Die Tochter des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Katerina Tichonowa, ist seit 2015 mehrmals nach Deutschland gereist. Die deutschen Behörden haben davon wohl nichts mitbekommen. Das hat der "Spiegel" gemeinsam mit der russischen Investigativplattform "IStories" herausgefunden.
Anhand von Buchungsunterlagen, Passagierdaten, Passkopien und internen E-Mails aus dem Inneren des russischen Sicherheitsapparats konnte das investigative Team die heimlichen Reisen der Katerina Tichonowa aufdecken.
Die Dokumente zeigen: Putins Tochter jettete seit 2015 wohl mehr als zwanzigmal nach Deutschland. Dabei stets in Begleitung von mutmaßlich bewaffneten Personenschützer:innen der russischen Präsidentengarde FSO.
Dem "Spiegel" zufolge werfen die unentdeckten Trips Tichonowas erhebliche diplomatische und sicherheitspolitische Fragen auf. Zudem haben es die Russen nicht für nötig gehalten, die Bundesregierung über die Touren der 35-Jährigen und ihrer Bodyguards zu informieren. Das ist nicht nur als unfreundlicher Akt zu werten. Sondern es macht auch klar, wie wenig der Kreml Deutschlands Kontroll- und Sicherheitsinteressen berücksichtigte.
"Da schlappen bewaffnete Personenschützer der russischen Präsidentengarde unbemerkt durch Bayern und niemanden interessiert es", kritisiert der SPD-Innenexperte und Bundestagsabgeordnete Sebastian Fiedler.
Der Fall sei "ein illustres Beispiel" dafür, "dass wir in den vergangenen Jahrzehnten keine Strategien entwickelt haben, den russischen Agenten und ihren Aktivitäten etwas entgegenzusetzen. Wir können so nicht weitermachen." Einem Regime, das in Europa einen Angriffskrieg entfache, müsse Deutschland "mit einem deutlichen Aufwuchs operativer Fähigkeiten der Sicherheitsbehörden entgegentreten."
Anscheinend wusste auch der deutsche Bundesnachrichtendienst nichts von den Ausflügen von Putins Tochter in die Bundesrepublik. "Dabei hätten wir das eigentlich schon ganz gerne gewusst", bekennt inzwischen ein hochrangiger Beamter.
John Sipher, der Ex-Leiter der Russlandoperationen des US-Geheimdienstes CIA, ist laut "Spiegel" wenig überrascht:
Demnach ist die Informationslücke der Sicherheitsdienste hinsichtlich Putins Tochter keine Überraschung: Viele Jahre lang interessierte sich in Deutschland kaum jemand für die Aktivitäten einflussreicher Russinnen und Russen.
Aus diesem Grund gab sich Tichonowa offenbar keinerlei Mühe, ihre Reisen nach München zu tarnen. Sie flog unter ihrem echten Namen, ausgestattet mit einem italienischen EU-Visum. Bei der Einreise müssen die Bundespolizist:innen am Flughafen die Reisedokumente kontrolliert und die Russin anschließend durchgewunken haben. Im Detail lässt sich das nicht mehr rekonstruieren.
Einreisedaten werden in Deutschland prinzipiell nicht erfasst. Zudem gehöre es laut "Spiegel" nicht zur Aufgabe der Bundespolizei, einreisende Promis oder Politikerfamilien zu melden. Für die Abwehr von Aktivitäten ausländischer Agenten in Deutschland sei die Abteilung für Spionageabwehr im Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig.
Was hat die junge Russin des weltbekannten Vaters ausgerechnet nach Bayern gezogen?
Die Dokumente zeigen, dass sie offenbar in der Münchner Innenstadt und am Tegernsee übernachten hat. Auch wird angenommen, dass Tichonowa und ihr Kind samt Begleittruppe im Dezember 2019 in die bayerischen Alpen gereist seien. Nach etwa einer Woche kehrte sie nach Moskau zurück. Ein anderer Personenschützer kam offenbar extra aus Russland nach Bayern, um sie zurück in die Heimat zu begleiten.
Für die Reiselust der Russin gibt es wohl einen ganz konkreten Grund.
Die Liebe soll die Tochter Putins so oft nach Deutschland geführt haben. Dabei handelt es sich wohl um den russischen Künstler Igor Selensky, der bis April dieses Jahres das bayerische Staatsballett geleitet hatte. Der 53-Jährige soll auch der Vater von Tichonowas Tochter sein.
Der Lebensgefährte von Putins Tochter trägt den gleichen Nachnamen wie der ukrainische Präsident. Die beiden Männer sind aber wohl nicht miteinander verwandt.
(akh)