Hunderttausende Erzieherinnen und Erzieher werden in den kommenden Jahren fehlen. Davon ist der Deutsche Städtetag überzeugt. Die Pflegelücke könnte sich laut der Bertelsmann Stiftung bis 2030 auf bis zu 490.000 Vollzeitkräfte belaufen.
Kurz: Wir steuern auf ein gigantisches Problem zu. Auf ein gigantisches hausgemachtes Problem. Denn an dem Debakel sind wir selbst schuld! Und das darf so nicht weitergehen.
55.000 offene Ausbildungsstellen gibt es laut Statista im April 2022 im Gesundheitswesen, 40.000 im Erziehungsbereich. Eine Sinus Studie aus dem Jahr 2020 ergab, dass sich 44 Prozent der befragten Jugendlichen eine Ausbildung im pädagogischen Bereich vorstellen könnten, 37 Prozent im Gesundheitswesen.
Klingt ja eigentlich sehr vielversprechend.
Die Befragung zeigte auch, dass die Gesamtheit der befragten Jugendlichen am stärksten auf Weiterbildung, Gehalt und Karriere, aber auch auf die Wirksamkeit ihrer Arbeit Wert legt. Was die Jugendlichen aber abschreckt: die schlechten Arbeitsbedingungen, fehlendes Personal und die psychische wie physische Belastung. Und das geringe Gehalt.
Es geht beim Fachkräftemangel also nicht nur um Geld. Es geht darum, wie sehr die Gesellschaft unterschiedliche Berufsgruppen wertschätzt.
Wertschätzung. Das heißt, begegnen auf Augenhöhe. Gute Arbeitsbedingungen. Eben keine Ausbeutung. Wertschätzung bedeutet eine ordentliche Ausbildung. Die Möglichkeit zu geben, weiterzulernen. Entwicklungschancen. Wertschätzung bedeutet außerdem eine adäquate Vergütung.
Denn im Kapitalismus, in dem wir leben, wird Geld oft mit Wert gleichgesetzt.
Von Applaus können sich Pflegekräfte die Miete nicht leisten. Von einer selbstgebastelten Karte werden Erzieherinnen nicht satt.
Wir müssen uns als Gesellschaft überlegen, was uns gute und menschenwürdige Pflege wert ist! Austarieren, wie viel die Menschen, die auf unsere Kinder aufpassen, verdient haben! Verhandeln, was wir jenen zugestehen wollen, die sich in Heimen und Wohngruppen um die kümmern, die viel zu früh zu den Verlierern der Gesellschaft gehören! Reflektieren, was wir zahlen wollen, um auch diesen Menschen eine helfende Hand zu reichen!
Was ist uns die Arbeit am Menschen wert?
Was sind uns Menschen wert?
Wie viel sind wir bereit zu geben, wenn am Ende kein Konsumgut daraus entsteht?
Die Antwort ist so einfach wie ungemütlich: So gut wie gar nichts. Dabei sollte es uns viel mehr wert sein, als so manche Managerposition. Es sollte uns das Wertigste sein. Schließlich geht es um Menschen, nicht um Hartgeld. Es geht um die Versorgung von Kranken und Alten. Um die Erziehung von Kindern.
In anderen Ländern läuft das besser: In Israel zum Beispiel verdienen Krankenschwestern rund zwei Drittel mehr als die Gesamtbevölkerung. Und auch in Irland werden Pflegekräfte überdurchschnittlich gut bezahlt.
Dass etwas falsch läuft, zeigen die Streiks, die immer wieder von Gewerkschaften, sowie Erzieherinnen, Erziehern und Pflegepersonal durchgeführt werden. Wie zuletzt Anfang Mai – die Kindergärten blieben zu, das Personal ging auf die Straße für die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel und eine höhere Eingruppierung von Beschäftigten.
Unser Sozialstaat braucht einen Umbau: Jede und jeder sollte mit in das gemeinsame Gesundheitswesen einzahlen – auch Privatversicherte. Und wenn wir schon dafür nicht bereit sind, müssen wir wenigstens dafür sorgen, dass wir den Menschen auf anderem Wege Wertschätzung entgegenbringen. Mit einer ordentlichen Ausbildung zum Beispiel.
Bis heute ist es nämlich so, dass die Ausbildung in einigen sozialen Berufen föderal geregelt ist. Die Ausbildungsmöglichkeiten sind ein Flickenteppich.
Die Dauer einer Ausbildung zur Erziehenden zum Beispiel hängt laut der Gewerkschaft ver.di vom Bundesland ab. Bei der staatlichen Erzieherausbildung in Hessen drücken die Lernenden zum Beispiel zwei Jahre lang die Schulbank. Erst im dritten Jahr geht es mit der Praxis los. Erst im dritten Jahr verdienen sie Geld. Das geht gar nicht! Hier muss ab dem ersten Jahr eine ordentliche Bezahlung her – sind Lehrjahre doch schon unter bezahlten Bedingungen keine Herrenjahre.
Ähnlich unbefriedigend sieht es bei der Ausbildung zur Pflegeassistenz aus. Ein Berufsfeld, das eingeführt wurde, um dem krassen Fachkräftemangel im Pflegebereich entgegenzuwirken. Hier verdienen die Pflegeassistierenden von morgen zwar von Beginn an Geld. Dafür kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen, was die Ausbildungsdauer angeht. Das bedeutet im Klartext: Ein Wechsel von Berlin nach Bremen ist nicht so mir nichts, dir nichts möglich.
Denn an der Weser dauert die Ausbildung zwei Jahre, an der Spree nur eineinhalb. Pflegeassistierende sind also ähnlich unflexibel wie Beamte – im Gegensatz zu denen werden sie aber nicht mit Pension entschädigt. Eine Frechheit. Erziehende und Pflegekräfte können also nicht einfach so entscheiden, wo sie leben möchten. Dabei ist die Freizügigkeit sogar im Grundgesetz festgeschrieben!
Das muss sich ändern. Die Ausbildungsbedingungen müssen verbessert werden. Ebenso wie die Bedingungen, die später im Job warten. Genügend Personal, genügend Zeit, genügend Geld.
Das ist keine Aufgabe, die die Betriebe allein stemmen können – vielmehr braucht es gesetzliche Rahmenbedingungen und Finanzierungsmöglichkeiten. Denn dass die Arbeitsbedingungen im Pflegebereich schlecht sind, liegt nicht zuletzt daran, dass Krankenhäuser als Wirtschaftsunternehmen angesehen werden. Und auch so wirtschaften müssen.
Sie sind aber keine Unternehmen, die am Ende ein Plus machen sollten oder irgendwelche Konsumgüter produzieren. Es geht um Menschen, nicht um Konsum. Das Retten von Menschenleben und die Verbesserung von Lebensqualität können und dürfen keine konsumgetriebenen Dienstleistungen sein.
Die Würde des Menschen, das Recht auf körperliche Unversehrtheit sind Grundrechte. Wieso wird dann die Arbeit am und mit dem Menschen kapitalistisch ausgeschlachtet? Das darf nicht sein. Und das muss sich in Zukunft ändern!