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Gastbeitrag

Jakob Blasel kritisiert Friedrich Merz in seinem Gastbeitrag scharf

ARCHIV - 28.04.2025, Berlin: Friedrich Merz, Unions-Kanzlerkandidat und CDU-Bundesvorsitzender, spricht beim Bundesausschuss der CDU. (zu dpa: «Umfrage: Union legt zu, AfD verliert») Foto: Kay Nietfel ...
Es ist offiziell: Friedrich Merz ist Bundeskanzler. Bild: dpa / Kay Nietfeld
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Friedrich Merz ist Bundeskanzler: Der falsche Mann zur falschen Zeit

Wenn Jakob Blasel eine klare Meinung hat, hält sich der Co-Chef der Grünen Jugend selten zurück. Für watson schreibt er nach der zunächst gescheiterten Wahl des neuen Bundeskanzlers über Friedrich Merz – und darüber, warum er auch mit Blick auf einige Minister:innen nur den Kopf schütteln kann.
06.05.2025, 18:2806.05.2025, 18:28
Jakob Blasel
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Um es mit Bushidos Worten zu sagen: Es wird langsam Zeit, mich zu der Scheiße hier zu äußern.

Richtig, es geht um den neuen Kanzler für ganz Deutschland.

Aber erstmal der Disclaimer direkt zu Beginn: Es dürfte niemanden überraschen, dass ich kein Fan von Friedrich Merz bin. Ich halte diesen Mann für schlichtweg ungeeignet, um das wichtigste Amt dieses Landes zu bekleiden. Seine Wahl ist heute fast gescheitert, weil er dieses Land spaltet. So sehr, dass er immer mehr an Zustimmung verliert. Dennoch ist er nun der neue Kanzler dieser Republik. Und deshalb lohnt es sich, sich sein bisheriges Leben und Wirken mal genauer anzuschauen.

Friedrich Merz hatte in seinen bisher fast 70 Jahren auf dieser Erde vier politische Eras. Das sind zwar immer noch sechs weniger als Taylor Swift, dafür hatten die es in sich.

Schnallt euch an, es wird ungemütlich.

Jakob Blasel
Jakob Blasel ist seit Oktober 2024 Co-Bundessprecher der Grünen Jugend.Bild: Grüne Jugend / Marlen Drechsler

Era 1: Miese Haltung zu Frauen und Homosexualität

1997 stimmte Friedrich gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe. Diese Anekdote ist die bekannteste, war aber nicht die erste in dieser Reihe: Schon 1995 votierte er etwa gegen das "Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz", das eine Liberalisierung beim Abtreibungsrecht vorsah.

Der Mann, der sagt, er könne kein Frauenproblem haben, weil er schließlich Frau und Tochter hat, fällt auch sonst nicht mit fortschrittlichen Ansichten auf. "Solange der Wowereit sich mir nicht nähert, ist mir das egal", kommentierte er damals zum Beispiel das Coming-out des Berliner Bürgermeisters.

Als ein obdachloser Mensch Friedrichs verlorenen Laptop fand und zurückgab, bedankte sich der heutige Bundeskanzler mit einer signierten Ausgabe seiner Autobiografie mit dem Titel "Nur wer sich ändert, wird bestehen. Vom Ende der Wohlstandsillusion". Da hilft nur noch Ironie: Ich bin sicher, der ehrliche Finder profitiert noch heute von dieser großzügigen Geste.

Ähnlich großzügig zeigte er sich damals gegenüber der arbeitenden Bevölkerung. Die wollte er erst mit 70 Jahren in Rente schicken, ihr davor aber noch den Kündigungsschutz nehmen. Wer auf dem Bau seinen Körper mit 55 kaputt gemacht hat, hätte in seinem Traumszenario einfach entlassen werden können, ungeschützt durch Recht oder Rente.

Damit kam er zum Glück nicht durch, denn Angela Merkel setzte sich 2005 nach einem langen Machtkampf gegen ihn durch. 2009 endete seine Zeit im Bundestag vorerst, von nun an hatte er politisch erstmal nichts mehr zu sagen. Danke, Merkel.

Era 2: Gier

Auf gesellschaftspolitischen Stumpfsinn folgte Gier.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag aktivierte er sein Kontaktbuch und sammelte hohe Posten in Konzernen wie ich selbst Treuepunkte beim Supermarkt.

Deutsche Bank, HSBC, Commerzbank, Blackrock. Es waren zu viele, um sie alle aufzuzählen.

Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle Blackrock. Das Unternehmen ist eine der einflussreichsten Fondsgesellschaften der Welt, heißt es, verwaltet Vermögen von anderen Unternehmen und extrem reichen Menschen. Jemanden wie Friedrich holt man nicht, weil er mal Richter auf Probe oder Anwalt war.

Deutlich wertvoller waren für Blackrock sein Adressbuch und seine Kontakte in die Politik und in die Chefetagen deutscher Konzerne. Merz war dort der Türöffner, wenn die Reichsten der Reichen Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen wollen. Diese Jobs machten den Mann, der gerne statt in die Bahn in sein Privatflugzeug steigt, zum Multimillionär – oder wie er es selber nennt: gehobene Mittelschicht.

