Seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine haben westliche Staaten zahlreiche Sanktionen gegen das Regime Putins verhängt.
Nach nun mehr als fünf Monaten stellt sich die Frage: Wie lange kann die russische Wirtschaft diese Sanktionen abfedern? Denn mittlerweile zweifeln Sanktionsgegner aus der Politik und Wissenschaft die Wirkung der Sanktionen an.
Wirken die Maßnahmen überhaupt, solange Putin noch Geschäfte in Asien führt und ab wann kann man sagen: Die Sanktionen sind ein voller Erfolg?
Darüber hat watson mit dem Wirtschaftsexperten Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gesprochen.
Watson: Herr Kluge, Russland steckt mehr und mehr in einer wirtschaftlichen Schieflage. Ist das wirklich auf die Sanktionen des Westens zurückzuführen?
Janis Kluge: Tatsächlich sehen wir, dass das Bruttoinlandsprodukt Russlands seit Februar – also seit Moskau in die Ukraine einmarschiert ist und die Sanktionen des Westens starteten – um 6 sechs Prozent geschrumpft ist. Für das Gesamtjahr gehen die meisten Experten von einem Rückgang um zehn Prozent aus. Auch für die nächsten Jahre sieht es nicht gut aus für die russische Wirtschaft, weil einige der Sanktionen erst sehr langfristig wirken.
Wen treffen die Sanktionen am meisten in Russland?
Die Sanktionen haben zuerst die Russinnen und Russen am meisten getroffen, die bei westlichen Unternehmen oder im Handel mit Europa gearbeitet haben. Das sind eher die wohlhabenderen Städter gewesen. Viele der sogenannten Oligarchen haben den Großteil ihres Vermögens verloren.
Längerfristig wirken sich die Sanktionen aber auf alle Teile der Gesellschaft aus. Zum Beispiel steht die Automobilproduktion in Russland fast komplett still. Bislang gab es dort noch keine Entlassungen, aber auf Dauer können die Unternehmen nicht alle ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter beschäftigen, die Arbeitslosigkeit wird also steigen.
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Ihr Kollege Eduard Klein erklärt in einem Interview, die Russen werden sich dieser schwierigen Lage anpassen, wie sie es schon zu Sowjetzeiten gemacht haben. Stimmen Sie ihm zu?
Natürlich gibt es Anpassung, sowohl bei den Bürgerinnen und Bürgern als auch bei den Unternehmen. Alle versuchen, sich bestmöglich auf die neue Situation einzustellen. Es werden viele westliche Güter auf Umwegen importiert. Allerdings bedeutet die Anpassung nicht, dass alles mehr oder weniger beim Alten bleibt. Russlands Wirtschaft muss sich fundamental wandeln und Bevölkerung und Staat werden weniger Geld zur Verfügung haben.
Es gibt Stimmen, die behaupten, dass die Sanktionen gegen Russland uns am Ende mehr schaden, als nützen. Wie schätzen Sie diese Meinung ein?
Nutzen und Schaden von Sanktionen lassen sich schwer objektiv vergleichen, denn es ist immer eine Abwägung: Der Nutzen von Sanktionen ist politisch. Wir sanktionieren, um letztlich Russlands Krieg in der Ukraine zu stoppen, oder zumindest den Vormarsch zu verlangsamen. Die Kosten sind ökonomischer Natur. Das ist der Preis, den wir für unsere Unterstützung der Ukraine zahlen.
Aber ist dieser Preis nicht zu hoch?
In meinen Augen nicht, weil es noch dramatischere Konsequenzen hätte, wenn Russlands Krieg in der Ukraine erfolgreich ist.
Welche?
Wenn Putin mit seinem Angriffskrieg Erfolg hat, verändert das die ganze internationale Ordnung. Andere Mächte werden versuchen, es Russland gleichzutun. Dann erwartet uns ein sehr kriegerisches 21. Jahrhundert. Darauf sind wir überhaupt nicht vorbereitet. Wir können auch nicht einfach davon ausgehen, dass die USA uns langfristig weiter vor der Bedrohung Russlands schützen werden. Sind wir auf dem Kontinent in der Zukunft einmal auf uns allein gestellt, dann wird es auch für uns selbst gefährlich. Dann haben wir andere Probleme als eine leichte Delle im Wirtschaftswachstum.
