Viele Medienschaffende und Politiker:innen sehen das nicht so.Bild: imago / Michael Gstettenbauer
Meinung
Ein Virus geht um in Deutschland, das Virus des Nationalismus. Symptome sind unter anderem falscher Stolz auf den Geburtszufall und die Ablehnung gegenüber Flüchtlingen. Letztere zeigt sich unter anderem bei Politiker:innen wie Christian Lindner, wenn er etwa in der Stuttgarter Zeitung betont, "Deutschland muss wissen, wer im Land ist, und selbst entscheiden können, wer hier sein darf."
Derlei Aussagen machen ihn zum Superspreader für Nationalismus. Mit voranschreitendem Stadium werden die Aussagen feindseliger und wirrer. Und so kommen diverse Mythen zur Welt, die sich in Teilen der Bevölkerung hartnäckig halten. Ein hilfreiches Gegenmittel ist Aufklärung.
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1. Mythos: Migranten drücken die Löhne
Politikerin Sahra Wagenknecht, Gründerin des selbstreferentiellen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), behauptet, dass Mirgant:innen die Arbeitssituation der Deutschen verschlechtern. Das fußt auf der Annahme, dass Zugewanderte den Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt erhöhen, was in schlechten Löhnen resultiert.
Jetzt sitzen Geflüchtete, die angeblich diesen Lohndruck mit sich bringen, kaum in Personalbüros, in Arbeitgeberverbänden und auch nicht in der Mindestlohnkommission. Sie haben, vor allem in Sektoren mit besonders knapper Bezahlung, keinerlei Kontrolle über die Lohnhöhe. Bekanntlich soll hier der Mindestlohn zumindest eine Untergrenze festlegen.
Dass Geflüchtete die Löhne drücken, ist Quatsch.Bild: dpa / Ingo Wagner
Aktuell liegt er bei 12,41 Euro und damit unter der Niedriglohngrenze. Die liegt bei 60 Prozent des Medianeinkommens, was umgerechnet 13,04 Euro sind. So hoch sollte laut EU-Vorgaben der Mindestlohn eigentlich sein. Schon vor den Preisschüben der vergangenen Jahre blieb Mindestlohnkräften kaum was zum Leben, schreibt Ökonomin Friederike Spieker. Geändert habe sich das nicht.
Dass der Mindestlohn so niedrig ausfällt, liegt an der Arbeitgeberseite, die sich größeren Schritten sperrt, nicht an Migrant:innen.
2. Mythos: Migranten schaden Sozialsystemen
Und was ist mit denjenigen, die nicht in Arbeit kommen? Hier sprechen Politiker:innen von AfD, FDP, CDU und CSU von einer Einwanderung in die Sozialsysteme. Es ist die Mär von Pull-Faktoren, in dem Fall Sozialleistungen, die für Flüchtlinge besonders verlockend sind.
Ausgeblendet wird dabei, welche positiven volkswirtschaftlichen Folgen mehr Zuwanderung hat. Geflüchtete sind vielleicht erstmal von staatlichen Transferleistungen abhängig. Das liegt aber schlicht daran, dass sie nach Ankunft ein halbes Jahr nicht arbeiten dürfen. Gesetzlicher Nonsense, aber das ist ein anderes Thema.
Trotzdem leisten sie einen positiven Nettobeitrag zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte und Sozialversicherungssysteme – über die Renten. "Migranten sind sehr viel jünger als der Bevölkerungsdurchschnitt – und wer heute jung ist, wird im Alter generell weniger ausgezahlt bekommen, als er über den Lebenszyklus eingezahlt hat", erklärt Arbeitsmarktforscher Herbert Bücker beim DGB. Davon profitieren die Rentenversicherungen massiv.
Migration hilft stattdessen gegen eine überalternde Gesellschaft
Doch auch die überalternde Gesellschaft ist ein Problem. Bis 2036 gehen 18 Millionen Boomer:innen in Rente, aber nur 11 Millionen junge Erwerbstätige kommen auf den Arbeitsmarkt, prognostiziert das Bundesministerium für Arbeit. Drei Dinge könnten das klaffende Loch schließen: Produktivitätsfortschritt, Vollbeschäftigung und Zuwanderung.
Passiert das nicht, geht Wohlstand verloren und die Rentensituation spitzt sich zu. Gerade Politiker:innen mit selbst zugeschriebenen ökonomischen Sachverstand sollten wissen, wie ungut das gesamtgesellschaftlich ist. Doch nationalistischer Populismus ist halt einfacher zu verkaufen.
3. Mythos: Steigende Mieten durch Migration
Föhnfrisur-Avantgardist und Moderator Markus Lanz hatte kürzlich behauptet, mehr Migration wird den Konkurrenzkampf um bezahlbaren Wohnraum verschärfen, sehr zu Lasten von Armutsbetroffenen. Steigende Mieten seien die Folge daraus, wie Lanz noch einmal überraschend selbstbewusst betont. Steile These.
Ja, die Nachfrage nach Wohnungen steigt durch Zuwanderung, der Ausbau läuft gleichzeitig nur schleppend. In Städten wie Berlin, die viele Geflüchtete aufgenommen haben und gleichzeitig regelmäßig über Wohnraummangel klagen, explodieren die Mieten seit Jahren.
Erstens: die Mieten steigen nicht von Geisterhand. Es sind Vermieter:innen, die aus der hohen Nachfrage (der Notlage) Profit schlagen, ob nun Wohngesellschaften oder Private. Zweitens: Wohnraummangel ist natürlich ein Problem. Teil der Wahrheit ist aber auch, dass zum Beispiel in Berlin 2022 mehr als 40.000 Wohnungen leer standen, bundesweit sind es 1,9 Millionen Wohnungen. Unternommen wird dagegen nichts.
Und drittens: die Bundesregierung hinkt beim Wohnungsbau stark hinterher, was ebenfalls für Knappheit sorgt. 2023 hat sie 49.430 Sozialwohnungen gefördert, angepeilt waren 100.000, laut Bündnis Soziales Wohnen fehlen 910.000.
Es ist ein Trauerspiel
Um das zu einem Schluss zu bringen: Nicht Geflüchtete sorgen für steigende Mieten, es sind die Vermieter:innen; nicht Geflüchtete sorgen für Wohnraummangel, es ist eine gescheiterte Wohnungspolitik.
Letztlich verschleiern all die Mythen, dass die Probleme eben von oben kommen, also von Unternehmer:innen, von Vermieter:innen und von Menschen in Regierungsverantwortung ausgehen.
Blöd nur, dass diese Menschen besonders anfällig für das nationalistische Virus sind. Wobei das Bild im Einstieg hier nicht passt, Entschuldigung dafür. Nicht ein Virus zwingt sie dazu, mit wirren, aufpeitschenden Aussagen gegen Geflüchtete zu hetzen. Das entscheiden sie von ganz allein.
Zum Weltbild der AfD gehört, dass Deutschland von einem ungerechten links-grünen Regime beherrscht wird und abweichende Meinungen hart bestraft werden. Vom Vorwurf der "Cancel Culture" bis hin zur "Corona-Diktatur" bezichtigt die AfD die Bundesregierung und die etablierten Parteien in Deutschland der Unterdrückung.