In Russland intensivieren sich die Razzien gegen Unternehmen mit ausländischen Arbeitskräften.Bild: imago images / SNA
Russland
Der russische Präsident Wladimir Putin hat nicht nur Schwierigkeiten, immer neue Soldaten für den Krieg zu rekrutieren, sondern auch mit einem akuten Mangel an Fachkräften im Land zu kämpfen.
Trotz des Personalmangels haben zahlreiche Regionen in Russland in den vergangenen Monaten strenge Auflagen für ausländische Arbeitskräfte eingeführt. Seit Jahresbeginn wurden in fast 20 Regionen neue Arbeitsverbote für Migrant:innen erlassen. Diese Maßnahmen gehen einher mit regelmäßigen Razzien und einer zunehmend scharfen antimigrantischen Rhetorik in der Politik.
Ein Vorgehen, das die negativen Stimmungen in der russischen Gesellschaft gegenüber Arbeitsmigrant:innen weiter anheizt. Doch dahinter soll politisches Kalkül stecken. Das Ziel: von anderen Problemen abzulenken, wie ein aktueller Bericht aufzeigt.
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Russland: Schärfere Rhetorik gegen Migranten und Arbeitsverbote
Seit dem Terroranschlag in der Moskauer Crocus City Hall im März 2024 berichten russische Medien regelmäßig über Razzien auf Baustellen und in Betrieben, in denen illegale Migrant:innen arbeiten könnten. Fernsehberichte folgen dabei einem klaren Muster: Verängstigte Menschen werden von Polizeikräften in Busse gedrängt, begleitet von Statistiken über festgenommene "Illegale".
Der tragische Anschlag auf die Crocus City Hall bei Moskau hat Russen tief bewegt.Bild: imago images / Tass
Auch hochrangige Politiker:innen fordern schärfere Gesetze. Alexander Bastrykin, Leiter des Ermittlungskomitees, drängt auf strengere Migrationsgesetze und kritisierte die Duma offen als "Staatsnärrin" für deren mangelnde Handlungsbereitschaft.
Auch systemkonforme Oppositionspolitiker wie Sergei Mironow von der Partei "Gerechtes Russland" schüren die Debatte, indem sie Migrant:innen beschuldigen, in Städten wie dem besetzten Mariupol "nach ihren eigenen Regeln zu leben".
In immer mehr Regionen werden Migrant:innen aus bestimmten Arbeitsbereichen ausgeschlossen, wie das russische Exilmedium "Meduza" berichtet. In der Region Moskau dürfen sie beispielsweise nicht mehr im Gastronomiebereich arbeiten oder Alkohol und Tabakwaren verkaufen. In der Region Tscheljabinsk ist es ihnen untersagt, im Einzelhandel oder in Autowerkstätten tätig zu sein.
Immer mehr Regionen in Russland gehen gegen Arbeitsmigranten vor.Bild: imago images / Russian Look
Politisches Kalkül in Russland: Ablenkung von anderen Problemen
Die Regionalregierungen setzen damit Signale, während auf Bundesebene bisher ähnliche Maßnahmen vermieden werden. Laut "Meduza" ist dies Teil einer bewussten Strategie des Kremls, die öffentliche Aufmerksamkeit von anderen Problemen abzulenken. Vor allem vom Krieg in der Ukraine und der Inflation.
Die Tendenz zur ablehnenden Haltung vieler Russ:innen gegenüber Migrant:innen ist in Umfragen zu sehen. Laut dem staatlichen Meinungsforschungsinstitut VCIOM sprachen sich 2024 rund 52 Prozent der Befragten dafür aus, den Zuzug von Arbeitsmigrant:innen und ihren Familien zu begrenzen. Im Vorjahr lag dieser Wert noch bei 40 Prozent. Besonders in der Region Moskau sehen viele Einwohner:innen deren Anwesenheit als eines der Hauptprobleme.
Ein politischer Analyst, der mit der Präsidialverwaltung arbeitet, erklärt: "Die Migrationsfrage ist ein traditionelles Mittel, um die Menschen von wirklich wichtigen Themen abzulenken." Konflikte mit Migranten lassen sich ihm zufolge leicht inszenieren – "und dann zeigt man, wie die Sicherheitskräfte das Problem lösen.“
Und ein weiterer kremlnaher Insider beschreibt die Strategie der Regierung wie folgt: "Die Behörden wollen zeigen, dass sie das Problem angehen, ohne es zu sehr zu verschärfen." Razzien und Arbeitsverbote gelten dabei als positiver Schritt. "Zu starke Maßnahmen könnten jedoch zu Unruhen führen", sagt er.
Balanceakt zwischen Ablenkung und Migrations-Bedarf in Russland
Die russischen Medien, insbesondere staatsnahe Kanäle, berichten regelmäßig über Verbrechen, die angeblich von Migrant:innen begonnen wurden. Ein Journalist eines regierungsnahen Mediums sagt gegenüber "Meduza": "Solche Nachrichten werden gut gelesen, aber man sollte das Thema nicht überstrapazieren. Zu sehr ins Detail gehen, könnte die Stimmung unnötig aufheizen."
Ein Polizeibeamter prüft die Papiere einer Marktarbeiterin während einer Razzia.Bild: imago images / SNA
Auch in der Kommunikation mit den Gouverneuren, die in ihren Regionen Anti-Migrations-Maßnahmen umsetzen, wird auf eine gewisse Zurückhaltung gesetzt. Denn Maßnahmen dürften die regionale Wirtschaft nicht gefährden. Deshalb werde eine zu harte Haltung gegenüber Migrant:innen auf nationaler Ebene bislang vermieden.
Während die antimigrantische Rhetorik politisch nützlich erscheint, steht sie in einem deutlichen Widerspruch zu den wirtschaftlichen Bedürfnissen des Landes. Russland kämpft mit einem Arbeitskräftemangel in vielen Bereichen, insbesondere in der Bauwirtschaft. Trotz der rekordtiefen Arbeitslosenquote von 2,6 Prozent sind viele Stellen unbesetzt. Dies betrifft vor allem ländliche Regionen, wo die Arbeitslosigkeit höher ist als in den städtischen Zentren.
Ein Insider aus der Regierung sieht hier eine wachsende Herausforderung: "Wer wird die Jobs übernehmen, die die Russ:innen nicht wollen? Der Abzug von Migranten hat bereits begonnen, teils wegen des schwachen Rubelkurses. Teils aus Angst, in den Krieg eingezogen zu werden. Anti-Migrations-Kampagnen verschärfen diese Entwicklung nur.“
Russlands Präsident Putin ist mit zahlreichen Problemen konfrontiert, die er sich mit dem Einmarsch in der Ukraine vor zweieinhalb Jahren selbst eingebrockt hat. Westliche Sanktionen bremsen die Wirtschaft, Embargos sorgen für Materialengpässe und in der Bevölkerung schwindet die Unterstützung für den brutalen Angriff auf den Nachbarn.