Es wird wieder Zeit, mehr zu träumen und diese Träume auch zu verwirklichen, erklärt Philipp Türmer in seiner Bewerbungsrede. Türmer ist der frischgebackene Vorsitzende der Jusos. Auf dem Bundeskongress des SPD-nahen Jugendverbandes hat sich Türmer gegen Sarah Mohamed durchgesetzt.
Eine Kampfkandidatur, deren Ergebnis für ein Beben im Verband sorgen dürfte. Gereicht hat es für Mohamed nicht, stattdessen konnte Türmer offensichtlich nicht nur seinen Heimatverband Hessen-Süd, sondern unter anderem auch die Ost-Landesverbände von sich überzeugen. Mit 162 von 299 Stimmen wurde er zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt.
Nach seiner Wahl erklärt Türmer im Gespräch mit watson: "Es sind Zeiten massiver gesellschaftlicher Ungleichheit, Zeiten, in denen es eine laute und starke Stimme für Gerechtigkeit braucht. Die Jusos wollen diese Stimme sein und dass ich dafür ihr Vorsitzender sein darf, ist eine Ehre und erfüllt mich mit Stolz." Das Wochenende habe gezeigt, dass der Verband diesen klaren Kurs gemeinsam verfolgen wolle – "das motiviert mich!"
In seiner Rede stellt Türmer klar, er will mit dem Bundesverband auch an der Seite der ostdeutschen Landesverbände stehen. In Thüringen, Sachsen und Brandenburg stehen im kommenden Jahr Wahlen an. In allen drei Ländern ist die AfD in Umfragen sehr stark. "Die AfD ist kein ostdeutsches, die AfD ist ein gesamtdeutsches Problem", sagt Türmer in seiner Rede. "Wir geben den Osten nicht auf."
Die Jusos stünden an der Seite jener, die sie brauchen. "Wir stehen in der Verantwortung für all jene, die auf der Abschussliste der Faschist:innen stehen", macht er deutlich. Damit meint er: Jüdinnen und Juden, BIPoCs, queere Menschen, Feminist:innen. Er will, dass dem Rechtsruck ein Linksruck entgegensteht. Um die politische und gesellschaftliche Linke zu stärken, braucht Türmer auch einen geeinten Verband – trotz Kampfkandidatur.
Die Zeit des internen Wettstreits, macht Türmer in seiner Bewerbungsrede deutlich, ist ab heute vorbei. Er appelliert an den Verband, einander die Hand zu reichen, auch wenn man auf der jeweils anderen Seite stehe. Nach der Verkündung des Ergebnisses – 162 von 299 Stimmen für Türmer – verlässt die Delegation Nordrhein-Westfalen (NRW) geschlossen den Saal. NRW ist der Heimatverband Mohameds und einer der größten Landesverbände innerhalb der Jusos. Auch Türmers Vorgängerin Jessica Rosenthal ist aus NRW.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kommt in seinem Grußwort auf das Verbands-Beben zu sprechen. Er richtet einen Appell an den Verband: "Wenn ihr etwas zu klären habt, klärt das." Danach müsse man ordentlich miteinander umgehen. Mit Respekt. "Ihr seid die Sozialdemokratie der Zukunft, vergesst das nie und geht so miteinander um", stellt er klar. Denn die Jusos müssten noch lange miteinander auskommen, wenn sie irgendwann die SPD übernehmen.
Womöglich wurden bereits auf dem Bundeskongress im Hintergrund diverse Konflikte geklärt. Das lässt zumindest die Wahl des stellvertretenden Vorstands mutmaßen, die wurde nämlich um mehrere Stunden verschoben. Letztlich stellten sich zehn Menschen für zehn Posten vor. Darunter auch Sarah Mohamed, die in der Kampfkandidatur gegen Türmer verlor. In einem emotionalen Statement macht Mohamed während der Auszählung der Stimmen klar: Sie will einen respektvollen Umgang innerhalb der Jusos, auch wenn viele noch immer wegen der verlorenen Wahl enttäuscht seien.
Gewählt wurden letztlich Johannes Barsch, Audrey Dilangu, Birkan Görer, Lara Herter, Fabian Kors, Sarah Mohamed, Thevagar Mohanadhasan, Lasse Rebbin, Patricia Seelig und Theresia Stahl.
