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Interview

Experte zum Ukraine-Konflikt: "Heute gibt es einfach keine Lösung"

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12. Februar 2022: Ukrainische Militärveteranen und Zivilisten trainieren und bereiten sich in einem verlassenen Lager am Stadtrand von Kiew auf eine russische Invasion vor.Bild: imago images / Bryan Smith
Interview

Experte zum Ukraine-Konflikt: "Es gibt keine Lösung. Heute gibt es einfach keine Lösung"

03.02.2022, 09:5412.02.2022, 16:48
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Der Konflikt zwischen Russland, der Ukraine und der NATO spitzt sich weiter zu. Gleichzeitig werden Rufe nach Sanktionen gegen Moskau lauter. Aber würden diese denn die ersehnte Deeskalation bringen? Nein. Sagt der Osteuropa-Experte Alexander Libman im Gespräch mit watson. Er sieht keine Lösung für den Konflikt.

Watson: Herr Libman, in der gesamten Debatte zum Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hört man momentan wenig bis nichts von unserem Bundeskanzler Olaf Scholz. Was erwarten Sie sich denn von ihm?

Alexander Libman: Von seinem früheren politischen Verhalten ausgehend, würde ich erwarten, dass er weiterhin nichts sagt. Und zwar so lange es geht.

Wie bitte?

Man hofft einfach darauf, dass sich die Situation über die Zeit einfach löst. Dazu kommt jedoch auch, dass Deutschland in der jetzigen Lage auch objektiv nicht mehr fähig ist, zu der Deeskalation stark beizutragen. Vor acht Jahren war Deutschland in der Situation, auch wirklich eine proaktive Rolle in dem Konflikt um die Ukraine einzunehmen. Das hat die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel auch getan. Aber jetzt ist es nicht mehr der Fall, weil Russland Deutschland nicht mehr als diesen privilegierten Partner wahrnimmt. Das Vertrauen zwischen Deutschland und Russland ist verloren.

Osteuropa-Experte Alexander Libman
Alexander Libman.Bild: privat
Alexander Libman
Alexander Libman ist seit Oktober 2020 Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Osteuropa und Russland.

Zuvor war er Professor für sozialwissenschaftliche Osteuropastudien an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Stiftung Wissenschaft und Politik und Juniorprofessor für internationale politische Ökonomie an der Frankfurt School of Finance & Management.

Seinen Doktorgrad erwarb er 2009 an der Universität Mannheim.

In der Diskussion um den Umgang mit Russland fordern viele härtere Sanktionen. Sie glauben, Verhandlungen brächten nichts mehr. Sehen Sie das auch so?

Ich bin tatsächlich sehr skeptisch, ob man durch Verhandlungen zu einer allumfassenden Lösung kommen kann, die eine europäische Stabilisierung bewirken könnte und die Krise dauerhaft lösen könnte.

"Ich halte weder die diplomatische Lösung noch harte Sanktionen für vielversprechend."

Also sind Sie auch für harte Sanktionen?

Nicht wirklich. Ich habe ganz große Zweifel, dass die Europäische Union etwa durch weitere Sanktionen, durch den Stopp von Nordstream 2 oder durch Waffenlieferungen an die Ukraine die Situation stark ändern kann. Insbesondere Deutschland nicht. Ich glaube einfach nicht, dass, auch wenn Deutschland heute Sanktionen gegen Nordstream 2 verhängen würde, es irgendwas an den russischen Handlungen in Bezug auf die Ukraine ändern würde. Ich halte weder die diplomatische Lösung noch harte Sanktionen für vielversprechend.

Das Mehrzweck-Offshore-Schiff VLADISLAV STRIZHOV legt zur Beladung mit Pipelinerohren fuer die Nord Stream 2 im Faehrhafen Mukran (Landkreis Vorpommern-Ruegen) an. Der Hafen auf der Insel Ruegen ist e ...
Am Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 sind auch deutsche Firmen beteiligt.Bild: Jens Koehler / Jens Koehler

Was wäre denn eine Lösung, die Sie zufriedenstellen würde?

Es gibt keine Lösung. Heute gibt es einfach keine Lösung.

Das klingt sehr pessimistisch.

Ist es auch. Wir sind in einer Situation von fundamentalen Unterschieden in der Wahrnehmung der Situation um die Ukraine herum. Auch gibt es fundamentale Unterschiede in der Wahrnehmung der europäischen Sicherheit. Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es jetzt eine Strategie gibt, die eine Krise dauerhaft deeskaliert. Sie ist einfach nicht da.

