Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán gilt nicht als queerfreundlich. Im Gegenteil. Während in vielen EU-Staaten gleichgeschlechtliche Paare heiraten und demonstrieren dürfen, sieht die Realität in Ungarn ganz anders aus.
Wer dort als LGBTQIA+-Person lebt, hat es schwer – und zwar nicht nur gesellschaftlich, sondern auch rechtlich. Doch aktuell regt sich Widerstand: vor Gericht, auf der Straße und in Luxemburg. Denn gleich drei Entwicklungen zeigen, dass die LGBTQ-Rechte in Ungarn gerade zum politischen Brennglas Europas werden.
Das Verfassungsgericht stellt sich überraschend gegen die eigene Regierung, der Europäische Gerichtshof befasst sich mit dem umstrittenen LGBTQIA-Gesetz, Menschen gehen auf die Straße – und prominente Stimmen aus Kultur und Politik schlagen in einem offenen Brief Alarm: "Wenn die ungarische Regierung unter Viktor Orbán aus diesem europäischen Konsens ausscheren will, wird das nicht leise und unbemerkt passieren!"
Ein gleichgeschlechtliches Paar – mit ungarischer und deutscher Staatsbürgerschaft – hatte in Deutschland geheiratet und geklagt: Denn Ungarn erkennt ihre Ehe bisher nicht an. Jetzt gab ihnen das oberste Verfassungsgericht recht.
Gleichgeschlechtliche Eheschließungen im Ausland müssten in Ungarn zumindest als eingetragene Partnerschaft anerkannt werden, urteilten die Richter:innen. Sie setzten dem Parlament eine Frist bis zum 31. Oktober, das Gesetz endlich anzupassen, wie unter anderem "Zeit Online" berichtete.
In Ungarn ist die Ehe weiterhin nur heterosexuellen Paaren vorbehalten. Seit 2009 gibt es immerhin die Möglichkeit einer eingetragenen Partnerschaft, doch diese Regelung ist löchrig: Zwar existiert eine Verordnung aus dem Jahr 2016, die Auslands-Ehen formal anerkennt – gesetzlich umgesetzt wurde sie nie. Das sei ein klarer Verstoß gegen die Verfassung, so das Gericht. Der Schutz queerer Paare sei Teil der Menschenwürde.
Auch Ungarns Oberster Gerichtshof hat sich inzwischen gegen die Praxis der Regierung gestellt: Er hob das von der Polizei ausgesprochene Verbot einer Demonstration gegen Queerfeindlichkeit auf – mit der Begründung, die Gefährdung von Kindern sei nicht konkret belegt worden, wie queer.de am 5. Juni meldet.
Während die Justiz LGBTQIA+-Rechte zu stärken versucht, geht die Regierung den entgegengesetzten Weg. Die nationalkonservative Fidesz-Partei von Viktor Orbán nutzt ihre Mehrheit im Parlament gezielt, um queeres Leben zurückzudrängen.
Erst im März hatte sie im Eilverfahren ein Gesetz verabschiedet, das lokale Behörden ermächtigt, Pride-Paraden zu verbieten – offiziell "zum Schutz von Kindern". Grundlage ist das sogenannte Kinderschutzgesetz, das seit 2021 Minderjährigen den Zugang zu queeren Inhalten untersagt, ob in Büchern, Filmen oder auf Plakaten.
Besonders umstritten: Bei Verstößen darf die Polizei Gesichtserkennungssoftware einsetzen. Teilnehmenden an Pride-Demonstrationen drohen bis zu 500 Euro Strafe – ein massiver Eingriff in die Versammlungsfreiheit.
Aktuell ist die Lage rund um die geplante Pride-Parade am 28. Juni besonders angespannt: Noch ist unklar, ob und wo sie stattfinden darf. Zwischen Polizei, Regierung und der liberal geführten Stadtverwaltung Budapests laufen intensive Debatten.
Ungarns Justizminister Bence Tuzson schlug zuletzt laut "queer.de" vor, den CSD auf der Budapester Pferderennbahn abzuhalten – "damit Kinder ferngehalten werden können". Der liberale Budapester Bürgermeister Gergely Karácsony konterte demnach trocken: "Ich möchte den Justizminister darüber informieren, dass die Menschen, die bei der Pride für Freiheit und Liebe demonstrieren, Menschen sind, und keine Pferde."
Am Donnerstag landet das LGBTQ-Gesetz vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Die EU-Kommission hatte Klage eingereicht (Az. C-769/22), unterstützt von 16 Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament. Sie sieht durch das Gesetz Verstöße gegen die Grundrechtecharta und die Meinungsfreiheit. Und auch außerhalb des Gerichtssaals wächst der Protest.
Zahlreiche Prominente – darunter Carolin Emcke, Thomas Herrmanns, Hape Kerkeling und Katarina Barley – unterzeichneten einen offenen Brief an die EU-Kommission, die Bundesregierung und die ungarische Regierung. "Es darf in Europa nicht unwidersprochen bleiben, wenn der grundrechtliche Schutz von Menschenrechten und Demokratie ausgehöhlt und zerstört wird", heißt es in dem offenen Brief. "Wir kritisieren aufs Schärfste die Kriminalisierung von friedlichen Demonstrationen wie dem CSD/Pride."
Trotz des Verbots will die queere Community in Budapest am 28. Juni auf die Straße gehen. Die Organisator:innen der Pride kündigten an, dem Demonstrationsverbot zu trotzen – wohl wissend, dass ihnen Geldstrafen drohen.
"Die Situation für die LGBTQI-Community in Ungarn war schon seit Jahren schwierig", sagte die Grünen-Politikerin Terry Reintke laut "Zeit Online". Aber die Angst und der Druck seien noch nie so groß gewesen, "wie ich das jetzt gerade empfinde", fügte sie hinzu und forderte: "Wir müssen auf europäischer Ebene noch viel mehr tun."
Wenn die Europäische Union nicht innerhalb ihrer eigenen Grenzen die Fackel von Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit hochhalte, könne man die Hoffnung verlieren, dass die Demokratie sich durchsetzen werde.
Das Verbot des CSD sei nur die Spitze des Eisbergs, sagte Thomas Herrmanns, einer der Initiatoren des Schreibens. Es gehe unabhängig von LGBTQ-Rechten auch um die Versammlungsfreiheit. Das Verbot der Parade in Budapest bezeichnete er als einen Lackmustest für die ungarische Demokratie. Die EU-Kommission forderte er auf, sich klarer zu positionieren.