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Europa-Wahl: Volt mit diverser Liste – Perspektiven von BPOC und Geflüchteten

Partei Volt. Christopher Street Day in Stuttgart. Nach Angaben der Veranstalter waren 35.000 bis 40.000 Teilnehmer an der Pride Demonstration dabei. Sie setzten ein Zeichen für Vielfalt, Respekt, Akze ...
Die paneuropäische Partei Volt setzt bei der Europawahl auf Diversität.Bild: imago images / Arnulf Hettrich
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EU-Wahl: Wie Volt auf eine diverse Liste setzt und Perspektiven schafft

23.04.2024, 19:05
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"In zehn Jahren will ich die erste europäische Außenministerin sein und zeigen: Europa ist eine Schwarze Frau. Wir sind alles, wir sind divers und das ist unser großes europäisches Ziel", sagt Nela Riehl voller Inbrunst im Gespräch mit watson. Die 38-jährige Hamburgerin will für die paneuropäische Partei Volt nach Brüssel, kandidiert auf Listenplatz zwei.

Ihre Partei setzt sich für die Reform der EU ein, auch Nela wünscht sich ein europäisches Außenministerium. Eine menschenrechtsbasierte Außenpolitik bedeutet für sie, dass Europa anderen Staaten auf Augenhöhe begegnet.

"Für mich ist klar, dass sich der Hass nicht gegen mich als Person richtet. Ich kann mich davon gut abgrenzen."
Nela Riehl

Bislang hat Nela vor allem Politik im Kleinen gemacht. Ehrenämter, Jugendarbeit, sowas eben. "Ich bin eine Schwarze Frau in Deutschland. Da hat man keine Möglichkeit, nicht politisch zu sein", sagt sie dazu. In einer Partei war sie nicht. Nela hatte keine politische Heimat gefunden.

Dann aber kam Volt und das Team Europa. Ein Programm, durch das Menschen, die womöglich Berührungsängste haben oder in deren Leben es an politischen Vorbildern fehlt, gefördert werden sollten. Denn Spitzenpolitik ist in Deutschland noch immer weiß – und entspringt oftmals aus Familien von Akademiker:innen.

Nela ist in Deutschland die einzige Schwarze Spitzenkandidatin für die Europawahl. Für die paneuropäische Partei Volt will die Hamburgerin ins EU-Parlament. Eigentlich war ihr Plan, Flyer zu verteilen, den Wahlkampf zu unterstützen. Dann aber entschied sich Nela doch: Sie will selbst nach Brüssel.

Nela möchte Schwarze Perspektiven nach Brüssel bringen

Sie möchte die Strukturen ändern, Schwarzen Europäer:innen im Parlament eine Stimme geben. Denn die BPOC-Community, meint sie, ist auch im bunten Brüssel kaum vertreten. BPOC steht für Black and People of Color.

Nela sagt:

"Ich war in Brüssel zu Besuch bei unserem Abgeordneten Damian Boeselager und mir ist aufgefallen: Ich bin wieder eine der wenigen Schwarzen. Aber unsere Perspektiven gehören an den Tisch. Wenn ich das jetzt nicht mache, macht es auch sonst keiner."

Nela befindet sich in einer privilegierten Position, sagt sie. In ihren Augen bringe das eine Verantwortung mit sich, sich für die Demokratie und andere einzusetzen. Nela ist Lehrerin an einer Hamburger Schule, ihr Mann ist ebenfalls Lehrer. Die Kinder vier und sieben Jahre. "Für die beiden ist das wichtigste, dass ihre Spielsachen mit umziehen dürfen", sagt sie. Ihr Mann könne außerdem an einer deutschen Schule in Brüssel arbeiten.

Für die heiße Wahlkampfphase nimmt Nela unbezahlten Urlaub. Anders, sagt sie, könnte sie die Arbeit nicht stemmen. Schon jetzt gibt es viel zu tun. Podiumsdiskussionen, Pressearbeit, Klinkenputzen. Auf ihren Schlaf achte sie dennoch penibel: "Vier Stunden reichen mir auf jeden Fall nicht, ich achte schon darauf, meine sieben Stunden zusammenzubekommen."

Für den Umgang mit Hass und Anfeindungen hat Nela mittlerweile Strategien entwickelt. Denn als Spitzenkandidatin ist ihr Gesicht deutschlandweit auf Plakaten zu sehen. Eine Schwarze Frau, die sich für eine progressive Partei einsetzt und deren politischer Schwerpunkt auf einer menschenrechtsbasierten Außenpolitik liegt, bietet viel Angriffsfläche.

Nela kennt diesen Hass schon. Wie viele aus der BPOC-Community ist sie ihr Leben lang mit Rassismus konfrontiert – mittlerweile hat sie ein dickes Fell. "Für mich ist klar, dass sich der Hass nicht gegen mich als Person richtet. Ich kann mich davon gut abgrenzen", sagt sie. Hass schlage ihr vor allem online entgegen. Um sich selbst macht sie sich durch ihre Präsenz auf den Wahlplakaten keine Sorgen, aber um ihre Familie.

