Triggerwarnung: Im folgenden Text werden detaillierte Gewalthandlungen und deren Folgen für Betroffene geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.
Im Nahen Osten ist kein Ende der Spannungen in Sicht. Bereits seit Monaten nehmen die Drohungen zwischen Israel und dem Iran sowie dessen Vasallen zu. Noch tragen die Konfliktparteien ihre Spannungen in Stellvertreterkriegen im Gazastreifen und dem Libanon aus. Doch die nächste Eskalation könnte selbst in der an Gewalt gewöhnte Region für eine neue Stufe des Leids sorgen.
Die Blutspur der Auseinandersetzung zieht sich von Gaza bis Teheran. Dabei finden sich Palästinenser:innen immer wieder zwischen den Fronten. Wer nicht durch Gewalt stirbt, landet oft in israelischen Militärgefängnissen. Bereits seit Jahren ranken sich Gerüchte um die dortigen, prekären Zustände. Nun packten 55 ehemalige Insassen aus. Die Liste der Vorwürfe in einem aktuellen Bericht vermittelt ein Bild des Schreckens.
In einheitlichem Grau gekleidet knien demnach Reihen von Häftlingen, mit gefesselten Händen und verbunden Augen in einem Camp mitten in der Wüste. Das Militärlager Sde Teiman in der israelischen Negev-Wüste ist einer der düstersten Schauplätze des Nahost-Konflikts. Hunderte Palästinenser:innen sind interniert, wo die Luft vor Hitze flirrt und sich eigentlich nur Anlagen für israelische Soldat:innen befinden sollten.
In überfüllten, improvisierten Gefängniszellen verharren dort Menschen aus der Krankenpflege, dem Bau und Transport in Ungewissheit. Bis zu 45 Tage lang dürfen die israelischen Streitkräfte Verdächtige festhalten. Das Völkerrecht gestattet das zwar nicht, ein israelisches Gesetz aber schon.
Wenn man den Aussagen von 55 Männern und Frauen glauben darf, sitzen zahlreiche der Häftlinge dort länger ein – in der Regel ohne Anklage, Anwalt oder Begründung. Dabei handelt es sich noch um die mildesten Vorwürfe gegen die Einrichtung.
Denn die einstigen Insass:innen werfen dem israelischen Militär systematische Menschenrechtsverletzungen vor. Nach ihrer Darstellung ist die Militärbasis Sde Teiman das reinste Foltergefängnis. Von verdorbenem Essen, Morddrohungen, Prügel und Hundebissen bis hin zu sexuellem Missbrauch und psychischer Erniedrigung reichen die Vorwürfe.
Die israelische Menschenrechtsorganisation B'Tselem sammelte Aussagen entlassener Häftlinge aus dem ganzen Staatsgebiet. Fadi B., selbstständiger Anwalt aus Gaza-Stadt, schildert demnach eine der Foltermethoden im Sde Teiman:
Auch der 34-jährige Dr. Khaled H. war in Sde Teiman interniert. Der Chirurg, der in der indonesischen Klinik in Gaza behandelte, berichtet:
Untergebracht wurden sie nach Aussage von H. nicht in einer konventionellen Vollzugsanstalt, sondern in einem Warenhaus, das per Gitter in rund einhundert Käfige unterteilt war, die sich mehrere Gefangene teilen mussten.
Doch nicht nur im Lager Sde Teiman werden Horrostorys produziert. Die 47-jährige Lama F. war insgesamt in drei Gefängnissen interniert: Ofer, Damun und Hasharon. Die politische Analystin und vierfache Mutter berichtet über ihre Gefangennahme kurz nach dem Hamas-Anschlag am 7. Oktober 2023:
Er habe ihr und ihrer Familie gedroht. Dann sei eine Soldatin gekommen, die sie in einem Raum mit noch mehr Soldatinnen brachte und gesagt habe: "Willkommen in der Hölle."
Ebenfalls in Damun inhaftiert war die 24-jährige zweifache Mutter Hadil D. aus Gaza-Stadt. Nachdem sich israelische Soldat:innen mit Granaten ihren Weg in Hadils Haus gebahnt hatte, was zum Tod zweier Schwäger führte, wurde sie festgenommen. Gegenüber B'Tselem schilderte sie ihre Erfahrungen so:
Während es unmöglich scheint, Einzelaussage zu untermauern, kommt Bestätigung von unerwarteter Seite. Drei israelische Zivilist:innen, die angaben, Sde Teiman für einen Arbeitsauftrag besucht zu haben, zeichneten bereits im Mai dasselbe Bild. Ein Whistleblower, dessen Identität geheim blieb, sagte dem US-Sender CNN: "Man sagte uns, dass sie sich nicht bewegen durften. Sie mussten aufrecht sitzen. Sie durften nicht sprechen oder unter der Augenbinde hervorschauen."
Ein anderer Whistleblower erzählte vom unerträglichem Gestank verrottender Wunden, von Amputationen infolge der tagelangen Fesselungen, ausgeführt von inkompetenten Ärzt:innen und dem verzweifelten Murmeln der Insassen. Der Mann, der in der medizinischen Abteilung arbeitete, sagte demnach weiter:
Das israelische Militär antwortete auf die Vorwürfe, dass "korrektes Verhalten gegenüber Häftlingen gewährleistet" würde. Jeder "Vorwurf eines Fehlverhaltens" ziehe eine angemessene Untersuchung nach sich. Ob Häftlinge gefesselt würden und wie lange, hänge allein vom Gefahrenpotenzial und der Schwere der Vorwürfe gegen Inhaftierte ab.