Eigentlich ist der Krieg für die Menschen in der Ukraine schon schlimm genug. Nun häufen sich Berichte über gezielte Drohnen-Angriffe auf Zivilist:innen in der ukrainischen Stadt Cherson.
Russische FPV-Kamikaze-Drohnen, ausgestattet mit Sprengsätzen, machen vor nichts Halt und treffen regionalen Medienberichten zufolge Menschen in ihrem Alltag: Ob auf dem Weg zur Arbeit, beim Einkaufen oder auf der Straße – die Bedrohung ist für sie allgegenwärtig.
Nun erzählen Bewohner:innen der Region von ihren Erlebnissen und dem Leben in einer Stadt im Ausnahmezustand.
"Die Drohnen fliegen in Gruppen und greifen alles an, was sich bewegt", sagt Serhii, ein Freiwilliger, der mittlerweile als Taxifahrer arbeitet, der ukrainischen Zeitung "Kyiv Independent". Zahlreiche Hilfslieferungen seien daher zum Erliegen gekommen, was die Versorgung der Bevölkerung zusätzlich erschwert habe.
Diese Art der gezielten Angriffe auf Zivilist:innen sorgt in Cherson für Angst und Schrecken.
Olha Chernyshova, eine Geschäftsinhaberin in Cherson, erlebt seit Wochen das Grauen. Als sie eines Abends im September nach Hause zurückkehrte, erschütterte ein gewaltiger Knall die Umgebung, wie sie der Zeitung berichtet. Eine russische Kamikaze-Drohne hatte eine Granate auf ihr Auto abgeworfen und das Fahrzeug zerstört. "Es fühlt sich an, als sei die Jagd auf Menschen eröffnet", sagt sie.
Die mit Sprengsätzen oder Granaten ausgestatteten FPV-Drohnen werden den Angaben zufolge über die Dnipro-Grenze gesteuert, die das ukrainisch kontrollierte Gebiet von den russischen Besatzungstruppen trennt.
Eigentlich gelten gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung, die nicht unmittelbar etwas mit dem Krieg zu tun hat, als Kriegsverbrechen.
Doch dem Bericht zufolge werden die russischen Drohnen-Angriffe auf die Menschen in der Region gezielt eingesetzt, um sie zu vertreiben und so "graue Zonen" entlang des Dnipro-Flusses zu schaffen. In diesen strategischen Gebieten sollen die Truppen durch die Isolation weiter unter Druck gesetzt werden. Die Angriffe sollen demnach die Moral der Bevölkerung brechen und einen Rückzug oder Friedensverhandlungen erzwingen, wie lokale Behörden vermuten.
Schätzungen zufolge haben seit Beginn der umfassenden Invasion mehr als 200.000 Einwohner:innen Chersons die Stadt verlassen. Trotz der Bedrohung bleibt ein Teil der Bevölkerung in der Stadt und versucht, ein normales Leben zu führen. "Wir fixieren unsere Fenster und versuchen, weiterzumachen", berichtet etwa Olena, eine medizinische Fachkraft, dem "Kyiv Independent".
Um gegen die zunehmende Bedrohung durch Drohnen vorzugehen, hat die Stadtverwaltung im September acht Millionen Hrywnja, etwa 206.000 Euro, für Schutzmaßnahmen bereitgestellt. Über 200 elektronische Kriegsführungssysteme wurden seit Jahresbeginn an ukrainische Truppen in der Region geliefert. Jedoch ändern die russischen Drohnenpiloten ihre Signale regelmäßig, um den Gegenmaßnahmen zu entgehen.
"Drohnen greifen uns täglich an, oft in Doppelschlägen", erklärt ein führender Experte des Entminungsdienstes, der anonym bleiben möchte, der Zeitung. Er schieße mit einer AK-47 auf sie, "aber sie fliegen hoch und sind schwer zu treffen", sagt er. Die Bedrohung durch diese "Doppelschläge" erschwere die Arbeit von Rettungskräften erheblich.
Jetzt bereiten sich die verbleibenden Einwohner:innen bereits auf den Winter vor. Auch, wenn die Drohnen weiter über ihre Köpfe kreisen und das Leben in Cherson zunehmend aus den Fugen gerät.