Die Wahl verloren, Skandale um Maskendeals und Beraterfirmen, zu wenige Frauen. Die CDU befindet sich seit Monaten in ihrer wohl schwersten Krise der Nachkriegszeit. Kann Friedrich Merz die Partei wieder zu alter Größe führen? Ein Gespräch mit Antonia Haufler, der Bundesgeschäftsführerin der Jungen Union.
watson: Frau Haufler, die CDU ist nach 16 Jahren das erste Mal in der Opposition. Glauben Sie, das tut ihr auch mal gut?
Antonia Haufler: Zur Erneuerung kann die Opposition tatsächlich hilfreich sein – sowohl inhaltlich als auch strukturell und personell. Trotzdem ist unser Ziel klar, wir wollen zurück in die Regierung. Wir werden die Zeit in der Opposition nutzen, uns zu sammeln, wiederzufinden und dann stark in die kommenden Wahlen zu starten.
Wie meinen Sie das?
Wir können uns die Frage stellen: Wo stehen wir? Die CDU muss jetzt wieder für mehr Klarheit stehen. Die letzten 16 Jahre waren stark davon bestimmt, dass wir regiert haben, dass wir durch viele Krisen geführt haben – mit Angela Merkel an der Spitze. Dabei blieben inhaltliche Debatten oft auf der Strecke.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein Beispiel ist die Corona-Politik. In den vergangenen zwei Jahren musste man stetig handeln und dabei auf Sicht fahren. Das war auch richtig. In der Opposition ist es ein bisschen leichter, grundsätzlicher zu werden und eine eigene Meinung zu artikulieren.
Der designierte CDU-Chef Friedrich Merz hatte gesagt, dass er die Kanten der CDU schärfen möchte...
Genau, aber das bedeutet ja nicht automatisch, die CDU wird jetzt konservativer. Was ich festgestellt habe: Friedrich Merz steht für Klarheit. Er sagt, was er tut und er tut, was er sagt. Und diese Sicherheit brauchen wir jetzt. Denn wenn jemand eine klare Aussage tätigt, ein klares Ziel artikuliert, dann kann ich dazu eine Position beziehen. Dann kann ich sagen, ich stehe dazu, ich sehe das kritisch oder ich möchte da konstruktiv dran arbeiten.
Armin Laschet, Annegret Kramp-Karrenbauer und Angela Merkel standen nicht für Klarheit?
Doch, jeder auf seine eigene Art. Aber die Ausgangssituation war eine andere. Wenn man regiert, liegt der Fokus einfach anders. Das erfordert schnell Reaktionen und man kann dann nicht bei jeder Diskussion, die ganze Partei mit einbeziehen.
Manche konservativen Stimmen sagen, Angela Merkel habe einen Scherbenhaufen hinterlassen. Wie stehen Sie dazu?
Das sehe ich nicht so. Man sagt ja immer, man ist nur so gut wie sein Nachfolger. Aber – und das ist jetzt meine persönliche Meinung – ich hätte mir den Übergang zu einer Nachfolge früher gewünscht. Der Wechsel wäre ruhiger und geordneter gelaufen und die Partei hätte sich daran gewöhnen können, dass Angela Merkel irgendwann nicht mehr da ist. Ich denke, viele sind jetzt auch in ein Loch gefallen. Von einem Tag auf den anderen war sie nicht mehr da, nicht mehr präsent.
Mit Herrn Merz und Markus Söder, dem Vorsitzenden der Schwesterpartei CSU, sind dann zwei Alphamännchen an der Spitze der Unionsparteien. Glauben Sie, die beiden kommen auf lange Sicht gut miteinander klar?
Ich erwarte von jedem, der einen Führungsanspruch stellt, dass er ein Alphamännchen ist. Ich bin selbst manchmal eins.
Würden Sie Herrn Laschet diese Eigenschaft zuschreiben?
