Die rechtspopulistische AfD hat im Parteien-Vergleich mit großem Abstand die meisten Facebook-Fans. Laut Statistik-Portal "Statista" waren es im August 2022 mehr als 516.000. Weit abgeschlagen auf Platz Zwei: die Linke mit 244.000 Usern. Seit ihrem Erst-Einzug in den Bundestag 2017 setze die AfD konsequent auf die politische Kommunikation über soziale Medien.
Durch diese habe sie Wähler:innen an sich gebunden, die für andere Parteien nicht mehr erreichbar seien, sagt Politik- und Kommunikationswissenschaftler Johannes Hillje.
Mit watson hat der Politikberater über sein neues Buch "Das 'Wir' der AfD – Kommunikation und kollektive Identität im Rechtspopulismus" gesprochen.
watson: Herr Hillje, Sie steigen in Ihrem Buch mit einer Anekdote vom Februar 2018 ein. Die AfD kündigte an, sie wolle einen "Newsroom" für ihre Social-Media-Kanäle aufbauen. Wieso war dieser Schritt, aus Sicht der AfD, ein wichtiger?
Johannes Hillje: Ich nenne die AfD eine digitale Massenkommunikations-Partei. Ihre Kommunikationsstrategie ist ein Zusammenspiel aus Provokation in Massenmedien und Emotion in sozialen Medien. Das bedeutet auch: Man kann die digitale Kommunikation der AfD nicht isoliert betrachten davon, wie sie in den journalistischen Massenmedien auftritt. Sie delegitimiert etablierte Institutionen, um die Nachfrage für ihr eigenes Angebot zu schaffen.
Wie meinen Sie das?
Die AfD ist auf Facebook die Partei mit den meisten Fans, aber auch der größten Reichweite. Aber es geht nicht nur darum, Menschen zu erreichen, sondern ihnen ein Identitätsangebot zu machen. Identitätspolitik ist ein zentrales Element der Facebook-Kommunikation. Ich würde sogar sagen, die Facebook Kommunikation der AfD ist Identitätspolitik pur.
Sie haben den Facebook-Auftritt der AfD zwischen den Bundestagswahlen 2017 und 2021 untersucht. Ergebnis Ihrer Analyse: Es kommen vor allem "Wir-" und "uns-Botschaften" vor. Was bedeutet das?
In über 70 Prozent der Beiträge findet eine Wir-Konstruktion statt. Die AfD schafft Identifikation über Kommunikation, eine kollektive Identität, die nicht nur darauf beruht, die Gemeinsamkeiten ihrer eigenen Anhängerschaft zu betonen, sondern vor allem auch die Abgrenzung zu anderen Gruppen: den Outgroups.
Die AfD grenzt, wenig überraschend, Minderheiten aus – vor allem Migrant:innen und Geflüchtete. Auch die Klimabewegung dient als Feindbild. Sie sagen, Abgrenzung finde anhand von Kleidung, Konsum- oder Mobilitätsverhalten statt. Was ist damit gemeint?
Ein zentrales Ergebnis meiner Analyse ist, dass die AfD ihre kollektive Identität in erster Linie über kulturelle Aspekte definiert, weniger über ökonomische. Und diese kulturellen Aspekte handeln nicht allein von Ethnie, Herkunft, Religion, oder welchem Kulturkreis eine Person zugerechnet wird. Sondern, es findet auch eine Unterscheidung von kulturellen Insidern und kulturellen Outsidern innerhalb des eigenen Kulturkreises statt.
Wer sind diese In- und Outsider?
Die AfD unterscheidet die deutsche Gesellschaft nach Menschen, die sich für den Erhalt der vermeintlich typischen deutschen Lebensweise einsetzt, und solchen, die ihrer Meinung nach an der Beseitigung dieser deutschen Kultur arbeiten. Letztere sind für die AfD die "Feinde im Inneren", "Verräter des Volkes". Dazu zählt die AfD – das überrascht nicht – die Bundesregierung und ein Großteil der politischen Eliten.
Aber sie zählt auch die Klimabewegung dazu. Die AfD leugnet den menschengemachten Klimawandel. Und sie unterstellt der Klimabewegung, dass es die Rettung der natürlichen Lebensgrundlagen nur ein Vorwand sei. Und das bricht die AfD dann in ihrer Kommunikation auf verschiedene Lebensbereiche runter.
Wie macht sie das konkret?
Die AfD macht eine vermeintlich typische deutsche Lebensweise an Themen wie Mobilität, Lebensmittel oder Kleidung fest. Diesel, Schnitzel, Billigflug definiert sie als kulturelle Identität. Andere Lebensstile, beispielsweise auch nachhaltige Kleidung, werden negativ konnotiert.
