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Koks-Gerüchte aus Russland: Merz und Macron wegen Kiew-Besuch im Fokus

10.05.2025, Ukraine, Kiew: Bundeskanzler Friedrich Merz (l-r, CDU), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, Keir Starmer, Premierminister von Großbritannien, ...
Besuch mit Symbolkraft: Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Polen stellen sich hinter die Ukraine. Bild: dpa / Kay Nietfeld
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Fotos entlarven Kreml-Lügen: Wie Russland mit Kokain-Gerüchten gegen Merz Stimmung macht

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Mit Drogenvorwürfen gegen Kanzler Merz und Frankreichs Präsident Macron versucht Russland, die jüngste Solidaritätsreise europäischer Spitzenpolitiker in die Ukraine zu diskreditieren. Die Kampagne stützt sich auf ein missverständliches Video – und entlarvt sich bei näherem Hinsehen selbst.
12.05.2025, 13:3312.05.2025, 13:33

Dieser Besuch in Kiew dürfte für den russischen Machthaber Wladimir Putin ein Dorn im Auge sein: Bundeskanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer reisten gemeinsam in die ukrainische Hauptstadt – ein symbolträchtiger Akt westlicher Solidarität.

Von Polen aus stiegen sie in einen Sonderzug, um über Nacht in die ukrainische Hauptstadt zu reisen. Auch der polnische Regierungschef Donald Tusk war in die Ukraine gereist.

In der Erklärung unterstützen die vier Europäer die Forderungen von US-Präsident Donald Trump nach einem Friedensabkommen und fordern Russland auf, "die Bemühungen um einen dauerhaften Frieden nicht länger zu behindern".

Bilder und Videoaufnahmen aus dem Zugabteil zeigen Merz, Macron und Starmer in seltener informeller Stimmung.

Kurz darauf startet Moskau eine gezielte Desinformationskampagne. Russische Regierungsvertreter verbreiten öffentlich haltlose Anschuldigungen über angeblichen Drogenkonsum der Staatschefs. Die Vorwürfe stützen sich auf aus dem Kontext gerissene Szenen und werden auf Social Media weiterverbreitet – von russischen Kanälen ebenso wie von rechten Influencern.

Russland verbreitet falsche Koks-Vorwürfe gegen Merz und Macron

Die Falschinformationen kommen offenbar sogar von höchster Stelle. Am Sonntag veröffentlichte Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, auf Telegram einen Ausschnitt aus dem Video der Kiew-Reise.

Darin behauptete sie, Merz, Macron und Starmer seien "high" gewesen. Wörtlich schrieb sie: "Offenbar so sehr, dass sie vergessen haben, ihr Werkzeug (Beutel und Löffel) wegzulegen."

Zusätzlich warf Sacharowa dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj "langjährigen Kokainkonsum" vor. Europa werde inzwischen von "abhängigen Zeitarbeitern" regiert, lautete ihre Wortwahl.

Wenig später verbreitete auch Kirill Dmitrijew, Putins Sondergesandter für Ukraine-Gespräche, das Video. Auf X schrieb er: "Handelt es sich bei diesem Filmmaterial um künstliche Intelligenz oder um reale Aufnahmen?" Und weiter: "Handelt es sich um Zucker oder etwas ganz anderes?"

Mit einem letzten Satz – "Falls es echt ist, erklärt es viele aktuelle Ideen und Vorschläge" – lieferte Dmitrijew den gewünschten Spin: Misstrauen und Spott gegenüber westlichen Regierungschefs.

Faktencheck: Was auf den Fotos wirklich zu sehen ist

Auf den Aufnahmen ist zu sehen, wie die Staatschefs Gegenstände wegräumen. Während prorussische Accounts und rechte US-Influencer:innen die Aufnahmen rasch mit dem Drogen-Vorwurf verbreiteten, liefern offizielle Pressefotos eine eindeutige Auflösung: Macron hebt ein zerknülltes Taschentuch vom Tisch.

Der vor Merz liegende, längliche Gegenstand ist vermutlich ein Cocktailspieß oder ein Rührstab – er wird später von ihm mit der Hand abgedeckt. Hinweise auf "Kokainbesteck", wie von Sacharowa suggeriert, gibt es nicht. Naheliegend ist vielmehr, dass die Politiker kleinere Gegenstände und Müll vom Tisch räumten, bevor Journalist:innen den Raum betraten – ein plausibles Verhalten vor offiziellen Aufnahmen.

Analyse: "Trash-Propaganda" als Zeichen der Schwäche

Der Zeitpunkt der Kampagne ist auffällig. Nur wenige Tage zuvor hatten die Ukraine, EU-Staaten und die USA Moskau ein 30-tägiges Waffenstillstands-Ultimatum vorgelegt – ohne Vorbedingungen. Der Beginn: Montag.

Kremlchef Wladimir Putin lehnte die Forderung ab, ließ stattdessen erneut Luftangriffe auf die Ukraine fliegen – und flankierte dies mit propagandistischen Attacken gegen westliche Regierungen.

Die Art der Vorwürfe passe zu einer zunehmenden Verrohung russischer Rhetorik, meint Osteuropa-Expertin Annette Werberger von der Europa-Universität Viadrina. Sie ordnet die Aktion als Zeichen strategischer Schwäche ein: "Die scheinen echt verzweifelt zu sein, wenn sie schon auf der Ebene Trash-Propaganda betreiben", kommentierte sie auf X.

Auch aus Kiew kam eine Reaktion. Das Zentrum für strategische Kommunikation, Spravdi, das sich der Analyse und Bekämpfung russischer Desinformation widmet, bezeichnete die Kampagne als "eine der lächerlichsten Produktionen aus der Unsinnsfabrik des Kremls".

Ziel sei es gewesen, "das russische Publikum davon zu überzeugen, dass die Staatschefs Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands auf dem Weg in die Ukraine eine Kokainparty feierten".

Die Behörde warnte auch vor der internationalen Verbreitung: Rechte Influencer in den USA hätten das Narrativ schnell übernommen und weiterverbreitet – mit Reichweiten in Millionenhöhe.

Auch in Deutschland machten prorussische Telegram-Kanäle und X-Accounts die Falschbehauptungen publik. Max Mordhorst, ehemaliger FDP-Bundestagsabgeordneter, reagierte auf X mit scharfer Kritik: "Manchmal ist Demokratie schwer erträglich, wenn man bedenkt, dass es erwachsene Leute in Deutschland gibt, die wahlberechtigt sind und ernsthaft glauben, Macron würde in einem Video ein Tütchen Koks verstecken."

Die Anschuldigungen gegen Merz, Macron und Starmer reihen sich ein in eine Serie zunehmend aggressiver Rhetorik aus Moskau. Bereits zuvor hatte Ex-Präsident Dmitri Medwedew westliche Friedensinitiativen als "pan-gender Arschpläne" verspottet, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wurde von Außenminister Lawrow als "Führerin Ursula" betitelt, und Merz wurde nach seiner Wahl von einem Duma-Abgeordneten beschuldigt, ein "Viertes Reich" errichten zu wollen.

Am Donnerstag könnte Bewegung in die Ukraine-Verhandlungen kommen: Auf Druck von den USA und Europa hat der russische Präsident die Wiederaufnahme direkter Friedensgespräche in der Türkei ab Donnerstag vorgeschlagen, allerdings ohne vorhergehende Waffenruhe. Selenskyj äußerte die Hoffnung, "dass die Russen keine Ausreden suchen". Er werde persönlich am Donnerstag auf Putin in der Türkei warten.

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