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Interview

Migration: Sozialarbeiterin aus Sachsen kritisiert das deutsche System

Patricia Chloé liebte ihren Job, doch jetzt ist sie auf der Suche nach etwas Neuem.
Patricia Chloé liebte ihren Job, doch jetzt ist sie auf der Suche nach etwas Neuem.Bild: privat/ Patricia Chloé
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Warum eine Migrationspädagogin ihren Beruf aufgeben musste

Geflüchtete Menschen sind auf intensive Betreuung und Begleitung angewiesen. Doch in vielen Städten fehlen mittlerweile die Mittel dafür. Migrations-Sozialpädagogin Patricia Chloé spricht darüber mit watson.
09.06.2025, 14:4609.06.2025, 14:46
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Mehr als zehn Jahre arbeitete Patricia Chloé mit geflüchteten Menschen – zunächst ehrenamtlich, später als Fachkraft nach einem einschlägigen Studium. Doch trotz ihrer Qualifikation und Erfahrung ist sie inzwischen aus dem Beruf ausgestiegen. Zu groß wurden die Hürden, zu schwer ist es aktuell, in ihrem Fachbereich eine passende Stelle zu finden.

Auf Tiktok ist Patricia Chloé noch eine kleine Creatorin mit rund 4000 Follower:innen. Mit ihrer Geschichte erreichte sie jedoch schnell rund 135.000 Menschen und stößt auf viel Verständnis, aber auch auf Hass und Fremdenfeindlichkeit. Denn ihre Aussage "Fick dich, Deutschland" heißen nicht alle der User:innen willkommen. Im Interview mit watson erzählt Patricia Chloé, wo genau die Schwierigkeiten in Deutschland liegen, um eine Stelle als Migrationssozialpädagogin zu erhalten.

watson: Du hast zuletzt mit minderjährigen, unbegleiteten Geflüchteten gearbeitet. Bis du keine Perspektive mehr für dich gesehen hast. Was genau ist passiert?

Patricia Chloé: Die Jobs im sozialen Bereich, besonders in der Arbeit mit Geflüchteten, werden kaum noch finanziert: vor allem in Sachsen. Die Stellen werden massiv gekürzt, und es gibt kaum noch Angebote. Eigentlich wollte ich auch wieder mit Erwachsenen arbeiten, aber solche Jobs gibt es heute kaum noch.

Kürzung der Mittel für integrative Maßnahmen in Sachsen
Im Haushaltsentwurf 2025/26 sollen die Fördermittel für integrative Projekte drastisch reduziert werden: von 14,9 Mio. Euro (2024) auf 9,38 Mio. Euro in 2025 und weiter auf 2,91 Mio. Euro in 2026. Ab dem zweiten Halbjahr 2026 wird die Richtlinie komplett gestrichen. Das bedeutet, viele Projekte und Beratungsstellen stehen vor dem Aus.

Sind die Kürzungen in Sachsen der Grund, warum du deinen Job verloren hast?

Bei mir wurde die Probezeit zum Beispiel nicht verlängert. Offiziell gab es andere Gründe: bei mir und auch bei Kolleg:innen. Aber die Kürzungen sind real. Ich war auch in anderen Bewerbungsverfahren dabei. Dort hat man mir gesagt: "Sie können hier arbeiten, aber nicht als Fachkraft. Wir können uns das Gehalt nicht mehr leisten." Und dann geht es eben Richtung Mindestlohn, was für mich als ausgebildete Sozialpädagogin keine angemessene Entlohnung ist.

Ist der Bedarf an Migrations-Sozialpädagog:innen heute nicht mehr so groß?

Meiner Einschätzung nach sind es etwas weniger Menschen geworden, die nach Deutschland flüchten, als zum Beispiel noch im Jahr 2015. Allerdings nicht so wenig, dass kein Personal mehr benötigt wird. Zum Beispiel kenne ich jemanden, der noch in einem Flüchtlingsheim wohnt, das gut besetzt ist: Dort leben etwa 300 Personen.

Was hat dich damals motiviert, diesen Beruf zu ergreifen?

Mein Gymnasium war gegenüber von einem Flüchtlingsheim. Das Thema war in den Medien sehr präsent, oft eben negativ während der Flüchtlingskrise. Ich wollte wissen, wie es wirklich ist. Also habe ich angefangen, ehrenamtlich dort zu arbeiten. Später habe ich mein FSJ auf Sizilien gemacht, mit geflüchteten Kindern. Und dann war für mich klar: Das ist mein Beruf.

