Sie hat es lange ausgehalten, auf ihrem Sessel im Bendlerblock. Knapp elf Monate dauert der russische Krieg in der Ukraine nun an – und die Kritik an Verteidigungsministerin Christine Lambrecht mindestens genauso lange. Erst war da die Sache mit den Helmen, dann mit dem Privat-Heli-Flug mit ihrem Sohn, das Silvestervideo. Lambrecht hat sich 2022 selbst demontiert.
Immer wieder wurde der Verteidigungsministerin Inkompetenz vorgeworfen. Nebenbei kursieren die Gerüchte, die ehemalige Justizministerin, die sich eigentlich aus der Politik verabschieden wollte, sei auf ein ganz anderes Amt scharf gewesen. Nicht auf das Verteidigungsministerium, sondern auf das Innenministerium ihrer Parteifreundin Nancy Faeser. Nun also hat Lambrecht die Reißleine gezogen. Eine Frage der Zeit.
Klar ist aber auch: Der innere Druck muss groß gewesen sein. Zu groß, als dass Lambrecht an ihrem Posten hätte festhalten können. Zu groß, als dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) sie weiter hätte in Schutz nehmen können. Sicherlich, auch parteiintern. Doch vor allem die Koalitionspartner:innen dürften letztlich den Ausschlag gegeben haben.
In der Bevölkerung wird diese Umgestaltung mutmaßlich gut ankommen. Schließlich haben erst jüngst bei einer von watson in Auftrag gegebenen civey-Umfrage 82 Prozent der Befragten angegeben, Lambrecht für nicht länger tragbar zu halten. Tja, und bei solchen Umfragewerten stellt sich eben irgendwann die Frage: Wie lange kann das noch gut gehen? Offensichtlich gar nicht mehr.
Irrelevant ist in diesem Zusammenhang letztlich, ob jegliche Kritik an Lambrecht gerechtfertigt ist. Hat Deutschland vielleicht gar nicht so wenig Waffen geliefert, wie in der breiten Öffentlichkeit diskutiert? Hat Lambrecht mehr Interesse an der Truppe, als es bei Gesprächen und Terminen rüberkommt? Kam das Silvestervideo unerwarteterweise ganz anders an, als gedacht? Alles möglich.
Und doch ist es egal, denn das Vertrauen in die Ministerin ist nicht mehr da. Sie hat in ihrer Amtszeit zu viele Böcke geschossen. Durch den Ukraine-Krieg ist das Verteidigungsministerium plötzlich wichtig geworden, wie lange nicht. Und Lambrecht war diesem Druck womöglich nicht gewachsen. Zumindest nicht dem öffentlichen. Denn ihre Kolleg:innen aus der Politik haben oft kein gutes Haar an ihr gelassen. Allen voran die Union, die mehrfach den Rücktritt gefordert hat. Aber auch aus Reihen der FDP durfte sich Lambrecht einiges anhören.
Und das verlorene Vertrauen ist der eigentliche Punkt. Denn die Minister:innen sind Gesandte des Wahlvolkes. Ist es so eindeutig wie jetzt, dass die Bürger:innen in einer solchen Absolutheit unzufrieden sind, dann gibt es nur den Weg zurück. Es ist gut, dass Lambrecht, Scholz und das gesamte Kabinett diesen nun gehen.
Klar, es wird Menschen geben, die jetzt noch fordern, dass dieser Schritt viel zu spät kommt. Vielleicht tut er das. Aber wichtig ist, dass er nun kommt. Denn noch immer ist Krieg in Europa. Wir leben in unsichereren Zeiten, als noch vor einem Jahr. Eine funktionierende Regierung – samt Mitglieder, denen die Menschen vertrauen, ist da gleich doppelt wichtig.
Nun also die zweite Neubesetzung im Kabinett Scholz. Der zweite Rücktritt. Die zweite Chance, auf eine bessere Nachbesetzung. Gehandelt werden dafür aktuell die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD), aber auch Parteichef Lars Klingbeil (SPD), Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD).
Die Neubesetzung des Verteidigungsministeriums dürfte also ein größeres Geruckel auslösen. Auch, weil die Koalition sich eigentlich der Parität – also der gleichberechtigten Verteilung der Posten zwischen Männern und Frauen – verschrieben hatte. Vielleicht lassen es die Koalitionäre aber auch damit bewenden, dass sie dieses Ziel zumindest bei der Erstauflage des Kabinetts erreicht hatten.
Es bleibt nun zu hoffen, dass diese Umstrukturierung so schnell und reibungslos wie möglich über die Bühne geht. Denn noch ist der Krieg nicht vorbei, genauso wenig die anderen Krisen, mit denen sich die Republik herumschlagen muss. Ein funktionierendes Kabinett muss nun also oberste Priorität haben.