Trotzdem ist für sie klar: Ihre Wahlplakate sollen in ganz Deutschland hängen. Auch in Regionen, in denen die AfD besonders stark ist, wie etwa Thüringen. Sollte es dort zu Vandalismus kommen, möchte Nela damit öffentlich umgehen. Klarstellen, dass nicht sie das Problem ist, sondern jene, die hassen.

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Osama will sich für die Rechte Geflüchteter starkmachen

Auch Osama Kezzo kennt diesen Rassismus. Im Internet, im echten Leben. Er hatte sogar schon einmal einen Hass-Brief in seinem Briefkasten. Ein Erlebnis, das sein Sicherheitsgefühl ins Wanken gebracht hat. Dabei war Osama 2016 nach Europa gekommen, um Schutz und Sicherheit zu finden. Denn in seiner Heimat im syrischen Aleppo war wegen des Krieges nicht mehr gegeben.

Osama ist Teil des Teams Europa, wie Nela kandidiert er als Voltkandidat für die Europawahl. In Brüssel will er sich für die Rechte von Geflüchteten und Migrant:innen einsetzen. Europa, stellt er im Gespräch mit watson klar, brauche mehr Menschen. Ganz abgesehen davon, dass das Recht auf Asyl ein Menschenrecht ist.

"Hier ist es noch möglich, den Mund aufzumachen und etwas gegen den Rechtsruck zu tun."
Osama Kezzo

Das Gemeinsame europäische Asylsystem (GEAS), macht ihn wütend. Die EU-Staaten und das EU-Parlament haben sich dabei auf eine Modernisierung des Asylrechts geeinigt – wie Kritiker:innen sagen, auf eine Verschärfung. Auch Osama prangert die menschenfeindlichen Umstände an, die durch Ankerzentren oder Abschiebungen in Drittstaaten wie Tunesien entstünden. Flucht werde so nicht sicherer, sondern noch gefährlicher, meint er.

Statt Geld an Drittstaaten zu zahlen, sollten mehr Mittel in Integration gesteckt werden, findet er. Auch für ihn war die Flucht eine Erfahrung, die vor allem mit Stress, Gewalt und Hass verbunden war. Dass Osama am Ende in einem Land leben würde, in dem es dann auch darum gehen wird, die Demokratie zu verteidigen, hätte der 38-Jährige nicht gedacht.

Aber: "Hier ist es noch möglich, den Mund aufzumachen und etwas gegen den Rechtsruck zu tun", stellt er klar. Dass viele immer noch schwiegen, könne er nicht verstehen. Aufgeben, weil die Rechten stärker und lauter werden, ist für ihn keine Option. Er betont:

"Wer soll für uns laut sein, wenn wir es nicht selbst sind? Es wird nur schlimmer und ich habe in Syrien erlebt, wie es weitergeht, wenn man schweigt und nicht für die Demokratie kämpft."

Seinen politischen Aktivismus und seine Arbeit sieht er als Präventionsmaßnahme. Sein Plan war es eigentlich, als Journalist zu arbeiten, sozialen Themen und Fragen eine Bühne zu geben. Es kam anders. Osama ist schnell vom Journalismus in die politische Arbeit gewechselt. Bei der Caritas in Dachau arbeitet er in der Flüchtlings- und Integrationsberatung. Seinen Schritt in die Parteipolitik hat ihm wie Nela das Team Europa von Volt ermöglicht.

Er ist schon vorher auf Volt aufmerksam geworden, hatte bei einem Urlaub in Rom Flaggen und Taschen der Partei gesehen. Das Lila ist ihm ins Auge gestochen und irgendwo im Hinterkopf hatte er: "Dieses Logo kenne ich doch aus Deutschland." Seine Google-Recherche brachte ihn zu den Paneuropäer:innen.

Später erfuhr er, dass sein neuer Kumpel aus Dachau auch bei Volt ist. Durch ihn hat er sich mehr über die Partei und das Projekt Europa informiert. Osama musste nicht lange überlegen.

Dass er es auf Platz 11 ins EU-Parlament schaffen wird, ist unwahrscheinlich. Trotzdem ist Osama überzeugt, durch die hohe Listenplatzierung und die Offenheit seiner Partei dennoch Perspektiven Geflüchteter und Menschen mit Migrationsgeschichte einbringen zu können. Denn daran fehle es aktuell. "Es wird immer viel mehr über marginalisierte Gruppen gesprochen, als mit ihnen", merkt Osama an.

Er will nicht länger zuschauen, sondern als Betroffener auf Augenhöhe mitgestalten. Und Volt gibt ihm die Möglichkeit, das zu tun. Wie Nela weiß Osama zu schätzen, dass die Partei offen für neue Perspektiven ist. Und dass Volt so neu ist, dass Strukturen dort noch mit geschaffen werden können.

Schluss mit der Ego-Schiene rund um Syrien: Jetzt ist nicht die Zeit für Asyl-Debatten

Ernsthaft? Kaum waren die ersten Meldungen von der Flucht des syrischen Machthabers Baschar al-Assad zu lesen, waren sie schon da: Die Forderungen nach einer Veränderung der Asylpolitik bei Syrer:innen in Deutschland.

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