Am 9. Dezember 2022, dem Internationalen Tag gegen Korruption, führte die Polizei in Brüssel 20 Razzien durch, verhaftete acht Personen und beschlagnahmte mehr als 1,5 Millionen Euro. Was wie eine Szene aus einem Krimi klingt, waren die realen Ermittlungen im Korruptionsskandal um die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Eva Kaili.
Katargate, wie die Affäre in den Medien getauft wurde, war nicht der erste Korruptionsskandal der die EU erschütterte.
Die Liste ist lang.
Kürzlich erschien in Frankreich ein Film über die unter den Tisch gekehrte Affäre "Dalligate". Dabei ging es um die dreiste Einflussnahme der Tabakindustrie auf die Gesundheitspolitik der EU.
Skandale wie Katar- oder Dalligate sind jedoch nur die auffällige Spitze des Eisbergs eines massiven, tiefer liegenden Problems: der eklatanten, alltäglichen Einflussnahme externer Akteure, insbesondere der Unternehmenslobby, auf die europäische Politik.
Es ist in der Tat schockierend, dass wir in der EU politisch gesehen nicht alle gleich sind. Nicht alle haben den gleichen Einfluss auf die wichtigen politischen Entscheidungen, die in der EU getroffen werden.
In den Korridoren des Brüsseler Politikbetriebs haben vor allem die wirtschaftlichen Interessen der Großkonzerne Vorrang vor den Bedürfnissen der Vielen; der Vielen, die sich keine Heerscharen von Lobbyisten und PR-Agenturen leisten können. Im schlimmsten Fall kommt es zu Kriminalität und Korruption.
Mit geschätzten 25.000 gibt es in Brüssel mehr Lobbyisten als deutsche Kleinstädte Einwohner haben. Die meisten von ihnen arbeiten für Unternehmen und Wirtschaftsverbände. Sie genießen einen privilegierten Zugang zu den politischen Entscheidungsträger:innen, um bis hin zur genauen Wortwahl Änderungen in ein Gesetz einzubringen.
Immer wieder kommt es auch vor, dass Industrievertreter:innen selbst in Spitzenjobs der EU-Politik wechseln. Die große Gefahr dabei ist, dass sich die EU-Politik völlig von der Realität und den Bedürfnissen der Menschen entfernt und diese das ungute Gefühl bekommen, dass über ihre Köpfe hinweg regiert wird.
Da muss sich niemand wundern, wenn Wähler:innen nicht zur Wahl gehen oder mit dem Gedanken spielen, Rechtsaußen zu wählen, um der sogenannten etablierten Politik eins auszuwischen.
Das Krisenmanagement in den Jahren der Corona-Pandemie, aber auch der Energie- und Inflationskrise sind Paradebeispiele für diese gefährliche Politik.
Zu Beginn der Corona-Pandemie nahm die Europäische Kommission unter Ursula von der Leyen die gleiche Position ein, wie sie von der mächtigen Lobby der Pharmakonzerne propagiert wurde. Der europäische Dachverband European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA) gehört zu den Top 10 der Organisationen mit den höchsten jährlichen Lobbyausgaben.
Die Kommission stellte sich vehement gegen die Forderung einiger Länder des globalen Südens und der Linken im Europäischen Parlament, die Patente auf die Herstellung von Impfstoffen auszusetzen, um sie zu einem Gemeingut zu machen.
Während weltweit Menschen an Covid-19 erkrankten und Krankenpfleger:innen am Rande ihrer Kräfte versuchten, Leben zu retten, verzeichneten Konzerne wie Pfizer so massive Extragewinne. Im Unterschied zu den Pharmariesen haben Krankenpfleger:innen keine derart mächtige Lobby.
Trauriger Höhepunkt ist die aktuelle Pfizergate-Affäre um Ursula von der Leyen, die einen milliardenschweren Impfstoff-Deal mit dem Pfizer-CEO per SMS ausgehandelt hat und sich bis heute weigert, die Inhalte offen zu legen.
In der Energiekrise hingegen zeigte sich die Macht der Energiekonzerne, die eine Preisexplosion in ganz Europa mit sich brachte.
Nach der Ankündigung einer Strommarktreform im August 2022 traf sich die zuständige EU-Kommissarin Kadri Simson innerhalb eines Jahres mit nicht weniger als 57 Energieunternehmen. Jedoch schenkte sie sage und schreibe nur einer einzigen Organisation Gehör, die Verbraucher:innen repräsentiert.
Auf Wunsch von Ölgiganten wie BP, Total und Eni setzte die Kommission zudem eine Beratergruppe aus Industrievertreter:innen ein. So wurde die Entkopplung von russischem Gas nicht zu Genüge genutzt, um unabhängiger von fossilen Brennstoffen zu werden. Tatsächlich wurde die Gasinfrastruktur sogar weiter ausgebaut.
Insgesamt wurde die Fehlkonstruktion des europäischen Energiemodells einschließlich der übermäßigen Rohstoffspekulation beibehalten. Die Zeche zahlten die Verbraucher:innen, deren Energiekosten durch die Decke gingen. Die Energiekonzerne hingegen strichen obszöne Rekordgewinne ein.
Diese Beispiele aus der Krisenpolitik machen deutlich: Wer ein Europa will, das Mensch und Planet vor Profit stellt, muss es erst den Konzernen nehmen. Wir können uns Europa zurückholen, wenn der politische Wille da ist.
Mit gezielten Reformen kann der Einfluss der Wirtschaftslobby sofort eingedämmt werden. Darunter fällt zum Beispiel:
Aber um Europa zurückzugewinnen, müssen wir vor allem eine linke Politik wagen. Linke Politik gibt denen eine Stimme, die nicht gehört werden. Sie bedeutet, dass sich Menschen zusammentun, um für eine gerechtere Gesellschaft zu kämpfen.
Linke Politik entsteht dort, wo Arbeiter:innen gemeinsam für eine gerechtere Einkommensverteilung streiken; wo junge Menschen gemeinsam auf die Straße gehen, um den Schutz der Umwelt für ihre Zukunft zu fordern; wo die verschiedensten Menschen zusammenkommen, um dem Faschismus die Stirn zu bieten.
Linke Politik entsteht auch im Europäischen Parlament, wenn die Forderungen dieser Menschen von Abgeordneten in den Plenarsaal getragen werden.
Dass linke Politik im Europäischen Parlament erfolgreich sein kann, zeigt auch die Politik zur Pandemie und zur Energiekrise. Gegen den Widerstand der EU-Kommission und konservativer Parteien wurde auf Druck der Linken die Forderung nach einer Aussetzung der Patentbeschränkungen vom Europaparlament angenommen.
Gegen den Widerstand der Bundesregierung in Berlin wurde aufgrund linker Forderungen eine Steuer auf die Krisengewinne der Energiekonzerne eingeführt. Das sind Etappensiege auf einem langen Weg. Und sie zeigen, dass wir es selbst in der Hand haben, etwas zu verändern. Mit einer starken Bewegung, Gewerkschaften und im Parlament können wir Europa den Konzernen entreißen.