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Kein Urlaub an der Ostsee? AfD-Angst zeigt eigentliches Problem im Osten

Blick am Donnerstag 16.05.2024 im Ostseebad Warnemünde auf den örtlichen Strand. Für das kommende Pfingstwochenende erwarten die Metrologen für das Land Mecklenburg Vorpommern eher etwas durchwachsene ...
Hach, wie schön, Urlaub an der Ostsee. Bild: imago images / BildFunkMV
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Angst vorm Ostsee-Urlaub wegen der AfD? Warum Ost-Bashing das Problem nur verschärft

14.03.2025, 14:5814.03.2025, 15:56
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Ach ja, die Ostsee. Vor allem bei Berliner:innen ist die Region Sommer wie Winter ein beliebtes Ausflugsziel. Aber auch Menschen aus anderen Regionen Deutschlands genießen seit Jahrzehnten ihren Sommerurlaub (oder gar ihren kompletten Ruhestand) am Binnenmeer von Mecklenburg-Vorpommern.

Ist ja auch wirklich schön da: So ruhig, oft verlassen – und dann meist auch noch sehr viel günstiger als "drüben" an der Nordsee! Wäre da nur nicht dieser blöde Rechtsruck. Bei Nazis will man doch keinen Urlaub machen.

Einem Bericht der "Ostsee-Zeitung" (wohlgemerkt: ein Lokal-Medium) zufolge würden seit der Bundestagswahl immer mehr Menschen ihren Urlaub an der Ostsee stornieren, aus Angst vor den ganzen AfD-Wähler:innen in Mecklenburg-Vorpommern.

Wenige Tage später äußern sich Hoteliers und Tourismusbeauftragte, dass sie entsprechende Entwicklungen nicht bestätigen können. Der wahrscheinlichere Grund für die vielen Stornierungen ist laut "Focus" die aktuelle Krankheitswelle.

Urlaub an der Ostsee: Zu viel Blau?

Aber wen soll das alles noch wundern? "Der Osten wählt blau" lautete nach der Bundestagswahl gefühlt jede zweite Schlagzeile. Dass Menschen ihre Seele diesen Sommer deswegen aber nicht mehr auf Rügen oder dem Darß baumeln lassen, ist nicht nur faktisch falsch. Die Debatte darum offenbart einmal mehr ein Problem, das viel größer ist als die alljährliche Urlaubsplanung.

Fakt ist natürlich: In allen fünf ostdeutschen Bundesländern wurde die in weiten Teilen rechtsextreme AfD stärkste Kraft – zusammengerechnet kam die Partei hier auf knapp 35 Prozent. Damit ist sie hier um einiges beliebter als in westdeutschen Bundesländern. Und das ist besorgniserregend.

Die Frage nach dem Warum jedoch wird schon knapp drei Wochen nach der Bundestagswahl nicht mehr gestellt. Viel zu eingebrannt ist 35 Jahre nach der Wiedervereinigung das Bild des "abgehängten Ostens". Die Union will als stärkste Kraft im Bundestag und wohl bald Kanzlerpartei trotzdem den Ostbeauftragten des Bundes streichen.

"Wir brauchen keinen Jammer-Ossi, sondern jemanden, der nach vorne schaut", argumentierte Fraktionsvize Sepp Müller (CDU). Übrigens, CDU: Allein der Begriff "Jammer-Ossi" hat das Potenzial, etwa 90 Prozent der Wähler:innen mit Wohnsitz in ostdeutschen Bundesländern zu vergraulen.

Warum steht Ostdeutschland im Fokus?

"Der Osten" ist längst zudem nicht gleichberechtigt. Das fängt bei der Vermögensverteilung an und hört bei der Altersarmut auf. Man kann sich darüber streiten, ob eine Einheit auf Augenhöhe überhaupt jemals möglich wird.

Das Problem der AfD als Ost-Problem abzustempeln, ist aber gleichzeitig mehr als fahrlässig und alles andere als "nach vorne schauend". Zum einen sind Schlagzeilen über den "blauen Osten" Wasser auf den Mühlen derer, die sich seit der Wiedervereinigung in der bundesdeutschen Politik ohnehin nicht wiederfinden.

