Die AfD ist omnipräsent. Eine Partei, deren Rezension zwischen Horrorstory und Opfermythos wankt. Eine Partei, deren Mitglieder immer wieder den einen Schritt zu weit gehen – und damit auf der nächsten Titelseite landen. 2023 polarisierte etwa der "Stern" mit einem Cover, das AfD-Chefin Alice Weidel gewidmet war.
Der Grund: Ein langes Weidel-Interview im Heft. Auf dem Cover dann ihr Konterfei und die Frage, was Weidel außer Hass könne. Das Wort Hass in altdeutscher Schrift. Mit der Aufmachung und dem großen Interview erntete das Magazin einen Shitstorm. "Rechtsextreme auf Covern bieten keinen journalistischen Mehrwert, normalisieren aber rechtsextreme Akteure", sagt Pia Lamberty auf watson-Anfrage dazu. Lamberty ist Sozialpsychologin und Expertin für Verschwörungstheorien.
Aber nicht nur der "Stern" gibt der AfD eine mediale Bühne; immer wieder sind Vertreter:innen der Partei im Tagesinterview des Deutschlandfunks zu hören, sitzen in den Talkshows von Sandra Maischberger oder Markus Lanz. Auch Aussagen der Politiker:innen werden immer wieder vervielfältigt, verbale Ausschweifungen in die Berichterstattung aufgenommen. Lamberty sagt dazu:
Der Soziologe Mirco Liefke sieht das anders. Er lehrt und forscht an der FU Berlin zum Thema Medienökonomie. Auf watson-Anfrage erklärt Liefke, grundsätzlich hätten alle im Bundestag vertretenen Parteien Anspruch auf "angemessene mediale Repräsentation."
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk könnte daher an Akzeptanz verlieren, wenn AfD-Politiker:innen nicht mehr zu Wort kämen. Private Medien aber könnten aus Sicht des Experten freier entscheiden, bewusst auf Gespräche mit Rechten zu verzichten.
Auch Kommunikationsberater Johannes Hillje macht auf watson-Anfrage deutlich: Eine 20-Prozent-Partei, wie die AfD es ist, könne nicht ignoriert werden. Hillje räumt ein: "Ihre Politiker einfach reden zu lassen, wie zuletzt Tino Chrupalla bei Markus Lanz, ist aber grundfalsch. Die AfD ist eine Propagandapartei."
Aussagen einer "Propagandapartei" könnten im demokratischen Diskurs nicht gleichberechtigt neben den Aussagen demokratischer Kräfte stehen.
Der Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland hatte bereits 2018 in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" den langfristigen Plan der AfD verraten. Damals sagte er frei heraus, dass die Partei versucht, die Grenzen des Sagbaren auszuweiten. Eine Kampfansage an die liberale Demokratie und an die Toleranz.
In Deutschland ist bereits eine Verschiebung des Diskurses zu merken. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) spricht im Zusammenhang mit Kindern aus Familien mit Migrationserfahrung von "kleinen Paschas". Kanzler Olaf Scholz (SPD) will "im großen Stil abschieben". Rechte Rhetorik ist mittlerweile vielerorts salonfähig. Und auch wenn hunderttausende Menschen gegen rechts – und gegen die AfD – auf die Straße gehen, hat die Partei zahlreiche Unterstützer:innen, auch weil sie so radikal ist.
In anderen europäischen Ländern läuft das ähnlich: Der rechte Rand legt zu, Medien berichten darüber, der Diskurs verschärft sich. Das Magazin "goodimpact.eu" kommt in einer Analyse zu dem Schluss, dass dieser mediale Umgang mit Rechtsextremist:innen und -populist:innen einen Zusammenhang mit Wahlerfolgen haben dürfte.
Als Gegenbeispiel zu Frankreich, den Niederlanden oder auch Deutschland wird dort die Region Wallonien angebracht: In diesem Teil Belgiens sind die Rechtsaußen-Kräfte schwach. Die Autorin geht in ihrer Analyse auf ein Buch der Politikwissenschaftlerin Léonie de Jonge ein.
