2024 wird ein Jahr der Extreme: Hitzerekorde bereits im März, Mietenexplosion, horrende Dönerpreise. Auch politisch hält das Jahr Sprengstoff bereit: Donald Trump könnte wiedergewählt werden, ein Rechtsruck geht durch Europa und in drei deutschen Bundesländern könnten die Rechten massig Prozente einfahren. Einfach gesagt: Dieses Jahr ist beängstigend.
In Sachsen, Brandenburg und Thüringen wird im September ein neues Landesparlament gewählt. Und Gewinnerin dürfte vor allem die AfD sein. Darunter auch die rechtsextreme AfD Thüringen, der Heimatverband von Björn Höcke. Mit Umfragewerten zwischen 29 und 36 Prozent könnte ein Vorbeiregieren an der Ganz-Ganz-Rechtsaußenpartei zum Experiment werden.
Dass die Grünen es in den Landtag schaffen, ist nach aktuellen Umfragen nicht sicher. Notwendig werden könnte also ein Bündnis aus CDU, SPD und Linken oder in Kombination mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht. Spannend, schließt es die Union doch eigentlich aus, mit "Radikalen" zusammenzuarbeiten. Und dazu gehört im Verständnis der Konservativen eben auch die Linke.
In Richtung der Rechten ist diese Brandmauer bislang allerdings an zahlreichen Ecken löchrig. Jetzt besitzt der Thüringer CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt sogar die Dreistigkeit, sich in ein TV-Duell mit Höcke zu setzen und dem Rechtsextremen eine Bühne zu bieten. Dufte Idee – nicht!
Ausgestrahlt wird das Drama nicht etwa beim Öffentlich-Rechtlichen, der einen Vollständigkeitsanspruch hat und wegen der Beitragszahlungen leider verpflichtet ist, auch extrem rechte Politiker:innen zu Wort kommen zu lassen. Nein, diese Verharmlosung findet beim Privatsender Welt TV statt.
"Das TV-Duell ist der Versuch, Aussagen kritisch zu hinterfragen – unabhängig davon, ob sie den eigenen Werten entsprechen", sagt der Chefredakteur des Nachrichtensenders Welt dazu. Vor allem aber ist das TV-Duell wohl der Versuch, ordentlich Quote zu machen. Eine Live-Diskussion mit Höcke, der für seine radikalen und oft verfälschten Aussagen bekannt ist, wird für die Debatte keinen Mehrwert schaffen.
Und auch Voigt kommt in dieser Konstellation schlecht weg, muss er doch alle Fakten parat haben, um einem Medienprofi und Menschenfänger, wie Höcke Paroli bieten zu können. Und genau daran könnte es scheitern. Schließlich war es Voigt Unbedarftheit, die dieses gefährliche Schauspiel überhaupt ermöglicht hat. Der hat nämlich Höcke falsch zitiert, woraufhin der Rechtsaußen-Politiker mit einer Unterlassungsklage drohte.
Das Ende vom Lied: Voigt machte gegenüber Höcke deutlich, dessen "wohlstandsgefährdende Antieuropapolitik" überall auseinandernehmen zu können – ob vor Gericht oder im Landtag. Höcke reagierte klug und schlug ein TV-Duell vor. Voigt willigte ein. Und damit gibt er einem Mann eine Bühne, die er ohne dieses Intermezzo nicht gehabt hätte.
Völlig klar, was Voigts Plan dabei ist: Er will sich selbst bekannter machen, den Fame abstauben. Aber egal, ob Voigt Falschaussagen und die perfide Europapolitik der AfD entkräften kann – er gibt damit Höcke die Möglichkeit, seine Hetze und seinen Hass auf großer Bühne und live ins ganze Land zu tragen. Weiter zu spalten.
Und Welt TV profitiert mit. Denn das Duell sorgt schon im Vorfeld für Gesprächsstoff, es ist zu vermuten, dass viele zuschalten werden. Aus Voyeurismus, um zu sehen, wie furchtbar das Gespräch wirklich wird. Aus Ekel, aus Interesse.
