Politik
Deutschland

Mitte-Studie: Rechtsextremismus bei jungen Menschen verbreiteter

Rechtsextremistischer Aufmarsch in Gedenken an SS-Siggi Siegfried Borchardt, Vermummungsverbot, M
Unter jungen Menschen gibt es viel mehr mit einem rechtsextremen Weltbild als in anderen Altersgruppen.Bild: imago images / Wolfgang Maria Weber
Deutschland

Demokratie-Vertrauen sinkt laut Mitte-Studie – junge Menschen häufiger rechtsextrem

Die neue Mitte-Studie bringt besorgniserregende Ergebnisse. Antidemokratische Tendenzen wachsen in der breiten Bevölkerung – Rechtsextremismus ist gleichzeitig vor allem unter jungen Menschen verbreitet.
06.11.2025, 15:3606.11.2025, 15:36

Mehr als jede:r Siebte würde einer Studie zufolge Verhältnisse wie in einer Diktatur in Deutschland befürworten. Sogar rund jede fünfte Person zeigt sich offen für extreme und nationalistische Positionen.

Ein klar rechtsextremes Weltbild teilen laut der neuen "Mitte-Studie" der Universität Bielefeld und der Friedrich-Ebert-Stiftung 3,3 Prozent. Die Statistik lässt sich auf verschiedene Weisen lesen: Zwar ist nach den neuen Umfragedaten der Anteil der Menschen mit klar rechtsextremen Einstellungen im Vergleich zur Vorgängerstudie von vor zwei Jahren von acht um 4,7 Prozentpunkte zurückgegangen.

Doch im längeren Zeitvergleich sei das Niveau konstant: Seit 2014 habe es stets zwischen zwei und drei Prozent Rechtsextreme gegeben. Vor allem jedoch besorgt der Blick auf junge Menschen.

Rechtsextremismus unter jungen Menschen verbreiteter

Zu einem rechtsextremen Weltbild gehört dabei eine Befürwortung einer Diktatur, die Verharmlosung des Nationalsozialismus, eine völkisch-nationalistische Ideologie, Fremdenfeindlichkeit oder Sozialdarwinismus, also eine Unterscheidung zwischen Höher- und Minderwertigen, wie der Studienautor Andreas Zick erläuterte.

"Wir reden hier von Menschen, die 18 Aussagen eindeutig zustimmen." Genau das tun dem Bielefelder Konfliktforscher zufolge besonders viele junge Menschen. Wie Zick dem "Stern" gegenüber erklärte, beantworten unter den 18- bis 34-Jährigen "knapp sieben Prozent" alle dementsprechenden Fragen "eindeutig rechtsextrem".

Laut Zick seien das "über doppelt so viele" wie in anderen Altersklassen.

Sein Fazit:

"Die jüngere Generation ist nicht so weltoffen, wie viele denken würden. Gemessen an unseren Daten ist sie sogar fremdenfeindlicher, antisemitischer und auch stärker empfänglich für ein rechtsextremes Weltbild."

Er äußerte im Interview mit dem "Stern" die Vermutung, dass viele junge Leute – angestiftet durch den Rechtspopulismus – glauben würden, Demokratie sei gleichbedeutend mit dem Handeln der Regierung. Mit der wiederum seien viele von ihnen "im Widerstand", etwa bei der Wehrdienstdebatte.

Die Debatte werde "über die Köpfe der Jungen hinweg geführt"; stattdessen müssten junge Menschen wieder mehr in die Politik einbezogen und ihre Sorgen sollten adressiert werden.

Daneben sei auch politische Bildung wichtig. So solle erreicht werden, dass junge Menschen wieder "positive Zukunftserwartungen" entwickelten und so "demokratiefester" würden, "ganz unabhängig davon, was die Regierung tut".

Die Datengrundlage für die repräsentative Studie bildeten laut der Universität Bielefeld 2001 Interviews mit 18- bis 94-Jährigen, die vom 30. Mai bis zum 4. Juli durchgeführt wurden. Auftraggeber ist die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung.

