Im thüringischen Sonneberg ist Robert Sesselmann zum ersten Landrat der AfD gewählt worden. Ein Dammbruch, das steht fest.
Nicht nur, weil die AfD damit ihr erstes kommunales Spitzenamt gewonnen hat. Sondern auch, weil die Thüringer AfD unter der Herrschaft des rechtsextremen Björn Höcke ist. Und damit selbst unter den Landesverbänden der Rechtsaußen-Populisten eine extreme Position einnimmt.
Die demokratischen Parteien sollten also spätestens jetzt aufwachen – und endlich anfangen, den Rechten das Wasser abzugraben. Zuallererst, indem sie überprüfen, ob ihre Brandmauern noch stehen – oder ob aus ihnen mittlerweile doch eher kleine Bambuszäune geworden sind. Die brennen dann zwar hell, aber nicht besonders lange.
Dass die AfD auf kommunaler Ebene in Stichwahlen antritt, ist nicht mehr neu. Wie in Cottbus und Schwerin haben die anderen Parteien in Sonneberg versucht, ihre Wähler:innen davon zu überzeugen, den demokratischen Gegenkandidat zu wählen.
Diesmal hat es nicht geklappt. Das bedeutet im Umkehrschluss: Alle demokratischen Parteien haben es gemeinsam nicht geschafft, die Antidemokraten auszustechen. Ein Armutszeugnis – und das, obwohl bei der Stichwahl mit 59,6 Prozent die Beteiligung höher war, als bei der Hauptwahl (49,1 Prozent).
Das Ergebnis zeigt aber nicht nur das. Es zeigt auch, dass die AfD in der Lage ist, Mehrheiten zu bekommen. Und das sollte uns allen Angst machen. Denn die aktuellen Umfragen zeichnen eine Dystopie – zumindest dann, wenn jene, die sich vorstellen können, die Partei zu wählen, das auch wirklich tun. Eine Partei, die gemeinsam mit ihrer Jugendorganisation über 10.000 Mitglieder hat, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Eine Partei, die in den vergangenen Jahren immer radikaler geworden ist. Die immer offener rechtsextremes Gedankengut auf populistische Art und Weise streut. Eine Partei, die mit Björn Höcke einen Promi hat, der seit Jahren NS-Propaganda und -Gedankengut in seinen Reden unterbringt. Der den Korridor des Sagbaren immer weiter verschiebt.
Und er ist innerhalb der AfD damit bei weitem nicht allein. Unvergessen etwa die Chats der sogenannten "Quasselgruppe", in der Bundestagsabgeordnete offen über den Umsturz der BRD fantasierten.
In einem früheren Gespräch mit watson erklärte der Politikberater Johannes Hillje, dass sich die AfD in den vergangenen Jahren sukzessive immer weiter normalisiert habe. Er sagte:
Und: Er äußerte die Befürchtung, dass sich die AfD in Regierungsverantwortung weiter normalisieren könnte. Also zum Beispiel mit dem neuen Landrat Sesselmann. Was das für die anderen Parteien bedeutet? Aus Sicht von Hillje müssen sie jetzt standhaft bleiben.
CDU-Chef Friedrich Merz machte kürzlich im ZDF noch einmal deutlich: "Solange ich Parteivorsitzender der CDU bin, wird es keinerlei Zusammenarbeit mit dieser Partei geben."
Blöd nur, dass das auf kommunaler Ebene längst Realität ist. Und auch wenn Merz die Schuld am Erstarken der AfD gerne bei Rot und Grün sucht, ist es auch seine eigene Partei, die am Normalisieren ordentlich mitarbeitet. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern – in denen die AfD auch in Umfragen sehr stark ist – gibt es schon heute diverse Ortsparlamente, in denen AfD und CDU zusammenarbeiten.
Der Thüringer Kommunalpolitiker Michael Brychcy (CDU) hatte erst kürzlich öffentlich dafür plädiert, die AfD einzubeziehen. In Sachfragen, meinte er, kämen Kommunalparlamente in Sachsen und Thüringen sonst nicht mehr voran. In Chemnitz stimmen CDU, AfD, FDP und die rechtsextreme Kleinstpartei Pro Chemnitz gemeinsam ab. Im Gemeinderat im sächsischen Gohrisch haben 2019 noch AfD, CDU und die Grünen eine gemeinsame Fraktion gebildet.