Die in weiten Teilen rechtsextreme AfD adressiert dieses Gefühl und schafft es, Bürger:innen anzusprechen, die in den vergangenen 35 Jahren vergessen wurden. Keine andere Partei setzt so sehr auf ein Ost-Zusammengehörigkeitsgefühl. Für Menschen, die sich ansonsten exkludiert und abgehängt fühlen, sind sie ein idealer Zufluchtsort.

Andererseits offenbart das Ost-Bashing in Bezug auf die AfD das klassische Scheuklappen-Phänomen. Die westdeutschen Bundesländer, in denen die AfD auf einen Wert unter 15 Prozent kommt, lassen sich an einer Hand abzählen. In den meisten Wahlkreisen kommt sie auch hier auf knapp 20 Prozent der Stimmen.

"Die Probleme sind ähnlich, nur auf einem anderen Niveau", betonte Soziologe Steffen Mau schon im vergangenen Jahr im Interview mit der "Berliner Zeitung". Er geht in seinem Buch "Ungleich vereint" davon aus, dass auch in Kempten und Cuxhaven bald die Probleme aus Rostock und Zwickau ankommen könnten.

Angst vor der AfD: Die Lösung tut weh

Die mediale Verbreitung der Sorge vor dem rechtsextremen Osten lässt daher nicht nur außer Acht, dass es auch in Duisburg, Pforzheim und Celle Rechtsextreme gibt. Sie übertönt auch zum wiederholten Male die Stimmen aus Ostdeutschland.

"Viele fühlen sich hier nicht mehr gehört. Die Bürger haben das Gefühl, die Bundesregierung ist zu weit weg von den täglichen Problemen und Herausforderungen", sagt die Bürgermeisterin von Heringsdorf auf Usedom dem "Tagesspiegel". In ihrer Wahrnehmung spielt Fremdenhass in ihrer Kommune weniger eine Rolle. Sie sieht eher gestiegene Preise als Treiber für die Unzufriedenheit.

Hier lässt sich auch generell einmal folgende Frage stellen: Warum sollten Gastronom:innen einen Gast mit ihrem vermeintlich rechtspopulistischen Gedankengut langweilen, wenn sie ihm doch eigentlich nur eine Fischplatte servieren wollen?

Gerade in der Hochsaison dürften die wenigsten Zeit für einen ausführlichen Plausch über die Weltpolitik haben. Und nochmal: Gastronom:innen müssen gerade in diesen Zeiten wirtschaftlich arbeiten und werden sich hüten, auf diese Weise das eigene Geschäft kaputt zu machen.

Der Tourismus macht in Mecklenburg-Vorpommern einen Großteil der Wirtschaftsleistung aus. Auch wenn das so manche Bedienung mit nordisch-nörgelndem Charme noch nicht ganz so nach außen transportieren kann, ist man also eigentlich froh über jeden Gast.

Dabei darf zwar nicht außer Acht gelassen werden, dass nicht-weiße Tourist:innen trotzdem in Alltagssituationen in Mecklenburg-Vorpommern diskriminiert werden. Aber das werden sie auf der Schwäbischen Alb sicher auch.

Mit diesem Argument ist das Problem des Rechtsrucks nicht kleinzureden. Mit einer Kürzung beim Ostbeauftragten und einer Panikmache um Urlaub an der Ostsee aber eben auch nicht.

Was es bräuchte, wäre endlich die Anerkennung dessen, dass ostdeutsche Bundesländer eine andere Vergangenheit haben als westdeutsche. 40 Jahre Sozialismus lassen sich nicht einfach mit dem Abriss einer Steinmauer und dem Ausruf von Freiheit ausradieren.

Deutschland braucht Gesprächsbereitschaft. Und wenn man dann vielleicht auch mal im Urlaub ein unangenehmes Gespräch führen muss, dann ist das so. Am Ende lebt Demokratie eben von Diskurs und Kompromiss. Und schließlich reden Hannelore und Günther im Urlaub sowieso am liebsten nur miteinander – deswegen haben sie ihren Urlaub an der Ostsee auch nicht storniert.

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