Donald Trump könnte es rechtlich an den Kragen gehen. Doch eine Richterin könnte das Schlimmste verhindern.Bild: AP / Alex Brandon
Analyse
Aileen Cannon ist vom Ex-Präsidenten als Bundesrichterin eingesetzt worden. Revanchiert sie sich nun, indem sie den Prozess verzögert?
Philipp Löpfe / watson.ch
Die Niederlage von Donald Trump stand im November 2020 bereits fest. Doch auch als "Lame-Duck-Präsident" hatte er noch die Möglichkeit, Bundesrichter zu ernennen. In Florida gab es eine offene Stelle. Trump schlug Aileen Cannon vor, eine weitgehend unbekannte, damals 38-jährige Bezirksrichterin.
Weil damals Politiker und Medien mit der Big Lie, der angeblichen Wahlmanipulation, beschäftigt waren, fand diese Ernennung de facto unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Senat bestätigte sie mit 56 gegen 21 Stimmen, selbst 12 Demokraten gaben ihr Plazet.
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Inzwischen steht Richterin Cannon im grellen Scheinwerferlicht. Per Zufallsprinzip wurde sie nämlich als die Richterin auserwählt, die den Jahrhundertprozess gegen Donald Trump in Miami leiten wird. Das könnte zum Glücksfall für den Ex-Präsidenten werden – und zu einer Katastrophe für den amerikanischen Rechtsstaat. Um zu verstehen, weshalb das so ist, müssen wir einen kleinen Exkurs ins US-Rechtssystem unternehmen.
Aileen Cannon gilt als erzkonservativ.Bild: imago images / ZUMA Wire
Geschworenengericht ist die Ausnahme
Unsere Vorstellung von amerikanischen Gerichtsprozessen ist geprägt von Hollywood, von Filmen und TV-Serien, in denen es einem Staatsanwalt oder einem Verteidiger gelingt, dank eines Überraschungs-Zeugen oder einer brillanten Rede die Geschworenen auf seine Seite zu ziehen. Leider ist das weitgehend Fiktion.
In der Wirklichkeit geht jeder Anklage ein Verfahren vor einer sogenannten Grand Jury voraus. Dabei handelt es sich ebenfalls um ein Gremium von Laien. Die Strafbehörden müssen diese davon überzeugen, dass sie über genügend Beweise für eine Straftat verfügen. Erst dann ist eine Anklage möglich.
Winkt eine Grand Jury eine Anklage durch, dann bedeutet dies in der Regel bereits eine Verurteilung. In den allermeisten Fällen kommt es daher zu keinem spektakulären Prozess vor einem Geschworenengericht, sondern zu einem sogenannten "plea deal".
Trumps Chancen gehen gegen null
Das bedeutet, dass der Angeklagte sich in Teilen schuldig bekennt und im Gegenzug eine geringe Strafe erhält. Dieses Prozedere ist Standard, gerade bei nationalen Verfahren. Dort liegt die Chance auf einen Freispruch vor einem Geschworenengericht gerade mal bei einem Prozent.
Trumps Chancen dürften noch näher bei null sein, sind doch die Beweise, die Sonderermittler Jack Smith in seiner Anklageschrift vorlegt, erdrückend. Trotzdem hat der Ex-Präsident bei der ersten Anhörung vor dem Gericht in Miami auf "nicht schuldig" plädiert. Das bedeutet, dass es zu einem Prozess vor einem Geschworenengericht kommen wird. Dabei hat Trump einen wichtigen Trumpf im Ärmel: die besagte Richterin Cannon.
Will nicht in den Knast: Donald Trump.Bild: AP / Evan Vucci
Aileen Cannon ist die Tochter von kubanischen Einwanderern, die vor dem Regime von Fidel Castro geflohen sind. Sie hat an der Duke University und an der University of Michigan Law School studiert. Schon früh ist sie dabei mit ihrer konservativen Gesinnung aufgefallen. Sie ist Mitglied der Federal Society, einer mächtigen Gruppe von sehr rechten Juristen. Sie war auch für Marco Rubio und Rick Scott, die beiden republikanischen Senatoren aus Florida, tätig.