Türmer zeigt sich gegenüber watson zuversichtlich, dass der Verband zueinander findet. Ein Beben, meint er, habe man wohl vor allem bis nach Berlin gespürt. "Das hat damit zu tun, dass sich der Verband sehr klar positioniert hat: Gegen die Ungerechtigkeiten in diesem Land und für eine soziale Politik, die diesen Namen auch verdient hat", verdeutlicht Türmer. Mit dem neugewählten Bundesvorstand und dem Verband als ganzes will er dafür kämpfen.
Dieser Bundeskongress sei für alle besonders anstrengend gewesen, meint Türmer in seinem Schlusswort. Eine ähnliche Situation habe es das letzte Mal 2001 gegeben. Dennoch sei sein Gefühl, dass am Wochenende niemand aus dem Blick verloren habe, worum es geht. Alles stand unter der Prämisse: "Was ist das beste für diesen Verband?"
Klar sei dem Verband, sie wollen Druck machen. Ein Wort, mit dem Türmer die SPD in der Ampel aktuell beschreiben würde: "Verblasst. Wir wollen die SPD wieder rot strahlen lassen. Doch das geht nur, wenn man Farbe bekennt."
"Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte, wir kämpfen für einen demokratischen Sozialismus", macht Türmer in seiner Rede deutlich. Er träume von einer sozialgerechten, klimaneutralen Gesellschaft. Von einer weltoffenen EU, die keine Festung ist. Von einer demokratisierten Wirtschaft, die nicht die Reichen reicher und die Armen ärmer macht.
Für eine Vermögensumverteilung könnte auch einer der beschlossenen Anträge sorgen. Gefordert ist darin ein Grunderbe: Um Vermögen in der Gesellschaft fairer zu verteilen, sollen alle 18-Jährigen 60.000 Euro vom Staat bekommen.
"In Deutschland besitzen zwei Familien mehr, als die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung. Durch zu geringe Erbschaftssteuern bleibt das Geld häufig in der Familie, anstatt einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten", stellt Türmer im Gespräch mit watson klar. Gleichzeitig könnten viele Menschen nicht einmal kleine Rücklagen bilden und müssen von Monat zu Monat leben. Türmer sagt:
Die Superreichen unterdessen sollen höhere Steuern zahlen. Türmer sagt dazu in seiner Rede: "Es gibt 226 Milliardär:innen in Deutschland und mehr als 2,9 Millionen arme Kinder – das hängt doch zusammen. Deswegen: tax the fucking rich!" Ein Ziel, das sich auch die SPD in ihren Leitantrag für den Parteitag im Dezember festgeschrieben hat.
Neben dem Grunderbe haben sich die Jusos unter anderem auch auf ein neues Arbeitsprogramm, eine Kampagne zur EU-Wahl und eine Kampagne für die Ost-Landtagswahlen geeinigt. Mit Delara Burkhardt und Manon Luther wurden zudem die beiden Juso-Spitzenkandidatinnen für die Europawahl nominiert.
Für Türmer und die Jusos ist klar: Die SPD muss Farbe bekennen. Es müsse Schluss sein mit einer SPD, die in der Bundespolitik hinter den "beiden zankenden Koalitionspartnern" verschwindet. "Obwohl wir diejenigen sind, die den Kanzler stellen", merkt Türmer an. Im nächsten Schritt heiße es, Wahlkampfversprechen und Parteitagsbeschlüsse auch umzusetzen. "Darauf werden wir bei jedem einzelnen Vorhaben pochen, egal ob Bafög-Reform, 400.000 Wohnungen oder soziale Klimapolitik", stellt Türmer klar.
Für Türmer ist wichtig: Die Jusos müssen zum Motor werden und die SPD treiben. Hin zu einer Sozialdemokratie, die den Namen aus Sicht Türmers verdient. Denn aktuell, erklärt er in seiner Erwiderung auf das Grußwort von SPD-Chefin Saskia Esken, sehe er in der Partei keinen Aufbruch. Respekt müsse wieder großgeschrieben werden. Für Esken und ihren Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil hat Türmer eine klare Arbeitsanweisung: Auch sie sollen Kanzler Olaf Scholz und die Bundesregierung stärker zur Sozialdemokratie drängen.