Der russische Propaganda-Apparat ist sich sicher: Die Ukraine wird von Neonazis regiert. Ein Teil der russischen Erzählung, warum der völkerrechtswidrige Angriff auf das Nachbarland in Ordnung – ja sogar notwendig ist. Moskau wolle die Ukraine "entnazifizieren". Das ist natürlich Quatsch. Erst recht, wenn bedacht wird, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj selbst jüdischer Herkunft ist.
Die Kanada-Reise des ukrainischen Staatschefs dürfte nun allerdings Wasser auf die Mühlen der russischen Propaganda-Maschinerie sein. Und auch auf Social Media ist der Aufschrei der Empörung laut. Der Vorwurf: Verharmlosung von NS-Kriegsverbrechen.
Als Staatsoberhaupt der Ukraine ist Selenskyj immer wieder in den Hauptstädten der Welt zu Besuch, spricht vor den Parlamenten, bittet um Unterstützung und fordert Waffen. So auch in Ottawa, Kanada. Und dieser Tag im kanadischen Parlament sorgt nicht nur in Nordamerika für Aufruhr. Denn nach der Rede des ukrainischen Präsidenten wurde ein ukrainischer Immigrant für seinen Kampf gegen die Russen gewürdigt.
Dabei handelte es sich um den 98-jährigen Jaroslaw Hunka –ein "ukrainisch-kanadischen Kriegsveteran", wie es Kanadas Parlamentspräsident Anthony Rota ausdrückte. Hunka habe im Zweiten Weltkrieg die Unabhängigkeit der Ukraine gegen Russland verteidigt. Der Geehrte soll mit tosendem Applaus der anwesenden Parlamentarier belohnt worden sein.
Was Rota bei der Ehrung wohl verschwieg: Hunka soll Mitglied der Waffen-SS gewesen sein. Also Hitlers militärischer Elite. Ein Fakt, der der Organisation Friends of Simon Wiesenthal Center (FSWC) direkt aufgefallen ist. FSWC prangerte an, dass Rota ein Mitglied der 14. Waffen-Grenadier-Division der SS, auch bekannt als Waffen-SS-Division Galizien geehrt habe.
Die SS, die nach Kriegsende bei den Nürnberger Prozessen als verbrecherische Organisation eingestuft wurde, hatte in vielen besetzten Ländern nationale Verbände, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Ein Vorwurf, den Kanadas Parlamentspräsident Rota wohl ernst nimmt. Nach heftigen Protesten hat der sich für die Ehrung des SS-Veteranen entschuldigt. Er erklärte laut kanadischen Medienberichten:
Er übernehme die volle Verantwortung für sein Handeln. Aber auch auf X, früher Twitter, ist der Aufschrei um den Skandal immens. Ein User mutmaßt, dass Kanada wohl zeitnah auch Hitler posthum zum "kanadischen Helden" ernennen werde.
Ein anderer sieht in der Ehrung den Beweis, dass der Westen seine Verbündeten aus rein pragmatischen Gründen erwähle – eine "sorgfältige Prüfung" sei wohl nicht mehr notwendig, mutmaßt der User.
Die Historikerin Franziska Davies analysiert in einem Thread außerdem, welche Auswirkungen diese Ehrung hat. Sie sei "eine Beleidigung für die Opfer des Holocaust und ein großer Bärendienst für die Ukrainer, die gegen ein völkermordendes russisches Regime kämpfen", schreibt Davies und fügt an:
Es gebe gute wissenschaftliche Arbeiten über den extremistischen Flügel der ukrainischen Diaspora in Kanada, der 1945 immigrierte. Es sei diesem Flügel gelungen, Schlüsselpositionen in den Institutionen der Diaspora zu erlangen, meint Davies. So habe sich eine antikommunistische und nationalistische Erinnerungskultur etabliert. All das ändere aber nichts daran, dass die Ukraine aktuell die eigene Unabhängigkeit vor dem Machtanspruch Russlands verteidige, stellt sie klar.
Was ihr wohl außerdem wichtig ist, zu erwähnen: Ukrainische SS-Mitglieder seien nicht mit deutschen Mitgliedern zu vergleichen, da es auch eine Überlebensstrategie habe sein können. Davis schreibt:
(Mit Material der dpa)