Glauben Sie, es wird zu einem Krieg kommen?

Wenn es zum Krieg kommt, dann bleibt der Europäischen Union nur eine Art von Option. Dann kommen die Sanktionen auf den Tisch. Aber wenn es zum Krieg kommt, dann ist es auch zu spät für Deeskalation. Dann ist das Schlimmste ja schon passiert. Jetzt sind wir jedoch noch nicht in diesem Zustand. Und die Frage ist, was man heute machen kann. Und, wie gesagt, ich sehe da wirklich keine guten Lösungen.

Da vertreten Sie eine ganz andere Haltung als andere Expertinnen oder Politiker.

Ich bin vermutlich ein bisschen vorsichtiger als andere. Das sieht man auch nicht nur im politischen Spektrum, sondern auch in Medien. Da wird etwa behauptet, dass Waffenlieferungen an die Ukraine zu einer starken Veränderung der Situation führen würde, weil man ein Signal gegenüber Russland sendet.

This satellite images provided by Maxar Technologies shows troops gathered at a training ground in Pogonovo, Russia, on Jan. 26, 2022. (Maxar Technologies via AP)
Dieses von Maxar Technologies bereitgestellte Satellitenbild zeigt russische Truppen, die sich am 26. Januar 2022 auf einem Übungsgelände in Pogonovo, Russland, versammelt haben.Bild: ap

Das sehen Sie nicht so?

Nein, tatsächlich nicht. Die Frage ist ja, wie bedeutend Russland die Situation einschätzt, die heute in der Ukraine zu beobachten ist. Über die vergangenen Jahre wurde das gegenseitige Vertrauen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten einerseits und Russland andererseits massiv abgebaut. Die Konfliktlinien wurden so verschärft, dass man nicht wirklich darauf hoffen kann, dass Putin seine Haltung ändert, nur weil man weitere Signale schickt.

Gleichzeitig scheint es doch auch ein wenig naiv, große Hoffnungen ins Normandie-Format zu stecken, bei dem Deutschland und Frankreich vermitteln wollen. Russland nimmt doch Deutschland und Frankreich gar nicht so ernst – oder?

Stimmt. Es ist kein Zufall, dass der aktuelle russische Vorschlag an USA und NATO gerichtet ist. Russland hat ja zwei Verträge vorgeschlagen – und der eine sollte in den Vereinigten Staaten geschlossen werden. Aus der russischen Sicht treffen am Ende die Vereinigten Staaten die Entscheidungen. Putin sieht Europa nicht als einen unabhängigen Akteur an.

Russland steht doch momentan wirtschaftlich schlecht da. Wäre eine Blockade von Nord Stream 2 nicht ein Druckmittel, nach dem Putin am Ende dann doch die Reißleine ziehen müsste?

Durch Nord Stream 2 läuft ja zurzeit kein russisches Gas. Das heißt, die Einnahmen des russischen Staats werden auf diese Weise gar nicht sinken. Ein Szenario, in dem die Europäische Union und Deutschland auf das russische Gas verzichten, sehe ich gar nicht. Insbesondere jetzt nicht – angesichts der steigenden Energiepreise und der geplanten Energiewende. Also das ist einfach unmöglich.

"Für die nächste Eskalationsstufe bleiben relativ wenige Instrumente übrig."

Wir brauchen Russland also.

Wir brauchen das russische Gas. Eventuelle Sanktionen würden zu einem noch stärkeren Anstieg von Energiepreisen führen. Das hieße, die Inflation würde in Deutschland noch weiter zunehmen. Das können sich weder Deutschland noch die Europäische Union leisten.

Sie sagen also, eine Nord-Stream-2-Blockade würde nicht Russland, sondern Deutschland verletzen.

Nicht ganz. Es ist richtig, dass eine Nicht-Inbetriebnahme Russland kurzfristig und wahrscheinlich auch mittelfristig nicht beeinflussen wird. Es ist wieder nur ein Signal. Ein Signal, dass die EU und Deutschland mit der russischen Politik nicht einverstanden sind und sie als problematisch ansehen. Aber Signale sind immer Signale für irgendwas. Die Frage ist jetzt: Für was?

Und?