Cannon steht nicht zum ersten Mal im Rampenlicht. Sie war bereits zuständig für die Einsprache, die Trump nach der Durchsuchung seiner Residenz Mar-a-Lago im vergangenen August eingereicht hatte. Damals entschied sie auf geradezu skandalöse Weise zugunsten des Ex-Präsidenten. Sie ließ einen Special Master einsetzen, der hätte überprüfen müssen, welche der beschlagnahmten Dokumente das FBI auch verwenden darf.
Mit diesem Urteil hätte das Verfahren schon damals verzögert werden sollen. Es wurde jedoch kurz darauf vom zuständigen Berufungsgericht aufgehoben, verbunden mit einer niederschmetternden Beurteilung von Richterin Cannon. Die ebenfalls konservativen Richter des Berufungsgerichts erteilten Cannon eine Standpauke, die sich gewaschen hatte und machten ihr klar, dass auch ein Ex-Präsident keine Sonderbehandlung für sich beanspruchen kann.
Aileen Cannon: Unerfahren und voreingenommen
Richterin Cannon ist nicht nur konservativ, sie ist auch noch nicht lange im Amt. Wie die "New York Times" berichtet, hat sie gerade mal vier unspektakuläre Gerichtsprozesse geleitet. Julie O’Sullivan, Rechtsprofessorin an der Georgetown University in Washington, erklärt daher: "Sie ist beides, eine unerfahrene Richterin und eine Richterin, die schon angedeutet hat, dass sie glaubt, dass für den ehemaligen Präsidenten spezielle Regeln gelten. Deshalb lässt sich nicht abschätzen, welche Verfahrensregeln sie bestimmen wird."
O’Sullivan spielt damit darauf an, dass es noch zu vielen juristischen Vorgeplänkeln kommen wird, bevor der eigentliche Prozess beginnt. Darauf kann die Richterin großen Einfluss nehmen. Sie kann Verfahrensfragen herauszögern und zusätzliche Abklärungen verlangen.
Trump könnte sich selbst begnadigen
Kurz: Sie kann zwar die Beweislast gegen Trump nicht aus der Welt schaffen. Sie kann jedoch das Verfahren so lange verzögern, dass der Geschworenenprozess erst nach den Wahlen im November 2024 über die Bühne gehen wird.
Genau dies ist auch die erklärte Taktik von Trump. Er setzt alle Karten auf seine Wiederwahl. Dann hätte er die Möglichkeit, sich selbst zu begnadigen und gleichzeitig zu einem gewaltigen Rachefeldzug gegen Biden, die Demokraten, den Deep State oder was auch immer anzusetzen.
Trump weiß, dass er juristisch chancenlos ist und setzt auf die Politik. Deshalb beginnt er, sich auf geradezu biblische Art und Weise als Märtyrer darzustellen und gleichzeitig Biden immer heftiger zu attackieren. Er bezeichnet den amtierenden Präsidenten als "korrupt" und die USA als "Bananenrepublik". Unterstützt wird er dabei von den meisten Republikanern und selbstredend auch von Fox News. Der TV-Sender hat Biden gar als "Möchtegern-Diktator" betitelt.
Allerdings: Ob Richterin Cannon nach der niederschmetternden Standpauke ihrer konservativen Kollegen vom Berufungsgericht es nochmals wagen wird, derart skandalös Trump zu bevorteilen, muss sich weisen. Sie müsste dann damit rechnen, zu einem Rücktritt vom Fall genötigt zu werden.
Selbst wenn es zu einer Verzögerung kommen sollte, ist Trump noch längst nicht aus dem Schneider. Sonderermittler Smith gibt weiter Gas und hat in Sachen 6. Januar 2021 gerade zwei weitere Zeugen vor einer Grand Jury in Washington antraben lassen. Eine Anklage gegen den Ex-Präsidenten wegen Wahlmanipulation im Bundesstaat Georgia kann täglich erfolgen, und das Verfahren wegen Schweigegeldzahlungen an den Pornostar Stormy Daniels in Manhattan läuft bereits.
Trump kämpft um mehr als einen neuerlichen Einzug ins Weiße Haus. Es besteht die reelle Gefahr, dass er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird. Das will er um jeden Preis verhindern – und das macht in so gefährlich.