"Vice" stand einmal für jungen, provokanten Journalismus wie kaum ein anderes Medium. Besonders in den 2010er Jahren wurde das Magazin für seine teils gewagten Reportagen bekannt. So berichteten die Redakteur:innen über Warlords in Afrika und harte politische Themen, gleichzeitig auch immer wieder über verschiedene Drogen und ihre Konsument:innen – inklusive diversen Selbstversuchen. Auch die Videoreportagen konnten auf Youtube Millionen Klicks sammeln.
Gegründet wurde "Vice" 1994 in Kanada, damals war es ein Punk-Magazin für Subkulturen. Doch das Medium wuchs schnell: bald gab es Ableger in mehr als 20 Ländern. Es kamen Zusammenarbeiten mit Fernsehsendern dazu, schließlich wurde das Hauptquartier nach New York verlegt. Der Fokus von "Vice" liegt bei "Kultur, Verbrechen, Kunst, Partys, Mode, Protest, das Internet und andere Themen".
Trotz des schnellen Aufstiegs und großen Erfolg des Mediums musste die Vice Media Group, die die "Vice" betreibt, erst kürzlich Insolvenz anmelden. Dann bekam das Unternehmen Hilfe – aus Saudi-Arabien. Diese Verbindung zeigt sich jetzt auch in den Inhalten des Magazins.
Seit 2022 gab es bereits Gerüchte, dass es um das Medienportal finanziell alles andere als gut aussieht. Die Gründe waren laut Branchenkennern vielfältig: Die Online-Werbekrise und ein generelles Verkalkulieren werden für den finanziellen Niedergang verantwortlich gemacht. Die Gerüchte bestätigten sich schließlich im Mai dieses Jahres, als Vice Media tatsächlich Insolvenz anmelden musste.
Nach der Insolvenz musste das Medienportal mehr als 100 Mitarbeitende entlassen. Teilweise geht das Geschäft des Unternehmens jedoch weiter. Schon zuvor hatte man Einnahmen durch die Zusammenarbeit mit anderen Mediengruppen (Joint Ventures) generiert. Bei einem dieser Unternehmen handelt es sich um ein saudisches Staatsmedium, die MBC-Gruppe.
Seit Januar dieses Jahres gibt es den Vertrag zwischen der Vice Media Group und der MBC Group. Diese wird zu 60 Prozent vom saudischen Staat kontrolliert.
Die damalige CEO der Vice Media Group, Nancy Dubuc, sagte im Januar:
Journalist:innen sind nun um die Unabhängigkeit der "Vice" besorgt. Der "Guardian" berichtete kürzlich von einem freiberuflichen Journalisten, der einen Beitrag über Transgender-Aktivist:innen in Saudi-Arabien für die "Vice" produziert hat. Die Veröffentlichung des Beitrags wurde dann jedoch immer weiter nach hinten verschoben und schließlich ganz gestrichen.
Zudem berichten Quellen dem "Guardian", dass das Medienportal einen online hochgeladenen Film über Mohammed bin Salman, den Kronprinzen – und Premierminister – von Saudi-Arabien entfernt hat. Angeblicher Grund: um die Mitarbeiter:innen in Saudi-Arabien zu schützen.
Der "Guardian" berichtet von einer weiteren eindrücklichen Veränderung. Im Londoner Büro von "Vice" hing zuletzt ein Foto von Sarah Everard. Die junge Frau war 2021 in einem Londoner Park von einem Polizisten ermordet worden. Die Tat hatte international hohe Wellen geschlagen und eine Debatte zum Thema Femizid angestoßen. Nun hängt anstelle des Fotos eine Landkarte von Saudi-Arabien an der Wand.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels waren mehrere fehlerhafte oder unsaubere Passagen, die wir korrigiert haben: Wir haben eine falsche Formulierung ("'Vice' wird mit saudischem Konzern zusammengelegt") entfernt. Zudem bezeichneten wir Nancy Dubuc als CEO von Vice. Sie hat das Unternehmen allerdings verlassen. Außerdem haben wir die Zahl der Entlassungen spezifiziert. Es waren mehr als 100, nicht "Hunderte". Wir bitten um Entschuldigung.