Die rosigen Zeiten sind vorbei. Für Europa, auch für Deutschland. Dieses Gefühl vermitteln zumindest die aktuellen Studien, die der Gen Z einen Rechtsruck attestieren.
Doch Europa steht nicht nur diesem Problem gegenüber, sondern blickt auch der Gefahr aus Russland in die Augen – und demnächst voraussichtlich ebenfalls einem Donald Trump, der sich im November erneut zum US-Präsidenten wählen lassen möchte.
Ist die EU dem gewappnet? Darüber diskutieren Spitzenvertreter:innen der Nachwuchsorganisationen der Ampelparteien im Streitgespräch bei watson: Katharina Stolla (Grüne Jugend), Philipp Türmer (Jusos) und Tobias Weiskopf (JuLis). Die JU hatte ebenfalls zugesagt, war jedoch kurzfristig verhindert.
Dies ist der zweite Teil des Interviews. Im ersten Teil wurde unter anderem über den Rechtsruck auf europäischer Ebene gesprochen.
watson: Es droht nicht nur eine mögliche Wiederwahl Donald Trumps, der immer wieder von einem Rückzug der USA aus der Nato spricht. Ist die EU gegen den Aggressor Wladimir Putin genügend gerüstet?
Tobias Weiskopf: Ja. Wir haben zwar in der Vergangenheit nicht perfekt auf Krisen reagiert, aber geschlossen ziemlich schnell Ukraine-Hilfen auf den Weg gebracht – es hätte mehr sein und an einigen Stellen noch schneller gehen müssen, aber das hat Europa zusammenrücken lassen und gestärkt.
Katharina Stolla: Die eskalierenden Konflikte machen mir auch große Sorgen. Gerade angesichts der Tatsache, dass viele Länder in der EU durch einen Rechtsruck und gesellschaftliche Spaltung von innen geschwächt werden. Wer für Sicherheit sorgen will, der muss sich darum bemühen, die Demokratie und den Zusammenhalt zu stärken. Was mir Sorgen macht: Dieser Rechtsruck wird durch eine unsoziale Politik befeuert. Damit muss endlich Schluss sein.
Also ist es vor allem eine Frage des europäischen Zusammenhalts, um gewappnet zu sein gegen Gefahren von außen.
Philipp Türmer: Es ist sehr erschreckend, wie wenig die EU der Aggression Russlands entgegenzusetzen hatte. Wir konnten froh sein, dass in den USA Joe Biden regiert und nicht Donald Trump. Dabei hat die EU nach den USA die zweitgrößten Verteidigungsausgaben für die Ukraine, aber es kommt nichts dabei raus.
Woran liegt das?
Philipp: Es ist nicht in erster Linie eine Frage des Geldes, sondern vor allem eine der unzureichenden Koordination. Wir haben nicht schnell genug liefern können, was die Ukraine braucht, weil Rüstungskonzerne nur an ihre Gewinne gedacht haben. Um angemessen auf Bedrohungen reagieren zu können, sollten wir eine Verstaatlichung der Rüstungsindustrie in Betracht ziehen. Hier gibt es bereits erfolgreiche Beispiele aus der Munitionsproduktion in Schweden. So schaffen wir auch eine bessere europäische Koordination und sicherheitspolitische Kooperation. Nur damit können wir dem Imperialismus Russlands etwas entgegensetzen, der nicht nur die Ukraine bedroht, sondern ganz Europa.
Tobias: Bleiben wir mal bei den Fakten: Wir haben durch privatwirtschaftliche Unternehmen die besten Rüstungsgüter der Welt hergestellt. Lass es mich zuspitzen: Mit Verstaatlichung bekommen wir das Modell Trabant. Für die Verteidigungsfähigkeit brauchen wir aber Hightech, wie den Eurofighter oder den Kampfpanzer Leopard 2. Allerdings gebe ich dir in dem Punkt recht, dass wir effizienter werden müssen. Unter anderem muss das Beschaffungswesen der Bundeswehr reformiert werden. Da existiert noch zu viel Bürokratie und zu wenig Koordination. Auch eine europäische Armee halten wir für sinnvoll.
Katharina: Das ist eine spannende Idee. Allerdings fehlt es akut schon an Strukturen, daher ist eine europäische Armee derzeit noch nicht umsetzbar.
Philipp: Da hat Katharina recht. Die verfassungsrechtlichen Hürden müssen erst überwunden werden. Es ist also ein langfristiges Ziel, für das sich auch die Jusos einsetzen.
Aber uns läuft die Zeit davon.
Tobias: Wir haben jahrelang unsere Verteidigungsausgaben vernachlässigt und sind weit abgerückt vom Zwei-Prozent-Ziel. Deshalb sind unsere Speicher leer in Europa und es wird Jahre dauern, sie aufzufüllen. Das ist fatal. Wir müssen den Haushalt in den kommenden Jahren so aufstellen, dass wir die Lücken füllen können und die Verteidigung zur Priorität machen.
Philipp: Also seid ihr jetzt auch gegen eine Schuldenbremse?
Tobias: Nein, es geht um die richtige Priorisierung im Haushalt. Es sollten zum Beispiel keine neuen Sozialleistungen beschlossen werden.
Philipp: Dieses gegeneinander Ausspielen von sozialer und äußerer Sicherheit, das ihr immer wieder betreibt, ist perfide. Wir reden jetzt darüber, dass die europäischen Länder endlich außen- und sicherheitspolitisch zu ihren gemachten Zusagen stehen. Ich kritisiere Olaf Scholz gerne selbst, wenn es angemessen ist, und Deutschland hat oft zu spät Zusagen gemacht, aber – und das muss man der Bundesregierung zugutehalten – sie wurden wenigstens eingehalten. Eure Zusage im Koalitionsvertrag zur Kindergrundsicherung solltet ihr übrigens auch einhalten.
Tobias: Olaf Scholz zögert die ganze Zeit. Dringend benötigte Waffensysteme will er nicht liefern und eine Erklärung auch nicht. Er schweigt sich davon und das stört mich. Ich bin ganz sicher, mit einem anderen Kanzler hätten wir die Ukraine schneller und stärker mit schweren notwendigen Waffen unterstützt.
Reicht das Einhalten von Zusagen aus, um der Ukraine zu helfen – und um uns in Europa gleichzeitig zu schützen?
Philipp: Wahrscheinlich nicht. Wir müssen überall mehr Tempo machen.
Warum machen wir das jetzt nicht?
Philipp: Im Moment halten nicht einmal alle Länder ihre Zusagen ein. Und dann scheitert es auch an den Produktionskapazitäten. Wir können ja nichts zusagen, was wir nicht haben.
Durch die voraussichtliche Wiederwahl Trumps im November könnten die USA als Schutzmacht und Geldgeberin in der Nato wegfallen. Das würde die Sicherheitslage dramatisch verschärfen.
Tobias: Wir sollten in Europa dann nicht direkt schwarzmalen und die Abhängigkeit herbeireden. Denn Deutschland ist Mitglied einer starken Europäischen Union und zusätzlich Mitglied der Nato. Dieses Bündnis wird bestehen, auch, wenn die USA ihre Unterstützung zurückziehen – was ich ohnehin infrage stelle.
Katharina: Mich stört in der gesamten Debatte der andauernde Ruf nach Aufrüstung, während teilweise ignoriert wird, wo im Hier und Jetzt dringender Handlungsbedarf ist: Kooperationen stärken, Strukturen verbessern und eine soziale Politik machen, die Rechten den Wind aus den Segeln nimmt.