Die FDP-Jugendorganisation Junge Liberale (Julis) hat sich neu aufgestellt. Die Delegierten wählten auf dem 63. Bundeskongress in Erlangen am Wochenende die 27-jährige Franziska Brandmann zu ihrer neuen Vorsitzenden.
Brandmann folgt auf Jens Teutrine, der im Sommer 2020 zum Juli-Chef gewählt worden war. Teutrine ist im September in den Bundestag gewählt worden – und trat nicht mehr an. Bei den Julis gilt die ungeschriebene Regel, dass Träger eines politischen Mandats nicht Vorsitzende der Jugendorganisation werden.
Den Julis gehören nach eigenen Angaben mittlerweile rund 14.000 junge Menschen im Alter zwischen 14 und 35 an – und somit so viele wie nie zuvor.
Was bleibt von diesem Bundeskongress der Jungen Liberalen? Vier wichtige Erkenntnisse aus dem Wochenende.
Die neue Juli-Chefin ist eine Frau aus dem ländlichen Raum. Franziska Brandmann, 27 Jahre alt, stammt aus dem nordrhein-westfälischen Grevenbroich. Sie promoviert derzeit in Internationaler Politik. Brandmann geht mit einem starken Ergebnis ins Amt: Sie bekam 92 Prozent der gültigen Stimmen von den Delegierten. Ihr Vorgänger Teutrine war 2020 mit 91 Prozent gewählt worden, seine Vorgängerin Ria Schröder wurde 2019 nur mit 56,6 Prozent wiedergewählt.
Inhaltlich hat Brandmann in ihren ersten öffentlichen Äußerungen stark auf Bildungspolitik gesetzt – und auf das Bekenntnis zur Marktwirtschaft. Sie will sich starkmachen für ein elternunabhängiges Bafög und hat auch schon eine Lieblingsformulierung: Bildung bezeichnet Brandmann gern als "Mondfahrtprojekt", bei dem man jetzt "die Rakete zünden" müsse.
Der neuen Juli-Chefin merkte man an, dass sie seit Jahren im Verband aktiv ist. Sie wirkte in ihren ersten Reden sicher und rhetorisch bemerkenswert stark für eine neugewählte Jugendorganisationschefin. Menschen, die Brandmann kennen, sagen, eine charakterliche Eigenschaft werde ihr noch helfen: Dass sie oft freundlich im Ton spreche, aber knallhart in ihren Forderungen und ihrer Verhandlungstaktik sei.
Die FDP-Verteidigungspolitikerin und ehemalige Vize-Parteichefin Marie-Agnes Strack-Zimmermann bezeichnete Brandmann in ihrer Gratulation auf Twitter als "tolle und mutige Persönlichkeit."
Die FDP war bei der Bundestagswahl nach manchen Analysen, die stärkste, nach anderen die zweitstärkste Partei bei den Erstwählern. In jedem Fall war sie überdurchschnittlich beliebt bei jungen Menschen.
Der scheidende Chef Teutrine ging auf diesen Erfolg in seiner Abschiedsrede beim Bundeskongress genüsslich lange ein, in rund einem Drittel seiner Rede. Und er arbeitete sich darin an Kommentatoren ab, die das starke FDP-Ergebnis bei Jungen teils hart kritisiert hatten. Teutrine meinte dazu: "Das sagt über die Kommentatoren aus, dass sie unsere Generation nicht kennen!" Und ergänzte: "Unsere Generation besteht nicht nur aus Fridays for Future!"
Aus dem starken Ergebnis bei den Jungen, das war in mehreren Reden zu hören, leiten die Julis einen Auftrag ab, bestimmte Positionen im Interesse junger Menschen zu vertreten: etwa für mehr Marktwirtschaft, gegen Schließungen von Schulen und Universitäten in der Pandemiebekämpfung, für eine Legalisierung von Cannabis.
Die Julis, auch das war zu spüren, fühlen sich stark wie seit Langem nicht: Auch, weil 25 bis 30 Prozent der aktuellen Mitglieder, so heißt es aus der Organisation, im vergangenen Jahr dazugekommen seien.
Im Vorstand der Julis ist vielen aber auch klar, wie schnell diese Stärke schwinden kann: Die FDP hat bei dieser Wahl davon profitiert, dass die Zeit der übermächtigen Volksparteien vorbei zu sein scheint, dass es weniger Stammwähler gibt.
Aber das bedeutet auch, dass die Zeiten guter FDP-Wahlergebnisse und blendender Umfragewerte für die Liberalen schnell wieder vorbei sein kann. Neu-Chefin Brandmann war selbst schon aktiv in der Zeit, als die Partei nicht im Bundestag war.
So kann man wohl auch verstehen, dass das Tagungspräsidium leicht nervös auf die Anwesenheit von "heute show"-Reporter Lutz van der Horst beim Juli-Bundeskongress reagierte. Man müsse nicht unbedingt mit der ZDF-Show reden, die Botschaft wurde zweimal vom Podium laut. Beiträge für ein Millionenpublikum, in denen junge Liberale verspottet werden, kann die Organisation eher nicht gebrauchen.
So sehr sich die meisten Julis freuen darüber, dass die FDP aller Voraussicht nach Teil der nächsten Bundesregierung ist: Viele von ihnen haben Bauchschmerzen mit Blick auf die Kompromisse, die mit SPD und Grünen wohl nötig sein werden. Der scheidende Juli-Chef Teutrine ließ in seiner Rede am Samstag erkennen, dass er sich ein klares Signal für Steuersenkungen erhofft hätte – und nicht nur gegen Steuererhöhungen.