Für seine Kandidatur hat sich Armin Laschet gegen Markus Söder und die CSU behaupten müssen. Leicht war das sicher nicht. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ob Alphaweibchen oder Alphamännchen – es braucht eine starke Ausstrahlungskraft. Daher denke ich, die CDU und die CSU brauchen auch einen Reibungspunkt zueinander. Von daher bin ich guter Dinge. Auch wenn man mal nicht der gleichen Meinung ist: Durch Reibung entsteht Energie. Das schafft auch wieder für uns Klarheit und Kraft. Wenn sich jemand in der Diskussion wegduckt, dann kommen wir nicht zu der gemeinsamen Position. Und wir sind nur als eine Union stark – das beinhaltet die CSU.
Die Union versucht seit Jahrzehnten weiblicher, moderner, urbaner und offener für Migration und Migrationsgeschichte zu sein. Die Realität sieht anders aus: Nach Frau Kramp-Karrenbauer gab es keine CDU-Ministerpräsidentin mehr. Außer mit Frau Merkel als Kanzlerin gab und gibt es im Führungskreis der CDU kaum Frauen. Wird das mit Merz anders?
Ich bin da optimistisch. Aber mit mehr Frauen im Bundesvorstand ist es allein nicht getan. Wir müssen auch für andere Gruppen attraktiver werden. Das schließt Ostdeutsche, Menschen mit Migrationsgeschichte und Nicht-Akademiker genauso ein wie Frauen. Hier entgeht uns im Moment ein großes Potenzial. Es reicht aber nicht, nur auf die Erfüllung selbst gesetzter Quoten zu schauen.
Sondern?
Sondern, dass wir Vielfalt kontinuierlich in unserer Arbeit und unserem Auftreten widerspiegeln. Das betrifft nicht nur Wahlen, das muss durch die ganze Partei gehen, vom Ortsverband bis zum Bundesvorstand.
Aber was heißt das?
Frauen sollen in den Gremien nicht nur Präsenz zeigen – etwa für ein Foto. Weibliche Inhalte und weibliche Arbeit müssen präsenter werden. Mit Friedrich Merz haben wir einen Politiker, der das sieht, und ich habe die Hoffnung, dass es nicht nur so dahingesagt wird. Fakt ist aber auch, zur Gleichberechtigung ist es noch ein wirklich langer Weg. Der muss mit der inhaltlichen Arbeit einhergehen und auch in unserer Sprache stattfinden.
Jetzt haben Sie das Thema Sprache ins Spiel gebracht. Gerade von konservativer Seite wird gendergerechte Sprache häufig stark kritisiert. Wie stehen Sie dazu?
Als Junge Union nutzen wir, wo es Sinn ergibt und das Textverständnis nicht negativ beeinflusst, in der Regel beide Formen, die männliche und die weibliche. Wir sagen also: "Liebe Freundinnen und Freunde". Ich finde aber, dass wir hier oft eine falsche Debatte führen. Denn Gleichberechtigung in der Sprache heißt vor allem auch Gleichberechtigung in der Ansprache – an wen adressiere ich meine Botschaften? Für wen mache ich Politik? Das halte ich für den wichtigeren Punkt.
Es wird immer wieder ausgegraben, dass Herr Merz in den 90er Jahren gegen den Straftatbestand "Vergewaltigung in der Ehe" und gegen die Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes gestimmt hat, und dass von ihm öfter homophobe Aussagen kamen. Glauben Sie, ein Mensch kann seine Meinung zu solchen Themen so stark ändern?
Wir sind die CDU – wir vertreten ein christliches Weltbild. Aus dieser Perspektive sage ich: Natürlich kann sich ein Mensch ändern. Der denkende Mensch ändert seine Meinung. Und ich wäre eher enttäuscht, hätte er sie nicht geändert. Man sieht es ja jetzt schon in seiner Arbeit, dass er heute einen anderen Standpunkt hat.
Können Sie hier ein konkretes Beispiel nennen?
