Ukraine-Soldaten erleben in der russischen Gefangenschaft grausame Dinge. Viele können darüber nicht sprechen. Bild: imago images / Dmytro Smoliyenko
Ukraine
Triggerwarnung: Im folgenden Text werden sexualisierte Gewalthandlungen geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.
Immer wieder berichten ukrainische Soldaten von den grausamen Bedingungen in russischer Gefangenschaft. Sie sprechen von Folter, Hunger, Schlägen und Schlafentzug, doch ein Thema bleibt oftmals unausgesprochen: sexuelle Misshandlungen.
Der Ukrainer Oleksii Sivak will das ändern und ruft ein Netzwerk für Betroffene ins Leben. Er selbst ging durch die Hölle und spricht offen über die sexuelle Gewalt, die viele Soldaten in Gefangenschaft erleiden – und genauso Zivilisten wie er, die sich der russischen Herrschaft widersetzen.
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Ukraine-Krieg: Sexuelle Gewalt gegen Männer und Jungs keine Seltenheit
Wochenlang wurde Sivak in einem eiskalten Keller in seiner Heimatstadt Cherson mit Elektroschocks an den Genitalien gefoltert, berichtet "The Guardian". Im Herbst 2022 befreiten ukrainische Truppen die Stadt und damit auch ihn von seinem Leiden.
Er erhielt eine lange Liste an Fachärzt:innen für seine Verletzungen. Die Liste umfasste alle Bereiche des Körpers und der Psyche, nur einen nicht: Urolog:innen, die männliche Harn- und Geschlechtsorgane behandeln.
Dabei ist sexuelle Gewalt eine alltägliche Waffe Russlands geworden, warnen die Vereinten Nationen (UNO).
Ein ukrainischer Soldat umarmt nach seiner Rückkehr aus russischer Gefangenschaft seinen Kameraden.Bild: AP / Evgeniy Maloletka
Russland wendet systematische sexuelle Folter gegen ukrainische Zivilist:innen und Kriegsgefangene in "fast allen" Haftzentren an, in denen sie festgehalten werden, heißt es.
Dazu gehören "Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung, Androhung von Vergewaltigung und Kastration, Schläge oder die Verabreichung von Elektroschocks an den Genitalien, wiederholte erzwungene Nacktheit und sexualisierte Erniedrigung".
Sivak reagierte schockiert, dass die ukrainische Regierung das anscheinend nicht berücksichtigt und es keine Ärzt:innen für Betroffene wie ihn gibt. "Ich habe sie gefragt: 'Soll ich einen Gynäkologen aufsuchen?' Ich war schockiert“, zitiert ihn "The Guardian".
Ukrainer will Betroffenen mehr Sichtbarkeit schenken
Es herrsche seit 2014 Krieg, als russische Stellvertreterkräfte die Krim und Teile der Ostukraine besetzten "und niemand hat auch nur an männliche Opfer sexueller Gewalt gedacht", kritisiert er. Diese Situation habe ihm die Augen geöffnet, das "gefährliche Schweigen" zu brechen und den Opfern mehr Sichtbarkeit zu schenken.
Denn: "Die Zahlen in der Ukraine sind ziemlich erschreckend", warnt Charu Lata Hogg, Geschäftsführerin des "All Survivors Project" im Bericht. Zahlreiche Männer und Jungen erleiden sexuelle Gewalt. Die Organisation führt eine globale Datenbank mit Fällen, die drei Jahrzehnte zurückreichen, und das Ausmaß des neuen Missbrauchs in der Ukraine sei beispiellos, sagt sie.
Sivak hat nun das erste ukrainische Unterstützungsnetz für männliche Betroffene aufgebaut, die "Alumni-Vereinigung für inhaftierte und gefolterte Männer der Ukraine".
Ukraine: Betroffener von sexueller Gewalt will mit Stigma brechen
Seine Kritik: Selbsthilfegruppen, Ressourcen und medizinische Hilfe richteten sich fast ausschließlich an Frauen, das müsse sich ändern. "Eines der Ziele dieser Organisation ist es, einen Weg zu schaffen, den es vorher nicht gab, damit wir für andere ein Wegweiser sein können“, führt er aus.
Nur wenige Überlebende seien bereit, öffentlich über sexuelle Angriffe auf ihren Körper zu sprechen, die sich allzu oft wie Angriffe auf ihre Würde und Männlichkeit anfühlen.
Ukrainische Soldaten finden oftmals keine Hilfe, wenn sie sexuelle Gewalt durch Russland erfahren haben. Bild: imago images / Timo Vogt
Aber genau das Gefühl von Scham ist laut Sivak ein Grund dafür, dass Russland sexuelle Gewalt als Kriegswaffe einsetzt.
"Wenn ich schweige, ist es so, als wäre es nie passiert, und das bedeutet, dass es auch jetzt nicht passiert“, sagt er. "Die Realität ist, dass viele Männer immer noch in Kellern sitzen. Wenn ich meine Stimme nicht erhebe, wie sollen dann diejenigen, die nicht frei sind, gehört werden?“
Laut Sivak ist sexuelle Gewalt in russischen Gefängnissen so normal, dass wohl die meisten dort inhaftierten Ukrainer betroffen sind – auch wenn sie manche Angriffe, etwa Schläge oder Tritte auf die Genitalien, nicht als sexuelle Übergriffe erkennen.
"Wahrscheinlich ist fast jeder Mann, der aus der Gefangenschaft befreit wird, Teil unseres Netzwerks“, sagt der Aktivist. "Sie sind sich dessen nur nicht bewusst."
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die skandinavischen Staaten dazu gebracht, ihre Neutralität aufzugeben. Finnland trat im April 2023 der Nato bei. Im März 2024 folgte dann Schweden.