Seine Nachfolgerin Brandmann griff diese Sorgen bei ihrer ersten Rede auf. Mit Blick auf den neu gewählten Co-Vorsitzenden der Grünen Jugens Timon Dzenius meinte sie:
Sie erntete dafür krachenden Applaus.
FDP-Bundesvize Vogel löcherten nach seinem Gastbeitrag mehrere Juli-Delegierte und äußerten ihre Forderungen mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen: für eine schnelle Wahlrechtsreform, dafür, einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer zu ermöglichen, die jungen Menschen den Hauskauf erleichtern soll.
Noch deutlicher als gegen SPD und Grüne aber war in den Redebeiträgen die Abgrenzung gegen CDU und CSU. Die Forderung nach einer Dienstpflicht für junge Menschen durch den Unions-Fraktionschef im Bundestag, Ralph Brinkhaus, nannte Teutrine etwa eine "Respektlosigkeit". Und mit Blick auf die bisherigen Drogenbeauftragten aus der CSU, Marlen Mortler und Daniela Ludwig, meinte Brandmann: "Jede und jeder einzelne hier wäre ein besserer Drogenbeauftragter!"
Die FDP-Jugend weiß, dass die Partei momentan besonders bei Menschen punkten kann, die auch mal die Unionsparteien gewählt haben.
Die Julis, auch das wurde deutlich, wollen in manchen Bereichen deutlich weiter gehen als die Mutterpartei FDP. Zum Beispiel bei der Forderung, wieder in die Atomenergie einzusteigen, die bei einigen Julis populär ist.
Oder im Umgang mit China: die für internationale Beziehungen zuständige International Officer der Julis Alice Schmidt regte zum Beispiel an, doch zum nächsten FDP-Parteitag den Außenminister von Taiwan einzuladen. Das würde, wenn die FDP teil der Bundesregierung ist, wohl einen diplomatischen Eklat auslösen: China reagiert extrem sensibel darauf, wenn im Ausland auch nur angedeutet wird, dass man Taiwan als unabhängigen Staat anerkenne.
Inhaltliche Beschlüsse trafen die Julis kaum: Erst kurz vor Ende des Kongresses, um 14 Uhr am Sonntag, stimmten die Delegierten über den ersten Beschlussantrag ab, mit der Forderung, die Deutsche Bahn weitgehend zu privatisieren. Der Streit darüber, teils laut und heftig geführt, dauerte eine gute Stunde, am Ende stimmte die Mehrheit der Delegierten für den Antrag.
Trotz der Debatten: Die Julis wollen weiterhin ein Image pflegen, das ihnen anhaftet: Dass sie im Verhältnis zur Mutterpartei braver sind als etwa die Jusos zur SPD oder die Grüne Jugend zu den Grünen. Paavo Czwikla, frisch in den Juli-Vorstand gewählt, meinte, man wolle "in Abgrenzung zur Polter-Rhetorik" anderer Jugendorganisationen die "seriöse Stimme" der jungen Generation sein.
Als Jens Teutrine gerade seine letzte Rede als Juli-Chef gehalten hatte, ploppte auf manchen Smartphones eine Eilmeldung auf: Die Bundeswehr mobilisiert in der Pandemiebekämpfung 12.000 Soldaten. Der Kongress fand in Erlangen statt, im Norden Bayerns, wo die Staatsregierung vor Kurzem der Corona-Katastrophenfall ausgerufen hat. Und dort kamen nun hunderte Menschen zusammen, saßen dicht nebeneinander an langen Bänken, lieferten sich am Sonntag teils heftige Redegefechte.
Die Jungen Liberalen betonen selbst, dass sie alles Mögliche für die Sicherheit getan hätten: Es herrschte, wie vom Ordnungsamt verlangt, die 2G-Regel: nur Geimpfte und Genesene kamen ins Kongressgebäude, Security am Eingang kontrollierte die Zertifikate und glich sie mit den Personaldokumenten ab. Man habe, meinen die Julis außerdem, die Corona-Auflagen sogar übererfüllt, eine Maskenpflicht außerhalb der Sitzbereiche angeordnet, obwohl die nicht verpflichtend gewesen wäre.
Einzelne Julis arbeiteten sich auch an der Pandemiepolitik der vergangenen Monate ab. "Ich habe ein Problem damit, wie Leute Corona-Maßnahmen romantisieren", meinte Teutrine in seiner Rede. Er meint, manche hätten Lockdowns als Erholungsmaßnahme empfunden, mit Homeoffice und Yogamatte – während sie für viele, gerade Junge, ein harter Einschnitt gewesen seien.
Man erlebte, nach über anderthalb Jahren Pandemie und Videokonferenzen, in Erlangen tatsächlich auch, wie viel intensiver und aufschlussreicher demokratische Debatten sind, wenn sie persönlich stattfinden. Der Applaus oder die Buhrufe als Reaktion auf Redebeiträge, die Hintergrundgespräche neben der Halle: All das hilft, viel besser einzuordnen, was auf so einem Bundeskongress passiert.
Und auch den wohl emotionalsten Moment des Juli-Bundeskongresses hätte es wohl nicht gegeben, wenn er per Videokonferenz stattgefunden hätte: Am Samstag sprach eine Delegierte darüber, dass sie an einer bipolaren Störung leide, dass das politische Engagement und der Austausch mit anderen Julis sie in den vergangenen Monaten wohl gerettet hätte. Sie endete mit dem Aufruf: "Seid lieb zueinander, ihr wisst nie, was in den Köpfen anderen Menschen vorgeht".