Ihre Geschichte ging um die Welt: 2015 flüchteten die Schwestern Sara und Yusra Mardini von Syrien nach Europa. Sie saßen laut UNHCR zusammen mit 18 anderen Personen in einem Schlauchboot irgendwo zwischen der Türkei und Griechenland, als der der Motor ausging.
Vor der Flucht schwammen die Schwestern im syrischen Nationalteam. Auf hoher See banden sie sich Seile um, sprangen ins Wasser und zogen das Boot mit Körperkraft bis nach Lesbos.
Später kamen sie über die Balkanroute nach Berlin. Yusra setzte dort ihr Schwimmtraining fort und nahm 2016 in Rio de Janeiro und 2020 in Tokio an den Olympischen Spielen teil.
Der Streamingdienst Netflix verfilmte ihre Geschichte: "Die Schwimmerinnen" erschien vergangenen November. Der Film erzählt eine Heldinnenreise und endet mit den Olympischen Spielen 2016.
Doch die Wirklichkeit ging weiter: Sara ging nach Lesbos, um sich in der Seenotrettung zu engagieren. Sie arbeitete ehrenamtlich als Rettungsschwimmerin für die griechische Hilfsorganisation Emergency Response Center International (ERCI), die unter anderem mit der griechischen Küstenwache kooperierte.
Nachdem Griechenland seinen migrationspolitischen Kurs verschärft hatte, geriet die Organisation in den Fokus der griechischen Behörden, vor allem wegen der Seenotrettung.
2018 wurde Sara festgenommen. Ebenso der deutsch-irische Rettungstaucher Seàn Binder, der auch für ERCI arbeitete, und drei andere Aktivistinnen und Aktivisten.
Über drei Monate verbrachten sie in Untersuchungshaft, bis sie gegen Kaution frei kamen. Abgeordnete des Europaparlaments setzten sich für ihre Freilassung ein. Aber die Anklage wurde nicht fallen gelassen.
Am Dienstag wurde auf Lesbos ein Prozess gegen Sara und 23 andere Aktivistinnen und Aktivisten aufgegriffen. 2021 wurde er erstmals eröffnet, doch direkt vertragt und an die nächste Instanz verwiesen.
Die griechischen Behörden werfen ihnen Spionage vor. Laut einem Polizeibericht sollen sie den Funkkanal von Frontex abgehört haben. Allerdings steht laut Human Rights Watch (HRW) im Polizeibericht auch, dass er nicht verschlüsselt gewesen sei und somit von jedem mit einem Ultrakurzwelle-Funkgerät empfangen werden könne.
Auch Schlepperei, Geldwäsche, Verrat von Staatsgeheimnissen, Bildung einer kriminellen Vereinigung und weitere Vergehen finden sich unter den Anklagepunkten. Die Beschuldigten weisen die Vorwürfe von sich. Bei Verurteilung drohen ihnen laut Amnesty International (AI) bis zu 25 Jahre Haft.
Sara darf als Syrerin wegen eines Einreiseverbots nicht an dem Verfahren teilnehmen. Sie wird durch Anwälte vertreten. Dies war bereits 2021 der Fall.
In einem Interview mit dem "Spiegel" sagte sie: "Ich wollte mich selbst verteidigen. Ich wollte nicht, dass andere mich vertreten, selbst meine eigenen Anwälte nicht. Ich kann für mich selbst sprechen."
Binder dagegen durfte als deutscher Staatsbürger einreisen. Am ersten Prozesstag sagte er zu den Medien: "Wir haben den ganzen Vormittag damit verbracht, einen Grund nach dem anderen zu nennen, warum dieser Prozess so nicht fortgesetzt werden kann."
Die Staatsanwaltschaft habe einen Fehler nach dem anderen gemacht. Sie habe Menschenrechte verletzt und Verfahrensfehler gemacht. Binder sprach von einer "Rule of Flaws" anstatt einer "Rule of Law".
Binder wirft der Staatsanwaltschaft vor, den Prozess absichtlich hinauszuzögern. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagte er: "Ich denke, das Ziel ist gar nicht, dass wir am Ende verurteilt werden, sondern dass das ganze Verfahren so lange wie möglich dauert. Um Menschen abzuschrecken, die Leben retten wollen."
Außerdem verweist seine Verteidigung darauf, dass aus der Anklageschrift nicht eindeutig hervorgehe, wer womit angeklagt werde. Auch würden die Vorwürfe nicht ausreichend belegt.
Er und die anderen Angeklagten wollen aber, dass das Verfahren nach Jahren im "legalen Limbo" endlich anfängt. Sie sind überzeugt, in einem fairen Prozess ihre Unschuld beweisen zu können.
Binder sagte: "Ein Gericht muss anerkennen: Was wir getan haben, war legal. Sonst bleibt ein Schatten des Zweifels, nicht nur über mir, sondern über jedem, der Such- und Rettungsaktionen durchführt."
Am Freitag wird der Prozess weitergeführt. Es ist unklar, wie lange er dauern wird.