Aber anders als bei beliebten Trash-Formaten, wie etwa dem Dschungel oder Big Brother geht es hierbei um die Demokratie in unserem Land. Ein Gesellschaftssystem, das aktuell ohnehin einen schlechten Stand hat. Das dauerhaft auf der Kippe steht, weil es von Rechtsextremen im Inneren angegriffen wird. Ein Konstrukt, dass es zu verteidigen gilt.
Nein, wir Medien müssen nicht über jeden Stock springen. Wir müssen Höcke nicht ungehindert sein diskriminierendes, verletzendes und womöglich verfassungsfeindliches Gedankengut von sich geben lassen. Er muss nicht via Privat-TV rechte Codes durch die Republik tragen und einmal mehr sein Lied einer "globalen Elite", die die Welt steuern soll, singen. Es tut nicht Not.
Erst recht nicht, da der Tag des Duells irritierenderweise gleichzeitig der 79. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald durch die US-Armee 1945 ist. Und wie "RND" den Historiker Martin Sabrow zitiert: "Voigt kann nur verlieren. Er will Politik gestalten, Höcke will sie zerstören. Die Aufmerksamkeit liegt automatisch auf dem Zerstörer."
Und Welt TV schaut zu und feiert sich womöglich sogar dafür. Erst im März hatte die "Welt am Sonntag" den Spitzenkandidaten der AfD für die Europawahl, Maximilian Krah, interviewt. Einen Mann, der wie sein Kollege Petr Bystron mit der russischen Desinformationskampagne über das Portal "Voice of Europe" in Verbindung steht.
In dem Gespräch wurden verschiedene menschenfeindliche Aussagen Krahs besprochen. Die Journalisten haben ihm keine Möglichkeit gegeben, eigene Themen zu setzen – im Gegenteil, sie haben Krah in die Zange genommen. Mehrwert hatte das Gespräch trotzdem nicht, vielmehr hatte der Rechte zahlreiche Möglichkeiten, sich selbst zu relativieren. Zu verharmlosen.
Und in Thüringen wird die Normalisierung der Rechtsaußen Alternative mittlerweile zum Standard. Never forget die Kurzzeit-Ministerpräsidentenschaft des FDP-Politikers Thomas Kemmerich. Mit fünf Prozent bei der Landtagswahl gelangte der Liberale damals an fünf Minuten Ruhm. Ein Ministerpräsident von Gnaden und mit Stimmen von AfD und CDU.
Die Regierungskrise war perfekt. Drei Tage später reichte Kemmerich sein Rücktrittsgesuch ein. Linken-Politiker Bodo Ramelow übernahm mit seiner rot-grün-roten Regierung. Laut einer Erhebung der Rosa-Luxemburg-Stiftung liegt das kleine Thüringen auch auf Platz zwei, wenn es um die Kooperation mit rechten Parteien auf kommunaler Ebene gibt.
28 Mal gab es dort laut der Studie nachweisbare Fälle von Kooperation seit den Kommunalwahlen 2019. Zumeist gehe es dabei um die Kooperation von CDU und AfD, heißt es in der Studie. Aber auch mit den anderen demokratischen Parteien habe es partiell Zusammenarbeit gegeben – allerdings nicht in dem Ausmaß.
Die CDU täte also gut daran, ihr Versprechen, nicht mit "Radikalen" zusammenzuarbeiten, tatsächlich einzulösen. Stattdessen hat Voigt im Februar erklärt, er sehe nichts Unanständiges daran, Gesetze mit Stimmen der AfD durch den Landtag zu bringen.
Viel Normalität für eine Partei, die Schlagzeilen mit "Remigrations"-Phantasien und menschenverachtenden "Quasselgruppen" macht. Hass auf Menschen ist keine Meinung und die AfD keine normale Partei. Sie wie eine zu behandeln, kann der Demokratie nur einen Bärendienst erweisen. Die Demokrat:innen in Bund und Ländern sind nun gefragt, Höcke und Co nicht weiter zu normalisieren.