Auch wenn das ein spezielles Verständnis deutscher Lebensweise ist, unterstellt sie anderen den Versuch einer großen Umerziehung, eine Agenda, die die Abschaffung der deutschen Kultur zum Ziel habe. Und gegen all das wehrt man sich und versucht sich auch als Retter dieser vermeintlich deutschen Kultur darzustellen. Diese Retter-Rolle ist ein wesentliches Element der Identität der AfD.
Die Partei schürt also Ängste – und stellt sich dann als Retterin dar. Bindet sie damit ihre Wähler:innen auch langfristig?
Ein weit verbreitetes Missverständnis über die AfD ist, dass die Partei allein mit negativen Emotionen kommuniziere und mobilisiere. Es heißt oft, dass die Partei allein von der Angstmacherei leben würde. In meiner Analyse zeigt sich ein Gleichgewicht von negativen und positiven Emotionen, die mit dem Gemeinschaftsgefühl der AfD verbunden sind.
Die negative Gruppenidentität ist vom Selbstverständnis "Wir, die kulturell Bedrohten" geprägt. Und die positive Wendung der kollektiven Identität ist das Selbstverständnis von "Wir, die Retter unserer Kultur". Ganz wichtig ist also, dass die AfD nicht bei der negativen Emotion stehen bleibt, sondern auch eine Perspektive in ihr Identitätsangebot integriert, also sich als Problemlöser anbietet.
Es wäre zu kurz gegriffen, wenn man die AfD allein auf Angst und Wut reduzieren würde.
Ist diese vermeintliche Lösung das Erfolgsrezept?
Anti-pluralistische Feindbilder, Fundamentalopposition, Eliten-Bashing, das sind oftmals die Ausgangspunkte rechtspopulistischer Bewegungen. Darüber lassen sich auch Protestwähler mobilisieren. Aber wenn es dann darum geht, Wähler-Bindung zu erzeugen, Stammwähler zu schaffen, dann braucht es mehr als nur Protest und Dagegen-Sein.
Dann braucht es auch eine Form der hoffnungsstiftenden Perspektive. Die AfD ist sicher als Anti-Partei gestartet ist, damals gegen die Europolitik. Im letzten Wahlkampf hatte die AfD den Slogan "Deutschland, aber normal". Das "Normalitäts-Versprechen" sollte eine positive Verheißung sein. Und in der aktuellen Kampagne gegen Inflation und hohe Energiepreise, lautet der Slogan "Deutschland zuerst", was für die AfD-Zielgruppe ebenfalls eine positive Ausrichtung ist.
Wenn Konservative Rhetorik und Themen von Rechtspopulist:innen übernehmen, zahlt es sich am Ende aber eher für die rechte Seite aus.
Es ist mittlerweile mehrfach belegt, dass eine Übernahme von Rhetorik der Rechtspopulisten am Ende nur die Rechtspopulisten selbst stärkt. Das haben wir zuletzt in Schweden erlebt, wo sowohl Konservative als auch die Sozialdemokraten im Wahlkampf das Thema Clan-Kriminalität mit rechtspopulistischer Rhetorik bespielt haben.
Haben wir Ähnliches auch in Deutschland schon erlebt?
Ähnliche Effekte haben wir im letzten bayerischen Landtagswahlkampf gesehen, wo Markus Söder beim Thema der Migration eine rechtspopulistische Rhetorik übernommen hat. Das hat Söder nicht genutzt.
Ist die AfD überhaupt koalitionswillig? Sie beschreiben in Ihrem Buch zwei Lager in der Partei: das parlamentsorientierte und das bewegungsorientierte Lager. Welche hat nun Oberwasser?
Der Abgang von Jörg Meuthen war im Grunde auch ein Abschied von der Idee, koalitionsfähig zu werden. Diese Idee wurde vor allem von Lager um Meuthen vertreten. Man sieht in der aktuellen Parteiführung keinerlei Ambitionen und Interesse daran, koalitionsfähig zu werden.
Auch nicht in den ostdeutschen Landesverbänden, wo die besten Wahlergebnisse erzielt werden. Die AfD ist eine fundamentale Oppositionspartei und seit dem Abgang von Meuthen auch stärker wieder eine Bewegungspartei. Also, man sucht den Schulterschluss mit den Bewegungen auf der Straße.
Und das nutzt die AfD für sich?
Das Bündnis mit den Straßenbewegungen ist auch das Ziel der aktuellen AfD-Kampagne gegen die Preissteigerungen, für die man die Bundesregierung verantwortlich macht. Das gemeinsame Feindbild ist ein wichtiger gemeinsamer Nenner auf der Straße.