Laut einer Publikation der Heinrich-Böll-Stiftung gab es bereits 2019 mindestens 16 Orte in Sachsen und Thüringen, in denen die Brandmauer abgerissen wurde.
Aber nicht nur der böse Osten, wie viele Wessis nun wohl geneigt sind zu schimpfen, reist die Brandmauern bereits ein. Ebenfalls 2019 kam es in Frankenstein im Kreis Kaiserslautern (Rheinland-Pfalz) ebenfalls zu einer Koalition aus AfD und CDU. Die Bundes-CDU ging dagegen vor. Mittlerweile ist die Fraktionsvorsitzende Monika Schirdewahn ausgetreten – doch auch dieses Beispiel zeigt: Die Scheunentore sind offen.
So offen, dass die Partei mittlerweile darüber sinniert, bei der nächsten Bundestagswahl eine:n eigene:n Kanzlerkandidat:in zu stellen.
Die aktuellen Umfragewerte legen diesen Schluss nahe. Schließlich hat auch die SPD 2021 den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz gestellt – obwohl sie zu Beginn des Wahljahres bei 14 Prozent in den Umfragen stand. Die Grünen haben Annalena Baerbock ins Rennen geschickt. Warum also, sollte die AfD mit ihren aktuellen Werten von 18 bis 20 Prozent nicht nach dem Kanzleramt greifen?
Die Antwort könnte ganz einfach sein: Weil niemand mit ihnen zusammenarbeiten will. Doch zum einen zeigen das die Parteien – allen voran die konservativen – offensichtlich nicht deutlich genug. Zum anderen kabbeln sie sich zu sehr mit- und untereinander, um die wirklichen Nöte der Bevölkerung öffentlichkeitswirksam anzugehen. Das macht die AfD zwar auch nicht – aber das ist anscheinend auch weder ihr Eigenanspruch noch der von Wähler:innen.
Hinzu kommen verbale Fehlschläge wie die Debatte um die Nennung von Vornamen nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht in Berlin oder aber Friedrich Merz' Warnung vor "Sozialtourismus". Sie verschieben die Grenzen des Sagbaren weiter zugunsten der AfD. Der plumpe Populismus, mit dem sich die demokratischen Parteien aktuell gegenseitig zerfleischen, tut sein Übriges.
Keiner will wissen, warum die CDU unfair ist und die Grünen zu ideologiegetrieben. Keiner hat Lust, die ganze Zeit übers Gendern zu diskutieren, oder darüber, warum Atomkraft – die jetzt nun mal zurecht abgeschaltet ist – viel besser wäre. Vergesst doch mal das Tempolimit und den "Veggie-Day". Das alles ist doch so egal, wenn ihr damit nicht die Menschen erreicht, die ihr erreichen wollt.
Nach Corona, Krieg und Inflation bekommt Deutschland jetzt auch noch immer deutlicher die Klimakrise zu spüren. Die kommenden Jahre und Jahrzehnte werden, wenn es so weiter geht, ohnehin richtig beschissen. Und wenn in sechs Jahren der Bundeskanzler Björn Höcke heißt, ist die Kacke richtig am Dampfen.
Der Dammbruch in Sonneberg sollte ein einmaliger Warnschuss sein: Es ist an der Zeit, den Populismus wieder Populist:innen zu überlassen. Stattdessen sollte sich die Politik fragen: Was ist wichtig? Welche Probleme müssen wir lösen?
Dass die Antwort dann nicht lautet "Aber die Grünen!!!1!!1" ist klar. Denn um ehrlich zu sein: Mit sozialer Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, dem Krieg in der Ukraine und Klimaneutralität sollte der Bundestag aktuell genug zu tun haben.
Natürlich dürfen in einer Demokratie nicht alle Parteien die gleiche Meinung haben. Diskussionen sind wichtig, wie der Konsens. Und trotzdem muss die deutsche Politik langsam mal wieder auf den Boden kommen, denn auch wenn es verlockend ist: Populismus stärkt am Ende die AfD. Und das wiederum schwächt unsere Demokratie.
Deshalb muss es für alle demokratischen Parteien nun heißen: Brandmauern flicken und nochmal den:die Brandschutzbeauftragte:n draufschauen lassen, den Schärfegrad der Kommunikation reduzieren, dann in die Hände spucken und loslegen.