Wir haben jetzt sieben Kandidatinnen und Kandidaten für den Bundesvorstand, wovon fünf Frauen sind. Friedrich Merz hat uns als Junge Union beharrlich ermutigt, jemanden ins Präsidium zu schicken – eine junge Frau. Und ich bin mir sehr sicher, dass sich das dann auch in der inhaltlichen Arbeit fortsetzt.
Inwiefern?
Dabei geht es etwa um das Grundsatzprogramm. Gemeinsam mit Carsten Linnemann will Merz eine ehrliche Analyse unserer Partei machen. Wir brauchen keine neue CDU. Wir brauchen aber auch keine alte CDU von 1950, 1970 oder 1990, sondern wir müssen wieder zu uns finden und uns der Frage stellen: Was sind die Werte, aus denen heraus wir Politik machen? Und welche Antworten auf die Probleme unserer Zeit folgen aus diesen Werten?
Sie haben jetzt gesagt, es brauche keine neue CDU. Von Erneuerung wollen Sie auch nicht wirklich sprechen?
Zwischen einer "erneuerten CDU" und einer "neuen CDU" besteht ein großer Unterschied. Das eine bedeutet Entwicklung, das andere Abwicklung. Die Frage ist doch: Wie finden wir uns in dieser Gesellschaft wieder als CDU? Haben wir wirklich alle Lebenswirklichkeiten mit einbezogen? Man sagt ja immer gern, die CDU sei die Partei der "alten weißen Männer". Dieses Bild muss sich ändern. Das heißt natürlich nicht, dass wir die "alten weißen Männer" vom Hof jagen wollen, ganz im Gegenteil. Wir wollen gemeinsam wachsen. Das ist die Erneuerung für mich.
Was sind denn die konkreten Forderungen, die die Junge Union an Herrn Merz als neuen Vorsitzenden der CDU hat?
Schon bei der Vorsitzendenwahl 2020 war Friedrich Merz unser Kandidat. Seitdem hat er uns wenig enttäuscht. Trotzdem ist weiterhin unser Anspruch, dass wir nicht nur die Plakate kleben, sondern auch wirklich personell, strukturell, programmatisch mit berücksichtigt werden.
Wie das auch beispielsweise bei den Grünen so stark in den letzten zwei Jahren passiert.
Ja, zum Beispiel. Das heißt natürlich nicht, dass bei uns alles schlecht gewesen ist. Wir wollen aber, dass diese Arbeit verstärkt wird. Bei der letzten Wahl zum CDU-Bundesvorstand sind wir erstmals mit drei jungen Frauen angetreten. Diese wurden mit großer Mehrheit gewählt. Jetzt gehen wir mit gleich sieben Kandidaten ins Rennen, fünf Frauen und zwei Männer. Das gab es vorher noch nie! Wir wollen also auch weiter als Taktgeber und Motor der Partei begriffen werden. Mit der Jungen Union waren wir die ersten, die einen digitalen Parteitag gemacht haben – inklusive Wahlen. Und wir waren innerhalb der CDU die ersten, die eine Mitgliederbefragung durchsetzen wollten.
Glauben Sie denn, dass man mit Merz zu alter Größe zurückkommen kann, auch innerhalb der nächsten vier Jahre?
Das hängt ja nicht nur von ihm ab, sondern von dem Team, das sich um ihn herum bildet. Ich bin mir sicher, dass wir es gemeinsam schaffen können. Dazu brauchen wir eine ehrliche und konsequente Analyse unserer Probleme und müssen dann auch die richtigen Handlungen daraus ableiten. Wenn uns das gelingt, bin ich guter Dinge.
Mal hypothetisch: Wenn Sie als Junge Union jetzt merken sollten, da wurden Versprechen gemacht, die nicht eingehalten werden. Sind Sie dann auch kritisch mit Herrn Merz?
Natürlich, das ist unser Anspruch. Wir sind ein unbequemer Alliierter. Belastbar und treu – aber natürlich kann man uns nicht kaufen. Nur weil Friedrich Merz unser Wunschkandidat ist, heißt das nicht, dass wir alles durchgehen lassen. Wir stehen auch weiterhin für die junge Generation ein.