Deutschland steht sich selbst im Weg mit der ganzen Bürokratie. Nichts Neues. Ein Bürokratieabbau muss her. Ebenfalls ein alter Hut. Kaum eine Woche vergeht, in der sich niemand in Politik oder Wirtschaft über das Ausmaß der Bürokratisierung beschwert. Ein Erkenntnisproblem hat Deutschland hier also nicht. Sondern definitiv ein Umsetzungsproblem. Und das kommt uns bereits jetzt teuer zu stehen.
Schon 2001 hat das Meinungsforschungsunternehmen IfD Allensbach 2000 Menschen ab 16 Jahren befragt, ob sie sich schon mal über die Bürokratie in Deutschland geärgert haben. Die Antwort ist zumindest aus heutiger Sicht nicht überraschend: 90 Prozent bejahten.
Für alles braucht es einen Antrag, ein Formular. Das fängt schon beim Anmelden am neuen Wohnsitz an. Ohne Germanistikstudium versteht man das Formular beinahe nicht – man denke an Menschen, die die deutsche Sprache nicht einwandfrei beherrschen. Und natürlich muss man persönlich bei der jeweiligen Behörde erscheinen. Von ihrer Barrierefreiheit gar nicht erst angefangen. Wer nun also tatsächlich für das eigene Anliegen zuständig ist, ist in einer neuen Stadt oft genauso undurchsichtig wie das zugehörige Formular.
Dass das alles nicht zielführend ist, ist den Regierenden seit Jahrzehnten bewusst. Immer wieder stand es auf der Agenda, doch so richtig erfolgreich war keine Regierung im Bürokratieabbau. Deshalb braucht es nun ein viertes Bürokratieentlastungsgesetz (BEG); die Eckpunkte legte Justizminister Marco Buschmann (FDP) im Sommer vor. Auch bei der Ministerpräsidentenkonferenz von Bund und Ländern war es vor Kurzem Thema.
Das alles liest sich allerdings immer mehr wie ein Scherz: Wir brauchen in Deutschland ernsthaft ein Gesetz (oder vier?!), um weniger Gesetze zu erlassen?
Sogar Bundeskanzler Olaf Scholz sagt: "Wir haben es übertrieben, das ist meine feste Überzeugung."
An Ideen für den Bürokratieabbau mangelt es nicht, aber dafür umso mehr an der Umsetzung. Aus Brüssel hörte man beispielsweise mal den Vorschlag, für jedes neue Gesetz ein altes abzuschaffen (Spoiler: nicht die Lösung des Problems). In "Trippelschritten", wie es Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nun nannte, wurden auf dem Bund-Länder-Gipfel nun wohl 140 Maßnahmen geplant, um den Unternehmen das Leben zu erleichtern.
Doch das Problem liegt in den Behörden selbst. Und an Lobbyist:innen.
Einst wurde Deutschland für seine Genauigkeit bewundert. Jetzt reguliert es sich in den Abgrund. Vom Industriestandort Deutschland mit dem Qualitätssiegel Made in Germany bleibt bald nur noch ein Riesenaktenberg übrig. Das blockiert Innovationen und kostet nur unnötig Geld.
Wer in Deutschland ein neues Unternehmen gründen will, benötigt eigentlich schon vor der ersten Idee eine:n Jurist:in, eine:n Datenschützer:in und eine:n eigene:n Steuerberater:in. Die gängigen Kritikpunkte der Gründer:innen: das Steuerrecht, die Finanzierung und der Kontrollwahn in Deutschland. Alles werde tot geprüft, bis von einer Idee nur noch ein wütend zerknüllter Zettel im Mülleimer übrig bleibt und man sich in der Konsequenz doch wieder beim nächsten Unternehmen anstellen lässt. Ihre Kritik bringt es auf den Punkt.
103 Millionen Euro kostete es die Deutschen im Vergleich zum Vorjahr mehr, alle bürokratischen Richtlinien zu erfüllen – und dabei geht es nicht um Steuergeld, sondern private Kosten. Die Wirtschaft ganze 418 Millionen Euro mehr und die Verwaltung hatte sogar 526 Millionen Euro Mehraufwand. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Es ist ja nicht so, als hätten wir das Geld locker übrig.
2,3 Milliarden sollen nun unter anderem durch das BEG IV gespart werden, kündigte Buschmann an. Schön und gut. Aber es kommt zu spät. Sollte es überhaupt wirksam sein. Die Vergangenheit hat uns ja leider eines Besseren belehrt.
Eigentlich hat die Bundesregierung sogar eigens einen Koordinator für den Bürokratieabbau einberufen: Benjamin Strasser (FDP). Und er müsste beim nächsten bürokratischen Vorhaben auch mal laut "Stopp" schreien! Vor allem gegenüber der Lobby. Denn in ihrer Natur liegt logischerweise, Profit für ihre Interessensgruppe herauszuschlagen. Doch dabei agieren die Lobbygruppen oft gegeneinander. Heraus kommt dann ein Kompromiss – und somit der nächste Gesetzesdschungel.
Liebe Bundesregierung, liebe Ministerpräsident:innen: Wenn auf eure jahrzehntelangen leeren Worte nicht endlich Taten folgen – und die beschlossenen Maßnahmen nachhaltig wirksam umgesetzt werden – wird sich nie etwas ändern. Packt das Bürokratiemonster Deutschland endlich am Schopf und ändert etwas.