und wählen zwei Monate später bei den Parlamentswahlen eigene Abgeordnete in die Nationalversammlung. Aufgrund der Distanz zum politischen Geschehen in der Heimat ist Wahlbeteiligung in diesen Bezirken oft sehr niedrig. Dabei steht bei diesen Wahlen auch für die französischen Bürger*innen im Ausland oft viel auf dem Spiel.
Einige der aussichtsreichen Präsidentschaftskandidat*innen wie Marine Le Pen stellen grundlegende europäische Errungenschaften wie den freien Waren- und Personenverkehr infrage und gefährden damit die Rechte der Französinnen und Franzosen im europäischen Ausland.
Abstraktes Risiko? Im Fall des Brexits wurde es zur traurigen Realität. Bei vielen der drei Millionen wahlberechtigten britischen "Expats" kamen die Wahlunterlagen erst nach dem Einsendeschluss am 23. Juni 2016 an. Rund zwei Millionen Brit*innen, die seit mehr als 15 Jahren im Ausland leben, waren von der Wahl gänzlich ausgeschlossen. Diese fehlenden pro-europäischen Stimmen hätten beim knappen Ausgang des Referendums das Zünglein an der Waage sein können, um Großbritannien als EU-Mitglied zu erhalten.
Auch ein Blick über den Zaun zu unseren polnischen Nachbarn machen die Bedeutung einer emigrierten, meist pro-europäische Bevölkerung deutlich. Bei den polnischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 gewann der Traditionalist und Europa-Skeptiker Andrzej Duda der regierenden PiS Partei nur knapp mit 51,03 Prozent zu 48,97 Prozent – der Unterschied betrug rund 422.000 Stimmen. Dabei waren von den mehr als 4,5 Millionen im Ausland lebenden polnischen Staatsbürger*innen – immerhin 13 Prozent der Bevölkerung – nur 385.000 zur Wahl registriert.
Die Beispiele zeigen: Bürger*innen, die von ihrer Niederlassungsfreiheit in der EU Gebrauch machen, verlieren den einfachen Zugang zu ihrem Wahlrecht, das Fundament der demokratischen Mitbestimmung. Wenn sie an der Wahl in ihrem Heimatland teilnehmen möchten, bedeutet das im besten Fall hoher bürokratischer Aufwand.
Im schlimmsten Fall wird ihnen die Teilnahme verwehrt. In ihrer europäischen Wahlheimat hingegen können sie nur bei Europa- und Lokalwahlen teilnehmen, ihre Stimmen werden bei nationalen Wahlen nicht gehört. Frankreich, aber auch Italien und Portugal, ermöglichen Bürger*innen im Ausland zumindest eigene Abgeordnete in den Parlamenten.
Von einem europäischen Ansatz sind wir aber immer noch weit entfernt. Die von den Bürger*innen gelebte Europäische Union ist heute viel mehr als ein rein wirtschaftlicher Verbund – eine Tatsache, der unsere nationalen Wahlsysteme keine Rechnung tragen. Das Motto von europäisch gesinnten Wähler*innen und Kandidat*innen muss deshalb sein: mittendrin statt nicht dabei! Für mehr Europa in unseren Wahlen.