Der Erfolg radikal rechter Parteien hängt demnach hauptsächlich davon ab, wie offen die Gatekeeper (also etwa Medien) einer Demokratie mit ihnen umgehen. Die Menschen in Wallonien seien nicht weniger rassistisch als in anderen Teilen Europas – die Rundfunkanstalten dort haben aber bereits in den 1990er-Jahren einen Pakt geschlossen.
Vereinbart ist, dass Akteur:innen, die rassistischen, demokratiefeindlichen Gruppen nahestehen, keine Plattform bekommen. Keine Titelseiten, keine Talkshows, keine Liveschalten.
Ein Vorgehen, von dem Mediensoziologe Liefke nichts hält. Seiner Meinung nach müsse die Entscheidung der Redaktion, die AfD nicht einzuladen, in jedem Einzelfall neu getroffen werden. Zudem müsste die Entscheidung transparent gemacht werden, damit klar werde, warum Vertreter:innen der AfD nicht eingeladen wurden. Diese Verantwortung müsse Journalist:innen zugestanden werden.
Er sagt dazu:
Liefke beschreibt im Umgang mit der AfD einen Balanceakt. Zum einen würden Personen und Begrifflichkeiten aus dem rechtsextremen Bereich durch die Berichterstattung aufgewertet – zum anderen bestehe die Gefahr einer Opfererzählung, die mit einer scheinbar "unfairen" Missachtung ausgelöst werden könnte. Für Liefke ist klar: Ein medialer Umgang mit der AfD ist nur mit viel Transparenz möglich.
Er fügt außerdem an:
Aktuell liege die Gefahr von Medien im Umgang mit der AfD auch in der Verknüpfung mit Profitmaximierung. Meint: Durch den Versuch, Reichweite durch polarisierende AfD-Aussagen zu erhöhen, könnten sich die Grenzen des Sagbaren verschieben. Und so könnte sich der öffentliche Diskurs weiter polarisieren.
Kommunikationsexperte Hillje sieht das ähnlich. Nach wie vor scheiterten einige Medien daran, den Extremismus und die Selbstverharmlosung der AfD einzuordnen. Die Partei sprenge die Normen mit Lügen, Verschwörungserzählungen und einer demokratiefeindlichen Ideologie. "Man muss vor allem die Ideologie der AfD durchdringen, dann wird klar, dass sie einen illiberalen Staat nach dem Vorbild Viktor Orbáns will", macht er deutlich. Also eine illiberale (Schein-)Demokratie, die viele Punkte einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft nicht erfüllt.
Trotzdem sieht Sozialpsychologin Lamberty in Deutschland aktuell eine positive Entwicklung. Sie sagt: "In der Vergangenheit wurde zu wenig auf demokratische Initiativen gegen den Rechtsextremismus geblickt. Das ändert sich gerade." Zu spät, einen Strategiewechsel anzustreben, ist es aus Sicht der Expertin auch in Deutschland noch nicht. "Rechtsextremismus wird vermutlich nicht so schnell verschwinden", sagt sie dazu und fährt fort:
Laut Lamberty gebe es viele kleine Dinge, die Medien im Umgang mit der AfD besser machen könnten. "Man kann sich überlegen, wie man Bilder verwenden kann, ohne beispielsweise rechtsextreme Bildsprache zu reproduzieren oder der Person ein Podium zu geben", sagt sie.
Zudem müsse man Aussagen rechtsextremer Politiker:innen nicht als Statement in die Überschrift packen. Stattdessen könne es helfen, den Fokus auf die Konsequenzen zu legen und mit Menschen zu sprechen, "die von den Plänen der AfD besonders betroffen sind." Demokratisches Engagement müsse sichtbarer werden, macht Lamberty deutlich.