Zu groß waren die Differenzen, zu groß die Ablehnung seiner Person: Rechtspopulist Geert Wilders musste Mitte März bekannt geben, doch keine Ansprüche mehr auf das Premierminister-Amt in den Niederlanden zu erheben.
Bei den Parlamentswahlen im November hatte Wilders mit seiner Partei Partij voor de Vrijheid (Partei für die Freiheit) überraschend deutlich gewonnen. Dann allerdings bei den nun schon monatelang andauernden Koalitionsverhandlungen keine Mehrheit hinter sich versammeln können.
Nun winkt den Niederlanden womöglich eine Koalition ohne Koalitionsvertrag – was auch immer das in der Ausgestaltung heißen mag. Ein Novum. Denn die Parteien PVV (von Wilders), die konservativ-liberale VVD, die Bauernpartei und der NSC, der Neue Sozialvertrag des früheren Christdemokraten Pieter Omtzigt, wollen es noch einmal miteinander versuchen.
Verhindert wurde die PVV dadurch also nicht. Aber zumindest Wilders.
Dass eine rechtsextremistische Partei Einzug in eine Regierung eines Staates erhält, ist seit einiger Zeit auch in Deutschland nicht mehr so abwegig. Die Bundestagswahl 2025 ist bereits in Sichtweite, die Zustimmungswerte für die derzeitige Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP seit geraumer Zeit im Sinkflug.
Die AfD hingegen musste zwar zuletzt einen Dämpfer einstecken, einhergehend mit den Massenprotesten gegen rechts. Doch die Umfragewerte deuten immer noch auf ein großes Plus im Vergleich zur vergangenen Bundestagswahl hin.
Was wäre, wenn es Deutschland mit der AfD im kommenden Jahr genauso erginge, wie den Niederlanden mit Wilders und seiner PVV?
Dass die AfD stärkste Kraft im Bundestag werden könnte, sei derzeit eher unwahrscheinlich, sagt Parteienforscher Jürgen Falter auf Anfrage von watson. Falter ist Senior-Forschungsprofessor an der Uni Mainz. Allerdings würde die AfD, sollte es doch so kommen – wie mit Wilders und der PVV in den Niederlanden – versuchen, mit anderen Parteien eine Koalition zu bilden, um die nötige Kanzlermehrheit im Bundestag, zu erlangen.
Droht uns also womöglich eine Kanzlerin Alice Weidel, oder ein Kanzler Tino Chrupalla?
Nein. "Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" würde die AfD an einer solchen Mehrheit im Parlament scheitern, urteilt Falter.
Was jedoch nicht heißt, dass dieses Szenario auf Landesebene nicht bereits in diesem Jahr schon Realität werden könnte: konkret in Thüringen und Sachsen. "Wobei es auch in diesem Falle nahezu ausgeschlossen erscheint, dass es der AfD gelänge, eine Koalition oder auch nur eine Mehrheit zur Wahl eines von ihr gestellten Ministerpräsidenten zustande zu bringen", meint der Parteienforscher.
In Thüringen liegt die AfD je nach Umfrageinstitut bei etwa 29 Prozent, gefolgt von der CDU mit rund 20 Prozent. In Sachsen sieht es ähnlich aus, mit fast 33 Prozent für AfD und fast 31 Prozent für die CDU.
Fraglich bleibt, ob die CDU wirklich eine Koalition mit der AfD ausschließen wird. Denn dann müsste sie mit den anderen Parteien eine Minderheitskoalition erwirken, was in Thüringen nach derzeitigem Stand die Linke (16 Prozent), BSW (15 Prozent), die SPD (9 Prozent) und gegebenenfalls die Grünen (5 Prozent) wären. In Sachsen verteilen sich neben AfD und CDU die meisten Stimmen lediglich auf BSW (rund 12 Prozent), SPD (6 Prozent) und gegebenenfalls Grüne (5,7 Prozent).
Der thüringische CDU-Spitzenkandidat Voigt hat offiziell eine Koalition mit der AfD oder der Linkspartei ausgeschlossen. Und auch Kretschmer will in Sachsen nicht mit der AfD gemeinsame Sache machen, am liebsten auch nicht mit den Grünen – aber die dann doch lieber als mit der AfD.
Doch wie feuerfest diese Brandmauer wirklich ist, wird sich erst zeigen. Denn ignoriert wird die AfD in der Kommunal- und Landespolitik nun wirklich nicht.
Dazu haben die Berliner Politologin Anika Taschke, selbst Linken-Politikerin, und ihr Leipziger Kollege Steven Hummel in einer Studie für die Rosa-Luxemburg-Stiftung die Zusammenarbeit zwischen Demokraten und Rechten in ostdeutschen Kommunen beleuchtet. 52 Kooperationen gab es von 2019 bis 2023 allein zwischen der CDU und der AfD in Ostdeutschland. Die Dunkelziffer ist potenziell hoch, da die Fälle schwer zu rekonstruieren waren aufgrund fehlender Dokumentationen von Abstimmungen.
Zumindest wird es der AfD auf Bundesebene aber immer wieder erschwert, von ihrem demokratischen Recht Gebrauch zu machen. Konkret kämpft die AfD-Fraktion derzeit vor dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht darum, ihr Recht auf Vorsitzendenposten in Bundesausschüssen zu behalten.
Was jedoch angesichts der Zustimmungswerte nicht ignoriert werden kann, ist die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung der AfD auf Landes- und auch Bundesebene.
Droht Deutschland also eine Regierung unter AfD-Beteiligung?
Derzeit liegt die CDU/CSU je nach Umfrageinstitut auf Bundesebene bei rund 30 Prozent. Gefolgt von der AfD mit rund 18 Prozent, dahinter SPD (rund 15 Prozent), Grüne (rund 13 Prozent) und Bündnis Sahra Wagenknecht (zwischen 5 und 6 Prozent).
Würde die AfD die Unionsparteien zur Bundestagswahl noch überholen, müssten sich die anderen Parteien bemühen, selbst eine Mehrheit auf die Beine zu stellen.
Auf Landesebene könnte man sich eventuell auf die Wahl eines Ministerpräsidentenkandidaten aus den eigenen Reihen einigen, ohne, dass eine formale Koalition zustande kommen müsste, erklärt Parteienforscher Falter. Denkbar sei etwa eine Minderheitsregierung, die sich die Gesetzgebungsmehrheiten von Fall zu Fall neu zusammensuchen müsste.
"Das erscheint mir die wahrscheinlichste Konstellation in Sachsen und Thüringen. Im Bund sind wir noch weit von einem derartigen Szenario entfernt", sagt Falter.
Da kommt es auch wieder auf die Unionsparteien an.
Denn der Parteienforscher gibt zu bedenken:
Dafür sei die ideologische Spannbreite von CDU/CSU bis zur Linken und eventuell dem BSW zu groß. "Die einzige politische Gemeinsamkeit wäre die Verhinderung einer AfD in der Regierung, und das würde nicht ausreichen", sagt Falter.
Auch auf Bundesebene sei daher eine Minderheitsregierung, die von der stärksten Partei nach der AfD geführt würde, die wahrscheinlichste Variante. Das wäre nach derzeitigem Stand, sollte die AfD im kommenden Jahr stärkste Kraft werden, die CDU/CSU.