Saudi-Arabien hat vor wenigen Tagen seine Ölimporte aus Russland verdoppelt. Auch China schließt weiterhin Milliardendeals mit Putin. Verkommen unsere Sanktionen nicht zu einem zahnlosen Tiger, solange das Land erfolgreiche Geschäfte in Asien führt?
Die Sanktionen sind massive Eingriffe in den globalen Handel, und natürlich gibt es dabei Ausweichbewegungen. Russland versucht, sich stärker auf die Staaten zu konzentrieren, die noch bereit sind, Geschäfte zu machen. Für die Länder, die nicht sanktionieren, eröffnen sich dabei Gelegenheiten.
Die Sanktionen sind trotzdem wirksam, weil kein Land der Welt den Westen für Russland ersetzen kann. Sowohl bei den Energieexporten, als auch beim Zugang zu Kapital und Technologie ist der Westen für Russland unersetzbar. Einen vollständigen Zusammenbruch der russischen Wirtschaft wird es trotzdem nicht geben, weil auch unter den härtesten Sanktionen noch produziert und konsumiert wird.
Wie können die USA und Europa die russischen Energielieferungen nach Asien einschränken?
Es gibt viele Möglichkeiten: von diplomatischem Druck auf asiatische Staaten, über das Sanktionieren von Versicherungen für Öltanker, bis hin zur Androhung von sogenannten Sekundärsanktionen gegen Unternehmen, die weiterhin russisches Öl kaufen. Wenn der Westen wollte, könnte er Russlands Ölexport auf ein Minimum reduzieren. Aber das hätte zur Folge, dass sich die Ölpreise vervielfachen. Man kann Russland als Öllieferant nur Stück für Stück aus dem Weltmarkt drängen, da sein Gewicht auf den Märkten so groß ist.
Wenn die russische Wirtschaft durch die Sanktionen schrumpft, inwieweit wird das der Ukraine helfen?
Putin muss sich stärker mit seinem eigenen Land beschäftigen. Der Staatshaushalt muss gigantische Mittel mobilisieren, um die Wirtschaft aufzufangen, während die Steuereinnahmen sinken. Natürlich haben die Ausgaben für den Krieg für Russland erst einmal Priorität. Aber langfristig wird das sehr teuer, vor allem die Produktion neuer Waffen, um das zerstörte Material zu ersetzen. Langfristig werden die Mittel im russischen Staatshaushalt knapp.
Außerdem kann die russische Rüstungsindustrie einige Dinge nicht mehr produzieren, weil Komponenten aus dem Ausland fehlen. In vielen russischen Waffen ist auch westliche Technologie verbaut, auch deutsche. Die ist jetzt nicht mehr so einfach verfügbar.
Wie sollte es in Zukunft weitergehen bezüglich der Sanktionen?
Kurzfristig ist bei den Sanktionen das meiste getan, was getan werden konnte. Am meisten wäre noch bei den russischen Energieexporten möglich, aber da sind die Rückwirkungen auf die westlichen Staaten sehr groß. In Europa und den USA will man den eigenen Bevölkerungen keine noch höheren Energiepreise zumuten. Für die nächsten Monate ist deshalb das Wichtigste, dass die bestehenden Sanktionen streng durchgesetzt werden, insbesondere das Technologie-Embargo gegen die russische Waffenindustrie, damit Moskau nicht über Umwege an die westliche Technik kommt, die es für seine Panzer und Raketen benötigt.
Was wäre ein idealer Ausgang, den sich unter anderem die USA und Europa durch die Sanktionen erhoffen?
Ideal wäre zunächst einmal, wenn die russische Rüstungsindustrie in der Produktion massiv gestört würde. Wenn Russland die Waffen ausgehen, wäre das ein sehr großer Erfolg. Außerdem wäre ein Ziel der westlichen Sanktionen, dass das Geld in Russlands Staatskasse knapp wird, damit die Kosten des Krieges für Russland zu einer wirklichen Belastung werden. Dann kann man darauf hoffen, dass Russlands Bereitschaft zu Verhandlungen steigt. Einen Umsturz des Putin-Regimes erwarte ich in den nächsten Jahren allerdings nicht, das ist auch nicht das Ziel der Sanktionen.