"Für Migrant:innen ist eine Rückkehr daher nicht möglich."

Wie war dein Arbeitsalltag – mit Erwachsenen und mit Jugendlichen?

Bei den Jugendlichen war es oft einfacher: Schulpflicht, geregelter Tagesablauf, mehr staatliche Unterstützung. Du bist als Fachkraft vor allem in Krisensituationen da. Bei Erwachsenen war es viel intensiver. Viele Menschen dort haben keine Struktur, keine Arbeitserlaubnis, keine Sprache, keine Begleitung. Ich habe viel psychische Unterstützung geleistet, sie zu Terminen begleitet, versucht, irgendwie Halt zu geben als professionelle Freundin, wenn man so will.

Gibt es einen Mensch, der dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Ein Mann aus Tunesien. Der wollte arbeiten, sich integrieren, eine Freundin finden. Aber er durfte nichts. Er saß mit zwei fremden Männern in einem winzigen Zimmer, Tag für Tag. Keine Arbeit, keine Kurse, keine Perspektive. Irgendwann ist er in eine Crystal-Abhängigkeit gerutscht. Und das hätte verhindert werden können und den Staat weniger gekostet. Aber das System lässt diese Menschen einfach allein.

Was viele vermutlich unterschätzen: Eine Rückkehr ins Heimatland gestaltet sich schwieriger als man denkt.

Oft wissen wir gar nicht genau, warum Menschen geflüchtet sind. Manchmal liegen die Gründe zum Beispiel in ihrer sexuellen Orientierung, wie Homosexualität, was sie nicht offen kommunizieren können. Für Migrant:innen ist eine Rückkehr daher nicht möglich. Einige, wie der Mann in meinem Beispiel vorhin, leben schon mehr als 20 Jahre hier, was eine Rückkehr zusätzlich sehr schwierig macht.

"Das Problem wird nicht kleiner, nur weil es diese Jobs nicht mehr gibt, sondern nur noch größer, weil geflüchtete Menschen allein gelassen werden."

Du hast deine Geschichte auf Tiktok geteilt. Wie waren die Reaktionen darauf?

Es war gemischt. Ich habe sehr viel Unterstützung bekommen, auch sehr viel Dank. Einerseits, weil ich diese Arbeit mache, andererseits weil ich offen darüber spreche. Ich habe aber auch sehr viel Hass erhalten, vor allem von Männern. Da kamen Nachrichten wie "Volksverräterin" oder "Ich hoffe, du wirst an der Front erschossen". Das ist mir mehrfach passiert. Ich habe mir irgendwann die Kommentare nicht mehr durchgelesen und viele Menschen blockiert, einfach aus Angst.

Wie nimmst du die gesellschaftliche Stimmung in Sachsen wahr?

In dem Stadtteil, in dem ich wohne, sind die Menschen offen. Aber außerhalb ist es sehr schlimm. Viele rassistische Sticker, AfD-Parolen, offene Beleidigungen. Manchmal greife ich ein, manchmal schütze ich die Betroffenen lieber, indem ich bei ihnen bleibe. Dieser Hass ist schlimm.

"Ich würde heute niemandem mehr raten, das zu studieren – zumindest nicht mit der Spezialisierung auf Migration."

Was müsste sich ändern, damit deine Arbeit wieder mehr wertgeschätzt wird?

Mehr Bildung, mehr Offenheit, mehr Kontakt. Viele Menschen wissen nicht, wie es in einem Flüchtlingsheim aussieht. Sie urteilen, ohne zu wissen. Ich denke oft: Wenn das Konservative sehen würden, würden sie vielleicht umdenken. Vor allem ist es wichtig, dass die Gesellschaft erkennt: Das Problem wird nicht kleiner, nur weil es diese Jobs nicht mehr gibt, sondern nur noch größer, weil geflüchtete Menschen allein gelassen werden.

Was würdest du jungen Menschen sagen, die in deinem Beruf arbeiten wollen?

Wenn ihr das wirklich wollt: Macht es ehrenamtlich. Ich würde heute niemandem mehr raten, das zu studieren – zumindest nicht mit der Spezialisierung auf Migration. Es gibt keine Perspektive. Ich würde es nicht nochmal machen.

Und wie geht es jetzt für dich weiter?

Ich versuche, anders meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich bin kompetent, habe viele Jahre Erfahrung, aber ich will nicht mehr betteln. Wenn sich politisch etwas ändert, bin ich sofort wieder dabei. Aber momentan ist es einfach zu frustrierend.

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