Angesichts der Kriege, Krisen und Konflikte ist die Welt im Dauerstress. Höchstes Ziel der meisten Akteure ist es trotz Unstimmigkeiten, einen Weltkrieg zu vermeiden. Auch US-Präsident Joe Biden betonte des Öfteren, dass alles getan werden müsse, um etwa eine Eskalation des Ukraine-Krieges zu einem globalen Krieg zu verhindern. Denn wer über einen Weltkrieg spricht, kommt nicht umhin, auch einen möglichen Atomkrieg zu fürchten.
Der Krieg in der Ukraine hat die Sorge vor eben jenem steigen lassen. Nicht zuletzt, weil Russland mehrfach mit einem Einsatz von Nuklearwaffen gedroht hat. Im Herbst 2022 nannte der US-Präsident dieses Szenario ein mögliches "Armageddon".
Ein aktueller Bericht zeigt, wie nahe die Welt so einem Szenario aus CIA-Sicht offenbar war. Demnach haben sich die USA auf einen russischen Einsatz von Atomwaffen vorbereitet. Der Grund: Zu jenem Zeitpunkt fuhr die Ukraine vermehrt Erfolge ein. Abgehörte Gespräche innerhalb des russischen Militärs machten einen russischen Atom-Einsatz in den Augen der CIA wohl wahrscheinlicher als erwartet.
Im Herbst 2022 hatte sich die Lage im Krieg der Ukraine gegen Russland zugespitzt. Wie sehr, zeigt ein Bericht der "New York Times". Die Zeitung veröffentlichte einen Artikel über abgefangene und streng vertrauliche Kommunikation, wonach die Drohungen aus Russland zu einem Einsatz nuklearer Waffen in der Ukraine im Herbst 2022 nicht nur ein Bluff gewesen sein könnten.
Offenbar bereitete man sich zu diesem Zeitpunkt in den USA wegen der Bedrohung auf mögliche Gegenmaßnahmen vor: Zum Beispiel mit einem nicht atomaren Angriff auf die russische Atomwaffeneinheit.
Nachdem Russland mit einem Atom-Einsatz gedroht hatte, verglich Biden die politische Lage auf der Welt mit der Kuba-Krise von 1962. Er sagte in einer Rede vor Spendern: "Zum ersten Mal seit der Kuba-Krise haben wir es mit einer direkten Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen zu tun, wenn sich die Situation tatsächlich so weiterentwickelt wie bisher."
Öffentlich verriet er auch, dass er dem Russland-Machthaber Wladimir Putin durchaus zutraute, seine Warnungen in die Tat umzusetzen. Besonders deshalb, weil das russische Militär zu diesem Zeitpunkt in der Ukraine schwächelte, wie der "Tagesspiegel" schreibt. Biden sagte aber auch, dass so ein Einsatz mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem "Armageddon" einhergehen würde.
Während der US-Präsident diese dramatischen Worte sprach, wollte die US-Regierung zu diesem Zeitpunkt aber offiziell auch keine konkreten Schritte Russlands gesehen haben, die auf einen Einsatz von nuklearen Waffen hindeuten. Warum Biden besorgte Worte an die Öffentlichkeit richtete, war an dem Abend nicht klar.
Was hinter den Kulissen laut "New York Times" offenbar bekannt war: Abgefangene Daten zeigten Gespräche innerhalb des russischen Militärs über den Zugriff auf das Atomwaffenarsenal. Seit Kriegsbeginn war es dem Bericht zufolge das erste Mal, dass solche besorgniserregenden Gespräche erfasst wurden.
Alarmierend war demnach, dass ausdrücklich über die Logistik der Zündung einer solchen Waffe in der Ukraine gesprochen worden sei. Und: Die Worte sollen von einem der ranghöchsten russischen Militärkommandeure stammen.
Zwar habe es keine registrierten Hinweise auf Waffenbewegungen gegeben. Doch die CIA warnte zu jenem Zeitpunkt eindringlich vor einem wahrscheinlichen russischen Atom-Einsatz: Demnach betrug die Wahrscheinlichkeit, dass Russland tatsächlich zu nuklearen Waffen greifen könnte, in der Rechnung der CIA 50 Prozent. Zumindest in dem Fall, dass die Ukraine den Siegeszug fortführen könnte, oder sogar die Krim zurückerobern würde. In diesem Fall hätte die Wahrscheinlichkeit demnach sogar höher steigen können.
Die diplomatischen Bemühungen, um so ein Ereignis zu verhindern, waren groß. So gab es auch Gespräche zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Chinas Präsidenten Xi Jinping. Auch ein möglicher Atomwaffeneinsatz soll zwischen den Staatsmännern Thema gewesen sein.
Der ehemalige Oberbefehlshaber der US-Armee in Europa, Ben Hodges, hält einen Einsatz von Atomwaffen für unwahrscheinlich, wie er gegenüber dem "Tagesspiegel" betont: "Putin und der Kreml drohen routinemäßig mit dem Einsatz von Atomwaffen."
Das Gespräch könne ihm zufolge auch aufzeigen, dass sich das Militär schlicht auf einen möglichen Befehl zum Einsatz für den Fall der Fälle vorbereitet hatte. Er sagt dazu: "Es überrascht auch nicht, dass diese Informationen irgendwie als Teil der Informationskriegsführung des Kremls durchsickern konnten, um ihre Drohungen plausibler erscheinen zu lassen. Und es hat eindeutig funktioniert."
Ein tatsächlicher Einsatz habe laut Hodges keine wirklichen Vorteile für Russland. Die Angstmache mit nuklearen Waffen aber durchaus. Hodges wirft der deutschen und US-Regierung in diesem Zusammenhang Zögerlichkeit in der Unterstützung der Ukraine vor.
Ähnlich sieht es der Direktor des "Zentrums für Europa und Eurasien", Peter Rough. "Immer wenn die Ukraine einen Durchbruch erzielt hat, hat das Biden-Team auf die Bremse getreten", sagt er dem "Tagesspiegel". Zwar senke das aus Sicht Bidens die Wahrscheinlichkeit für einen Atomwaffen-Einsatz, die Wahrscheinlichkeit eines Sieges Russlands in der Ukraine aber steige. Er sagt: "Letztlich ist es Biden lieber, dass Russland und die Ukraine sich gegenseitig zu Verhandlungen zwingen, als dass er die Ukraine auf die Gefahr hin, dass Russland Vergeltung übt, zum Sieg ertüchtigt."