Ich weiß es nicht, das ist genau mein Problem. Für die nächste Eskalationsstufe bleiben relativ wenige Instrumente übrig. Und die meisten davon sind auch sehr schmerzhaft für Deutschland. Ein militärischer Eingriff in den Ukraine-Konflikt ist ausgeschlossen. Das brauchen wir gar nicht zu diskutieren.

Wäre er auch ausgeschlossen, wenn Russland tatsächlich in die Ukraine einmarschierte?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland militärisch in irgendwelche Konflikte in Europa einmischt. Vielleicht sehe ich das falsch, aber im Moment scheint es ein absoluter Konsens in der deutschen Politik zu sein.

"Das Schlimmste wäre es, wenn man kein Druckmittel mehr hätte. Sanktionen sind eine begrenzte Ressource. Deren Wirkung ist besonders stark, bevor sie eingeführt werden."

Also spricht man nur seine Solidarität aus.

Ja richtig, die Ukraine ist ja kein NATO-Mitglied. Deswegen wird ein direkter militärischer Eingriff gar nicht diskutiert. Das Einzige, was bleibt, sind ganz harte wirtschaftliche Sanktionen. Ob man diese dann auch in dieser Form umsetzt, ist nicht unbedingt klar. Denn das Schlimmste wäre es, wenn man kein Druckmittel mehr hätte. Sanktionen sind eine begrenzte Ressource. Deren Wirkung ist besonders stark, bevor sie eingeführt werden. Wenn aber die Sanktionen schon eingeführt wurden, dann ist es schon passiert, dann bleiben keine anderen Drohkulissen mehr.

Wenn wir sanktionieren, dann also nach und nach.

Ganz genau. Sanktionen müssen ganz klar an russische Handlungen gekoppelt sein und sukzessive eingesetzt werden.

Damit man immer eine sich nach und nach aufbauende Drohkulisse hat?

Ja, und das ist genau der Punkt mit Nord Stream 2. Wenn das gestoppt wird, stand heute, da noch keine Intervention in der Ukraine passiert ist, dann verliert man dieses Instrument. Und eigentlich übt man damit nicht unbedingt massiven wirtschaftlichen Druck auf Russland aus.

DONETSK, UKRAINE - FEBRUARY 02: A Ukrainian soldier keeps guard at a building outside of Maryinka, Ukraine on February 02, 2022. Wolfgang Schwan / Anadolu Agency
Ein ukrainischer Soldat bewacht am 2. Februar 2022 ein Gebäude außerhalb von Maryinka, Ukraine.Bild: AA / Wolfgang Schwan

Herr Libman, Sie haben bis jetzt ein ziemlich düsteres Bild gezeichnet. Haben Sie irgendwo noch Hoffnung?

Na ja, wir wissen doch gar nicht, ob Putin überhaupt an der vollständigen Eskalation des Konflikts interessiert ist. Es ist gar nicht ausgeschlossen, dass es ihm momentan einfach nur um Verhandlungen auf Augenhöhe geht.

Er lässt sich ja gar nicht in die Karten schauen.

Ja, das macht er bewusst so. Das große Problem ist aber, dass, auch wenn Putin das gar nicht wollte, es trotzdem unbeabsichtigt zu einem Krieg kommen könnte. Wenn die Eskalation über einen gewissen Grad steigt, dann kann es sein, dass vor Ort Fakten geschaffen werden, auf die alle Seiten dann reagieren müssen.

"Das Einzige was bleibt ist weiter zu verhandeln, auch ohne klare Aussicht auf Erfolg."

Wie könnte denn so etwas entstehen?

Wir haben hier sehr viele Leute mit Waffen.

Menschliches Versagen also.

Nehmen wir nur mal an, ein lokaler Kommandant von den Separatisten oder ukrainische Streitkräfte vor Ort eröffnen aus einer Laune oder aus einem Missverständnis heraus das Feuer – oder eine Auseinandersetzung eskaliert. Dann geraten alle Seiten unter Druck. Man hat relativ wenig Zeit und dann handelt man. Und dann kommt es tatsächlich ungewollt zu einem großen Krieg.

Was wäre dann?

Das ist ja das Schlimme an der jetzigen Situation: Es gibt keinen Katalog von Maßnahmen, auf den sich die EU, die USA und Russland einigen könnten, um ein solches Szenario vollständig unmöglich zu machen. Das Einzige was bleibt ist weiter zu verhandeln, auch ohne klare Aussicht auf Erfolg. Aber: Solange die Leute sprechen, schießen sie zumindest nicht aufeinander.

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