Versteht mich nicht falsch: Jede:r hat das Recht auf ein Leben nach dem Bundestag. Viele nutzen das für Projekte, die uns als Gesellschaft voranbringen. Unter ehemaligen Abgeordneten finden sich Rettungssanitäter:innen, Seenotretter:innen oder Lobbyist:innen für bessere Pflegebedingungen. Damit haben die Unternehmen, die Friedrich berät, leider nur wenig bis nichts zu tun.

Allein die Deutsche Bank und die Commerzbank zählen zu den Hauptfinanzierern von Naturzerstörung und Nahrungsmittelspekulation. Blackrock hingegen verdient wahrscheinlich gerade in dieser Sekunde Geld mit eurer Miete, immerhin ist das Unternehmen an Deutsche Wohnen & Co. finanziell beteiligt.

Wie soll dieser Diener der Reichen jetzt Diener des Volkes werden?

Era 3: Comeback und rechte Narrative

Wer hätte nicht gern einen so umfangreichen Wikipedia-Artikel wie Friedrich Merz' "Leben, Politik, Kontroversen und Kanzler"? Der Eintrag von Merz könnte irgendwann um "Aufstieg des Faschismus" erweitert werden. Zumindest wirkt es so, als bemühe er sich, möglichst viele historische Fehler zu wiederholen, die das begünstigen.

Wir wissen aus der Forschung zu Faschismus, dass die Übernahme rechter Narrative den Aufstieg und die Wahlchancen rechtsextremer Parteien begünstigt. Dabei sind Friedrichs verbale Entgleisungen – migrantische Grundschüler nannte er "Paschas" und ukrainischen Geflüchteten warf er "Sozialtourismus" vor – eher eine Notiz am Rande. Letzteres war übrigens mal ein Wahlkampfslogan der rechtsextremen NPD.

Schwerer wiegt seine Zusammenarbeit mit der AfD im Bundestag vor wenigen Monaten. Angetreten ist Friedrich 2021 mit der Mission, die AfD zu halbieren (OGs erinnern sich, damals stand sie noch bei zehn Prozent), dieses Jahr wurde er zum ersten Beschaffer von Mehrheiten mit Faschist:innen im Bundestag seit 1945. Ist auch 'ne Leistung.

Wer sich fragt, wo die Reise politisch jetzt hingehen könnte, dem empfehle ich einen Blick auf die neuen Minister:innen.

Era 4: Die neue Regierung unter Friedrich Merz

Mit Katherina Reiche bekommen wir eine Cheflobbyistin im Wirtschaftsministerium. Das ist die Frau, der Interessenkonflikte schon 2015 bei ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag so egal waren (sie wechselte danach zum Verband kommunaler Unternehmen), dass danach die Gesetze für den Wechsel von der Politik in die Wirtschaft verschärft wurden. Kein Scherz.

Leider hat sie nicht nur ein Problem mit Interessenkonflikten, sondern auch mit queeren Menschen. Homosexuelle Paare bezeichnete sie als "nicht normal" und gleichgeschlechtliche Eltern als schlechte Eltern. Damit steht sie in einer Reihe mit dem neuen Kulturstaatsminister Wolfgang Weimer. Coming-outs bezeichnete er neben anderen "Trends" als "diskursive Proletarisierung" und "Enttabuisierung".

Am Ende dieser schlimmen Personalentscheidungen bleibt noch die Ernennung des bisherigen Media-Markt-Chefs Karsten Wildberger zum Digitalminister. Es klingt wie ein schlechter Witz der "heute show", dass der Mann, der den grottenschlechten Onlineshop von Saturn und Media-Markt zu verantworten hat, jetzt die Modernisierung Deutschlands vorantreiben soll.

Ein schlechter Witz, gemischt mit sehr vielen Konzerninteressen – das ist auch die Zusammenfassung der neuen Koalition unter Friedrich.

Fazit

Jetzt ist es so weit. Friedrich ist Kanzler dieser Republik. Er, der sein Leben an wirklich wenigen Stellen dem Wohle der Mehrheit gewidmet hat, besetzt nun das wichtigste Amt Deutschlands.

Es fällt leicht, Friedrichs bisheriges Leben zu skandalisieren, sich über ihn lustig zu machen und ihn vor allem als anständigen Politiker abzuschreiben. Nicht einmal seine eigenen Leute wollten ihn auf Anhieb wählen. So hart ist noch niemand bei der Kanzlerwahl auf die Fresse geflogen. Er wird trotzdem die Person sein, die sich ab jetzt um unsere Probleme kümmern muss. Und deswegen werden wir ihn weiter daran messen, wie er diese neue Era als Bundeskanzler gestaltet.

Es müsste eine sein, in der soziale Gerechtigkeit, der Kampf gegen Faschismus und der Erhalt unserer Lebensgrundlage die Töne angeben. Hoffnung darin habe ich allerdings keine.

In Anbetracht seines Lebens bleibt mir nur zu sagen: falscher Mann zur falschen Zeit.

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