Grace Nathan brachte ihre Mutter zum Flughafen – und hörte danach nichts mehr von ihr. Nicht nach den paar Stunden, die ihr Flug eigentlich hätte dauern sollen. Auch nicht nach dem geplanten Urlaubsende. Nie wieder. Sie weiß bis heute nicht einmal, was mit dem Flugzeug geschehen ist, in dem ihre Mutter saß.
Die 56-Jährige Mutter der Rechtsanwältin Nathan war eine von 227 Passagieren und 12 Besatzungsmitgliedern, die am 8. März 2014 mit dem Flug Malaysia Airlines 370 über Nacht von Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur nach Peking wollten. Auch nach bald viereinhalb Jahren fehlt von ihr und allen anderen immer noch jede Spur - allen Spekulationen und allen Suchen zum Trotz.
Inzwischen nennt man den ominösen Flug MH370 deshalb rund um die Welt das "größte Rätsel der Luftfahrtgeschichte". Abgesehen von unzähligen Zeitungs-Schlagzeilen sind inzwischen auch schon mehr als 30 Bücher darüber erschienen. Viel schlauer wird man durch all die Lektüre nicht, genauso wenig wie durch die verschiedensten TV-Sondersendungen. Erstaunlich eigentlich, dass es noch keinen großen Hollywood-Film gibt.
Deshalb war die Hoffnung der Angehörigen auf den angekündigten malaysischen Abschlussbericht, der am Montag in Kuala Lumpur vorgestellt wurde, nicht besonders groß. Klar, dass es jetzt nicht plötzlich einen konkreten Hinweis darauf geben würde, wo die Maschine liegt - vermutlich irgendwo auf dem Boden des südlichen Indischen Ozeans. Aber zumindest hatten sie Auskunft erhofft, warum die Boeing 777-200ER wieder kehrtmachte und dann verschwand.
Aber Fehlanzeige. Der Bericht brachte nichts wirklich Neues. Der entscheidende Satz findet sich kurz vor Schluss, auf Seite 443. Dort heißt es: "Das Team ist nicht in der Lage, den Grund für das Verschwinden von MH370 zu bestimmen." Damit darf weiter spekuliert werden. Die Theorien reichen von einem Absturz aus Treibstoffmangel über eine Entführung oder einen Abschuss durch Militärs bis hin zu einem Suizid des Piloten, der dabei auch noch 238 andere Menschen umgebracht hätte.
Zu den wenigen halbwegs sicheren Feststellungen in dem Bericht gehört, dass der Kurs von Flug MH370 per Hand geändert wurde und nicht über den Autopiloten. Ob vom Piloten selbst, vom Copiloten oder von jemandem anderen, dazu äußerte sich Chef-Ermittler Kok Soo Chon nicht. Er sagte jedoch: "Wir können nicht ausschließen, dass sich eine dritte Partei auf gesetzeswidrige Art und Weise eingemischt hat." Mehr aber auch nicht.
Auf Grund der inzwischen 27 Wrackteile, die an verschiedenen Küsten angespült wurden, vermuten die Experten, dass die Maschine "wahrscheinlich" auseinanderbrach. Ob noch in der Luft oder beim Aufprall auf dem Wasser, das ließen sie offen. Keine unwichtige Frage: Eine Wasserlandung würde bedeuten, dass der Pilot die Maschine nach vielen Stunden Flug einigermaßen kontrolliert nach unten gebracht hätte. Also doch Suizid?
Von dieser Theorie hält Chef-Ermittler Kok aus anderen Gründen nicht viel. Zum einen, weil seine Leute trotz gründlicher Suche keinerlei Hinweise auf irgendwelche Probleme des Piloten fanden, weder familiärer noch finanzieller noch sonstiger Art. Und auch, weil die beiden Psychiater im Team auf den letzten Film- und Tonaufnahmen von ihm keinerlei Symptome von Angst oder Stress feststellen konnten. Aber auch hier fügte Kok sicherheitshalber noch hinzu: "Ich schließe überhaupt nichts aus."
Dementsprechend enttäuscht kamen die betroffenen Familien aus ihrer Vorab-Unterrichtung durch die Ermittler. Rechtsanwältin Nathan, inzwischen Sprecherin der Angehörigen-Organisation Voice 370, fasste die Sache so zusammen: "Die Antworten gehen nicht genug in die Tiefe. Und es gibt keine angemessene Antwort auf einige relevante Fragen." Aus Sicht von Voice 370 (Stimme 370) darf der Bericht deshalb keinesfalls bedeuten, dass die Suche endgültig eingestellt wird.
"Das kann erst dann vorbei sein, wenn MH370 gefunden ist", meinte die Anwältin. "Deshalb kann das jetzt auch noch kein 'Abschlussbericht' sein." Wenigstens in diesem Punkt hatten die Angehörigen am Montag Erfolg. Im Unterschied zu den bisherigen Ankündigungen verzichteten die Ermittler auf diesen Begriff. Über dem 450-Seiten-Report steht jetzt nur "Sicherheitsermittlungsbericht". Gefreut darüber hat sich niemand.
(pb/dpa)