Bilder der Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha gingen um die Welt. Bild: AP / Rodrigo Abd
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Triggerwarnung: Im folgenden Text werden Gewalthandlungen geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.
Ein Hund steht neben der Leiche einer älteren Frau, die in ihrem Haus auf dem Boden liegt. Wer im vergangenen Jahr die ukrainische Stadt Butscha betrat, tauchte in einen Albtraum ein. Leblose Körper in Treppenhäusern, auf den Straßen, in den Hinterhöfen – zahlreiche Fotos verewigten das Ausmaß der Gewalt.
Zeug:innen erzählten, was in der Stadt während der einmonatigen Belagerung durch die Russen geschah.
Männer tragen den Sarg mit einem Opfer des Butscha-Massakers.Bild: AP / Emilio Morenatti
Hunderte Tote in Butscha ermordert
"Soldaten haben unbewaffnete Männer im wehrfähigen Alter befragt und exekutiert und sie haben Menschen getötet, die ihnen unabsichtlich in den Weg kamen – seien es Kinder, die mit ihren Familien flüchteten, Anwohner auf der Suche nach Lebensmitteln, oder Menschen, die einfach nur versuchten, auf ihren Fahrrädern nach Hause zu fahren", schreibt die "New York Times" nach ihrer monatelangen Recherche zu Butscha.
Der einst beliebte Kiewer Vorort ist zu einem Symbol für die russischen Massaker in der Ukraine geworden. 460 Zivilist:innen starben – darunter auch Kinder.
Auf diesem Bild aus einem Überwachungsvideo nehmen russische Truppen eine Straße in Butscha ein.Bild: AP
Russland streitet eine Verantwortung für die Taten weiterhin ab und meint, die Aufnahmen der Opfer seien fingiert – eine Täuschung. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verkündete eine Kehrtwende: Er werde nicht mehr mit Russland verhandeln, solange der russische Präsident Wladimir Putin an der Macht sei oder russische Truppen in der Ukraine seien.
Seither sind noch mehr Gräueltaten Russlands an der ukrainischen Bevölkerung ans Licht gekommen. Nicht zuletzt auch durch die russischen Wagner-Söldner. Expert:innen sprechen von einem Völkermord, wie etwa der Top-Historiker Timothy Snyder von der Yale University.
Historiker Timothy Snyder begründet, warum Ukraine einen Genozid erleidet
Laut ihm ist die Intention eines Genozids in der Ukraine klar in der Kommunikation Russlands verankert. Fast täglich höre man dazu etwas im russischen Fernsehen. Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew sowie Putin halten sich mit genoziden Aussagen nicht zurück.
Als Beispiel nennt der Experte eine Aussage von Wladimir Putin: "Die ukrainische Nation existiert nicht. Die ukrainische Nation ist ein schwarzes Loch, angeführt von einem Juden installiert durch den Westen." Aber auf Intentionen folgen eben auch Aktionen.
Diese lassen sich laut des Professors in fünf Kategorien gliedern: Diese reichen vom Töten von einzelnen Menschen bis hin zur Verschleppung von Kindern. "Russland hat alle diese fünf Punkte begangen", betont er. Für ihn sei es ein klarer Fall von Völkermord.
Dazu kämen noch weitere Faktoren, die darauf hinwiesen, dass Russland in der Ukraine einen Völkermord verfolge: Störung der Lebensmittelversorgung, von Schulen, Ermordung von einzelnen Künster:innen oder Schriftsteller:innen. "All das sind genozide Aktionen", meint Snyder.
Was ist Genozid?
Genozid ist der juristische Begriff für Völkermord. Das Übereinkommen der
Uno von 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes definiert dieses Verbrechen als Handlung, "die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören".
Dennoch trifft die Aussage, dass Russland einen Genozid in der Ukraine beabsichtigt, auch auf Gegenwind im Westen.
Völkerrechtler mahnt: Nachweis von Genozid sei schwierig
Es gibt Beobachtende, die nicht von einem russischen Völkermord in der Ukraine ausgehen. Um etwa die Morde und Verbrechen in Butscha als Genozid einzustufen, müsste bewiesen werden, dass das russische Vorgehen darauf abzielt, die ukrainische Bevölkerung zu vernichten. Und eben das sei sehr schwer. Völkerrechtler Kai Ambos sagt im ZDF dazu:
"Man müsste der russischen Führung nachweisen, dass sie in der Absicht bestimmte Taten begeht, um die Gruppe der Ukrainer zu vernichten. Man kann sie wohl als nationale Gruppe im Sinne des Genozids verstehen, aber die Zerstörungsabsicht ist gleichwohl kaum nachzuweisen."
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Dennoch benutzten ukrainische Politiker wie Selenskyj oder Vitali Klitschko den Begriff häufig auch, um das besondere Unrecht bestimmter Taten auszudrücken, führt Ambos aus. Laut Snyder geht man im Westen dem Begriff "Genozid" aus dem Weg. Denn: Würde man es laut aussprechen, müssten dementsprechend angemessene Konsequenzen folgen.
Der Krieg in der Ukraine basiere auf dem Prinzip, dass diese Nation nicht existiert, führt Snyder aus. Sprich, es gebe keine Ukraine, keine Ukrainer:innen und keine ukrainische Kultur. "Es gibt nur Russland, großartige russische Geschichte sowie Kultur", erläutert er die Erzählung.
Laut Snyder überfiel Russland die Ukraine mit der Vorstellung, die wenigen Aufsässigen zu "beseitigen" und die Mehrheit würde sich der großartigen Nation Russland freiwillig – mit Freude – anschließen. Dieser Plan ging nicht auf.
Timothy Snyder forscht zur Geschichte Osteuropas an der Yale University in den USA. Bild: imago images
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