Mitte-Studie: Demokratie-Misstrauen wächst

Der Studie zufolge steigen in allen Altersklassen, auch in der gesellschaftlichen Mitte, antidemokratische Tendenzen. Nach eigener Einschätzung verorteten 57 Prozent der Befragten ihre politischen Ansichten "genau in der Mitte" – eine leicht steigende Tendenz.

"Die Mehrheit der Menschen in Deutschland ist demokratisch eingestellt und äußert Sorgen wegen des zunehmenden Rechtsextremismus", so die Autor:innen. Sorgen bereitet ein zunehmend wachsender Graubereich: Rund 20 Prozent äußern sich ambivalent gegenüber rechtsextremen und nationalchauvinistischen Aussagen, stimmen also weder zu noch lehnen sie ab.

"Dieser Graubereich", so die Expert:innen, "hat sich gegenüber dem Vorjahr gefestigt und zeigt eine Offenheit für antidemokratische Orientierungen".

Zustimmung findet bei fast einem Viertel der Befragten der Satz: "Das oberste Ziel der deutschen Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht." 15 Prozent bejahen voll oder überwiegend: "Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert." Ein Viertel findet: "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert."

"Das Demokratie-Misstrauen ist sehr deutlich angestiegen", sagte Zick. Kein Vertrauen in die demokratischen Institutionen hätten zwei von fünf Bundesbürger:innen, in demokratische Wahlen rund 18 Prozent – dreimal so viel wie vor vier Jahren. Ein Viertel (24 Prozent) der Befragten verneint, dass die deutsche Demokratie im Großen und Ganzen ganz gut funktioniere – ein negativer Rekordwert.

Ressentiments gegen Minderheiten verbreitet

Einhergehen diese Zweifel laut der Analyse mit Einstellungen, die "dem liberalen Geist des Grundgesetzes" widersprechen: Zwar meinen laut der Studie fast 88 Prozent, in einer Demokratie solle die Würde und Gleichheit aller an erster Stelle stehen.

Doch 34 Prozent sind laut Umfrage der Ansicht: "Im nationalen Interesse können wir nicht allen die gleichen Rechte gewähren." Trotzdem meinen 88 Prozent, Würde und Gleichheit sollten an erster Stelle stehen.

Ein Viertel meint, es werde zu viel Rücksicht auf Minderheiten genommen. 7,5 Prozent billigten körperliche Gewalt gegen "Fremde". Abwertende Ansichten gegenüber Asylsuchenden haben mehr als 30, gegenüber Langzeitarbeitslosen sogar 36 und gegenüber Transmenschen 19 Prozent. Ein Drittel unterstellt Geflüchteten Sozialmissbrauch.

Dass für Menschen mit Behinderung in Deutschland teils "zu viel Aufwand betrieben" werde, meinen acht Prozent. 5,5 Prozent meinen eher oder voll, Juden hätten eine Mitschuld an ihren Verfolgungen. Aufgrund des Nahostkonflikts geben 17 Prozent an, sie könnten "gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat".

Immerhin: Fast vier von fünf Befragten bezeichnen sich grundsätzlich als überzeugte Demokrat:innen – sechs Punkte mehr als vier Jahre zuvor. Drei Viertel lehnen rechtsextreme Einstellungen ab, 70 Prozent empfinden den zunehmenden Rechtsextremismus als Bedrohung für Deutschland.

(mit Material der dpa)

Frieden auf Bewährung: So fragil ist die Waffenruhe in Gaza
Nach heftigen israelischen Luftangriffen mit über hundert Toten soll im Gazastreifen wieder Ruhe einkehren. Israel und die Hamas bekräftigen ihre Zusage zur Waffenruhe. Doch Expert:innen warnen: Der Stillstand beruht weniger auf Vertrauen als auf Druck – und könnte jederzeit wieder kippen.
Die Waffen sollen wieder schweigen, vorerst. Nach nächtlichen Luftangriffen, bei denen laut palästinensischen Behörden über hundert Menschen starben, hat Israel angekündigt, die Waffenruhe im Gazastreifen wieder einzuhalten. Auch US-Präsident Donald Trump zeigt sich demonstrativ zuversichtlich: "Nichts wird die Waffenruhe gefährden", erklärte er auf seiner Asienreise. Doch die Realität im Nahen Osten lässt sich selten mit politischen Parolen befrieden.
Zur Story